Christa Kamleithner


Das Berliner Hansaviertel feiert dieses Jahr das 50jährige Jubiläum. 1957 entstand hier auf den Trümmern des alten Hansaviertels im Rahmen der Interbau, der 1. Internationalen Bauausstellung in Deutschland, ein Musterentwurf, der veranschaulichen sollte, wie das Leben in der stadt von morgen sein würde. So der Titel einer Ausstellung, die neben dem städtebaulichen Entwurf, Musterwohnungen und Beratungsstelle eine „Anleitung für eine moderne Lebensführung“ geben sollte. Und so heißt auch die Ausstellung, die von Mai bis Juli in der im Hansaviertel situierten Akademie der Künste zu sehen war. Sie unternahm, begleitet von einem umfassenden Filmprogramm und einer Tagung, eine „Archäologie“ des Hansaviertels – den Versuch, die seiner Entstehung zugrunde liegenden Strukturen auszugraben und sichtbar zu machen.

In allen Veranstaltungsformen war die fixe Idee der Moderne, an einer „Stunde Null“ ansetzen zu können, ein zentraler Punkt. Susanne Leeb charakterisierte in ihrem Vortrag die Moderne durch deren „Zeitlosigkeit“: den Anspruch, ein Leben jenseits historischer Zwänge und basierend auf einem naturhaften Verständnis des Menschen entwerfen zu können. Dieser zeigt sich in wissenschaftlichen und künstlerischen Rhetoriken der 1950er Jahre, die die „Urgeschichte“ oder „Urzeit“ bemühten, oder auch daran, dass sich Hans Scharoun bei seinen Plänen für den Wiederaufbau Berlins auf das Berliner „Urstromtal“ bezog. Irene Nierhaus‘ Vortrag behandelte ein ähnliches Thema, die Referenz modernen Städtebaus auf eine mythisch gefärbte „Natur“. Die Berliner Trümmerlandschaft erfuhr in den 1950er Jahren eine romantische Aufladung, die sich etwa in jenem merkwürdigen Satz Werner Durths äußerte, der die weiten grünen Räume der modernen Stadt als „Versuch der Versöhnung mit der geschändeten, verbrannten, zerbombten Natur unter dem Grundriss der Städte“ liest. Stunde Null wie Trümmerlandschaft wurden auch in der Arbeit von Korpys und Löffler thematisiert. Sie überblendeten einen Film, der den Abriss der noch bestehenden Häuser des alten Hansaviertels zeigt, mit der Dokumentation ihres Eingriffs in das neue Hansaviertel, bei dem mit einem Baumstamm, einem vorhandenen architektonischen Element, modernes Mobiliar zertrümmert wird.

Was wurde nun auf diesen Trümmern aufgebaut? Keine Utopie, sondern eine Verwirklichung des jetzt Möglichen, so ist in den Grundsätzen der Schau die stadt von morgen von 1957 nachzulesen. Deren zentrale Konzepte sind: die Gartenstadt, d. h. die Vereinigung der Qualitäten von Stadt und Land; die Nachbarschaft, d. h. die Schaffung überschaubarer Gemeinschaften; die abgeschlossene und intakte Kleinfamilie. Das bürgerliche Lebensmodell, das die Frau in der Wohnung und den Mann im Geschäftsleben verortet, soll nun für alle Schichten verwirklicht werden; es ist für die neue Stadt das prägende Element.

Johanna Hartmann arbeitete in ihrem Vortrag die mit dem modernen Bauen verbundenen Geschlechterrollen heraus. Diese sind einerseits von einem gewissen Aufbruch geprägt – so wird der Frau auch einmal ein Schreibtisch zugestanden –, andererseits lässt sich aber doch eine klare Hierarchie erkennen: Die Frau erscheint in Fotos und Filmen als die Bewohnerin der neuen Wohnung schlechthin und damit als die Beplante, während dem Mann vor allem die Rolle des Planers zukommt. Die moderne Vorstellung von Planung geht von der statistischen Erforschung der Bedürfnisse aus und von Experten, die die Bewohner und Bewohnerinnen auf dieser Basis zum richtigen Leben erziehen. Dieser Glaube der Moderne an die Berechenbarkeit menschlicher Bedürfnisse erfährt, wie Jesko Fezer zeigte, schon in den 1950er Jahren Kritik. Schon hier beginnt eine andere, immer noch „moderne“ Suche nach dem „Leben“, die mit subtileren, etwa ethnografischen Methoden arbeitet.

