Anliegen gerahmt und hinter Glas
Besprechung der Klima BiennaleKlima Biennale
Künstlerische Leitung: Claudius Schulze
Programmleitung: Sithara Pathirana
Wien, 05.04.–14.07.2024
Ausstellung: Songs for the Changing Season,
Festivalareal Nordwestbahnhof;
kuratiert von: Filipa Ramos, Lucia Pietroiusti
Ausstellung: Into the Woods, KunsthausWien;
kuratiert von: Sophie Haslinger
Oscar Niemeyer errichtete 1961 auf dem zentralen Platz von Brasilia seine Skulptur O Pombal (Der Taubenschlag), um selbst den Tauben einen Ort im politischen Herzen der Stadt einzuräumen. Während der französischen Revolution hingegen wurden die Pariser Taubenschläge zerstört, als symbolische Befreiung der Vögel aus ihren Gefängnissen. Das Studio Ossidiana spannt das Vogelhaus als gebaute Metapher zwischen diesen Polen auf: Biotop, Volière, Architektur und Käfig. Ihre kleinen Modelle, Interpretationen von Bauten wie Niemeyers Monument oder des Snowdon Aviary von Cedric Price und Frank Newby, reflektieren das Verhältnis von Mensch und Tier anhand der Behausung, die eine Spezies für eine andere entwirft.
Mit Songs for the Changing Society im Areal am Nordwestbahnhof versammeln die Kuratorinnen Filipa Ramos und Lucia Pietroiusti Werke von 13 internationalen Künstler:innen, die sich auf alle Lebewesen konzentrieren: auf das Mehr-als-Menschliche, das Tier, Pflanze und Gestein gleichermaßen in das Kollektiv jener reiht, die auf der Erde zuhause sind. Es ist eine der beiden Ausstellungen, die das Zentrum der Klima Biennale bilden, umgeben von zahlreichen Satelliten in den Kunstinstitutionen der Stadt. In den meisten dieser Beiträge geht es weniger um Aktivismus als um eine perspektivisch verschobene Reflexion über eine Welt in Transformation. Kunstwerke sollen Erinnerungen und Narrative aktivieren, die das poetische Nachempfinden dieses dramatischen Wandels in ihr Zentrum stellen. Zu Songs for the Changing Season hat Sofia Jernberg eine Komposition beigesteuert, die mit ihren zur Unkenntlichkeit verfremdeten menschlichen und tierischen Sounds das Publikum in dem Gang zur Ausstellungshalle empfängt: ein sonischer Raum der Ko-Existenz, der bald melancholischeren Bildern einer aus dem Lot geratenen Biosphäre weicht. In der Installation von Cooking Sections erzählen Stimmen von dem Lebenszyklus schottischer Zuchtlachse und den verheerenden Auswirkungen des industriellen Farmings auf das lokale Ökosystem. In Andrián Villar Rojas Video The End of Imagination reihen Aufnahmen von Webcams aus der Zeit der Covid-Lockdowns Bilder von Zoobewohner:innen aneinander, die nicht länger Spektakel für das Publikum sind.