Die im Kurzfilmprogramm gezeigten Lehr- und Werbefilme führten das Selbstverständnis der modernen Planung deutlich vor. Der Planer tritt als rundum Wissender auf, der das neue Stadtmodell in einer vollendeten Didaktik erklärt, die jeden Widerspruch sinnlos macht. Im Film Unsere Stadt etwa erklärt ein Verwaltungsbeamter einer Schar aufgebrachter Kleinhändler, die aufgrund eines Straßendurchbruchs enteignet werden sollen, den Aufbau der neuen funktional gegliederten Stadt. Diese wird aus der lebhaften City und ruhigen Wohnquartieren bestehen, verbunden durch leistungsfähige Verkehrsadern, die den alten Quartieren neues Leben einhauchen. Dass damit dem Kleingewerbe und -handel der Garaus gemacht wird, wird freilich verschwiegen. Einer der eindringlichsten Filme war ein Osram-Werbefilm, der sich als Klamauk gibt und nebenbei vorführt, dass die moderne Stadt eine panoptische ist: Lachende Glühbirnen ziehen in die neue Stadt ein, leuchten noch den letzten Winkel aus und spüren Einbrecher und vorwitzige Haustiere auf. End- und Höhepunkt ist eine Straßenansicht, die eine totale Gleichschaltung von Architektur, Fahrzeugen und Menschen zeigt. Die hinter dem Hansaviertel stehenden Ordnungen zu Tage zu fördern war auch der Arbeitsauftrag an die 15 an der Ausstellung beteiligten KünstlerInnen. Dorit Margreiter zeigte in ihrer filmischen Arbeit beklemmend schöne saubere Bilder moderner Interieurs, kombiniert mit einer Tonspur, die ZeitzeugInnen und Medienberichte zu Wort kommen lässt. Beides steht in einer Diskrepanz, die schicke Designsprache der Objekte und der alltägliche Duktus des Gesagten kommen nicht zur Deckung. Sofia Hultén erfand für die leeren Räume des Hansaviertels neue Handlungsanleitungen: Gläser werden am Boden gestapelt, Lampenschirme als Schlaginstrumente verwendet und andere Rituale vollführt, die die Künstlichkeit gesellschaftlicher Konventionen augenscheinlich machen. Auch Martin Kaltwasser und Folke Köbberling leiteten zu einem neuen Gebrauch der Freiräume an. Von einem Wohnwagen ausgehend organisierten sie Führungen, u.a. eine Sperrmüllsammlung, mit dem Ziel, die von der modernen Planung angedachten, aber kaum zur Ausführung gelangten gemeinschaftlichen Aktivitäten neu anzustiften. Die Gruppe e-Xplo ging der Planungsgeschichte des Hansaviertels nach und rearrangierte ihre Recherchen in einem musikalischen Stück – das spannend anzuhören war, dem man eine Beschäftigung mit dem Hansaviertel aber kaum anmerkte. Dies könnte man auch für andere Arbeiten feststellen, die insgesamt eher die Ordnungen der gegenwärtigen Kunstpraxis zeigen als die des Hansaviertels. Sichtbar wird hier etwas für geschulte Augen und Ohren, nicht aber für ein allgemeines Publikum. Dieses und insbesondere die Bewohner und Bewohnerinnen des Hansaviertels haben an der Ausstellung auch einige Kritik geäußert, da sie „ihr“ (von ihnen auch überaus geschätztes) Hansaviertel nicht gefunden haben.

Was Ausstellung und Tagung jedenfalls geschafft haben, war eine Anleitung zum ausführlichen Gebrauch des Akademiegebäudes, das immer wieder Freude macht und die Qualitäten moderner Räume vorführt – die man leicht vergisst, wenn man sich auf die notwendige, aber mittlerweile allzu klassische Kritik an der Moderne konzentriert. Oliver Elser hat am Ende der Tagung erzählt, dass in den letzten Jahren ein quasi kollektiver Umzug von Freunden ins Hansaviertel stattgefunden hat. Dies bestätigen auch andere: Das Hansaviertel scheint gerade bei jenen Kulturschaffenden immer beliebter zu werden, die gerne kritisch über die moderne Planung denken.

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Ausstellung, Tagung und Filmreihe
„die stadt von morgen“
Beiträge zu einer Archäologie des Hansaviertels
16. Mai bis 15. Juli 2007
Akademie der Künste, Berlin
KuratorInnen: Annette Maechtel und Christine Heidemann (Ausstellung),
Annette Maechtel und Kathrin Peters (Tagung),
Florian Wüst (Filmreihe).

In Kürze erscheint eine Buch-Publikation.

www.diestadtvonmorgen.de


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