Im KunstHausWien, mittlerweile programmatisch auf das Erbe Friedensreich Hundertwassers konzentriert, steht hingegen der Wald als Ökosystem, Wirtschaftsraum und künstlerisches Forschungsobjekt im Mittelpunkt. Auch hier geht es um exemplarische Recherchen, die, im Medium der zeitgenössischen Kunst aufbereitet, auf eine grundsätzliche Neuausrichtung des menschlichen Handelns und Seins abzielen. Susanne Kriemanns Forest, frst, t like teamwork (sic) reflektiert die Gefährdung europäischer Wälder, die zum Material für Fast Furniture degradiert werden. Ausgehend von Recherchen in einem rumänischen Fotoarchiv und dessen Zeugnissen der von der Möbelindustrie befeuerten Entwaldung der Karpaten, zeigt sie auf großformatigen Siebdrucken Passagen aus Gedichten und Zitate, die sich mit der Industrialisierung des Waldes befassen. Das Pigment, aus denen sich die Buchstaben formen, wurde aus Restpapieren und ausrangierten Ikea-Möbeln gewonnen. Die Künstlerin und Biodiversitätsexpertin Isa Klee spürt der Mensch-Natur-Beziehung in der Donau-Auenlandschaft im Wiener Prater nach, die seit dem 17. Jahrhundert durch menschliche Eingriffe und die daraus resultierende Austrocknung schrumpft. Klee präsentiert eine Momentaufnahme dieser Vegetation, zeigt Auszüge aus ihrer Sammlung von Samen und bietet Touren durch das Gelände an, um Arten zu bestimmen und das vegetative Archiv kollektiv zu erweitern. Die aus Drohnenaufnahmen und multispektraler Bildgebung generierten Topografien von Richard Mosse unterstreichen die Dringlichkeit solchen aktiven Handelns mit ihrer Dokumentation der massiven Zerstörung des tropischen Waldes. Tristes Tropiques zeigt, was dem fotografischen Blick verborgen bleibt: unterirdische Feuer, die Rodungen von Primärwald für den Bau eines Wasserkraftwerks oder illegale Sägewerke. Abel Rodriguez aus der indigenen Gemeinschaft der Nonuya wiederum gibt sein Wissen über Pflanzen im Regenwald und ihre mythologisch-spirituelle Bedeutung in botanischen Zeichnungen weiter, die westliche Klassifizierungen mit traditionellem Wissen verbinden. Nachdem er nach Bogotá fliehen musste, rekonstruiert er seine Bilder einer Symbiose von Mensch und Wald nur mehr aus dem Gedächtnis.
Anschaulich aufbereitete Fakten zum Wald als Biotop, als Rohstofflieferant und Ökosystem stehen diesen Ausstellungsbeiträgen zur Seite – das Projekt wurde wissenschaftlich vom Institut für Soziale Ökologie und vom Institut für Waldökologie der BOKU Wien begleitet –, können letztlich aber nicht verhindern, dass das den einzelnen Werken innewohnende Potenzial eines anderen Denkens seltsam nivelliert wird. Die Beschäftigung mit einem bedrohlich kippenden Ökosystem bleibt zwangsweise künstlerischer Natur und adressiert das Publikum zu den Konditionen des Formats Ausstellung: engagiert in ihrem Anliegen, aber letztlich gerahmt und hinter Glas.
Das kompensiert auch nicht das Bemühen der Macher:innen, in der Umsetzung dieser an sich durchaus gelungenen Projekte Klimaneutralität anzustreben und gängige Betriebsabläufe zu hinterfragen. Auf dem Festivalareal Nordwestbahnhof sind die üblichen Urban Gardening Container zu sehen, und das versiegelte ÖBB-Areal wurde punktuell entsiegelt, um der Natur neuen Raum zu bieten. Die TU Wien werkt in der Biofabrique Vienna an neuen Materialien für Design und Architektur. Design with a Purpose stellt nebenan eine Auswahl nachhaltiger Designprodukte vor, kommt dabei aber selten über die Lifestyle-Ebene hinaus. Und der Ort selbst, der momentan noch zu Workshops und konsumfreiem Get-Together einlädt, wird sich spätestens in zwei Jahren in eine Baustelle verwandeln und einem weiteren großen Neubauprojekt weichen. Dass der ehemalige Nordwestbahnhof damit zum »Experimentierfeld für ein nachhaltiges Zusammenleben und eine lebenswerte Zukunft« wird, wie auf der Website vollmundig verkündet wird, darf bezweifelt werden: Die Renderings versprechen die üblichen kubischen Wohnblocks mit Balkon, in der Mitte des neuen Stadtteils soll ein großer Park entstehen. Eine radikale Kehrtwende in Klimafragen sähe anders aus. Diese mit allen ihren Herausforderungen primär an die bildende Kunst zu delegieren, die das Potenzial einer lebenswerten Zukunft ausloten soll, wirkt seitens der Stadt Wien als Veranstalterin denn auch wie eine Strategie, dringliche Agenden, stadtplanerische wie politische, in weniger umkämpfte Bereiche auszulagern.
Vanessa Müller