Argument Kultur
Als wir die vorletzte Ausgabe von dérive zum Thema Gentrification präsentierten, luden wir Expertinnen zu einer Podiumsdiskussion ins Wiener Depot, um über »Kunst als Vehikel städtischer Aufwertungsprozesse« zu sprechen. Mit gutem Grund, schliesslich spielen bei Gentrification, also der baulichen und sozialen Aufwertung meist innenstadtnaher Wohn- und Gewerbegebiete, Kultur- und Kunstbetrieb oftmals eine nicht unwesentliche Rolle.
Als wir die vorletzte Ausgabe von dérive zum Thema Gentrification präsentierten, luden wir Expertinnen zu einer Podiumsdiskussion ins Wiener Depot, um über »Kunst als Vehikel städtischer Aufwertungsprozesse« zu sprechen. Mit gutem Grund, schliesslich spielen bei Gentrification, also der baulichen und sozialen Aufwertung meist innenstadtnaher Wohn- und Gewerbegebiete, Kultur- und Kunstbetrieb oftmals eine nicht unwesentliche Rolle.
Einer der klassischen Texte zu diesem Thema ist »The Fine Arts of Gentrification«, geschrieben 1984 von Rosalyn Deutsche und Cara Ryan. Die Autorinnen beschreiben, wie das New Yorker East End unter dem Einfluss eines Kunstbetriebs auf der Suche nach neuen Territorien tiefgreifende Veränderungen in der sozialen Struktur erfährt. Was als Suche von KünstlerInnen nach billigen Atelierräumen und einer »authentischen« Umgebung begann, zog unweigerlich Galerien und schliesslich Bars, Cafés und Designergeschäfte an, die vom kreativen Image der Gegend profitieren wollten.
Kunst kann immer noch hervorragend zur Aufwertung heruntergekommener Stadtviertel dienstbar gemacht werden. In Wien soll etwa dem Bezirk Ottakring durch das jährlich stattfindende »Soho in Ottakring« mit Ausstellungen in leerstehenden Geschäftslokalen und im öffentlichen Raum neuer Glanz verliehen werden. Ottakring, bekannt für seinen hohen Anteil an migrantischer Bevölkerung, ist in den letzten Jahren ein attraktiver Wohnort für KreativarbeiterInnen geworden, angezogen durch das multikulturelle Klima, die niedrigen Mieten und zunehmend auch durch neue Lokale und Institutionen, die in die nahegelegenen Stadtbahnbögen am Gürtel gezogen sind. Dagegen ist vorerst nicht viel einzuwenden, lohnt aber eine genauere Betrachtung und auch den Vergleich mit Entwicklungen in anderen Städten.
Natürlich sind die Beiträge im vorliegenden Heft nicht in erster Linie als Reaktion auf Wiener Verhältnisse zu verstehen. Es geht auch um eine grundlegende Auseinandersetzung mit einem gegenwärtigen Kulturbegriff, der längst ebensoviel mit Ökonomie zu tun hat wie mit Urbanität. Davon handelt das Interview mit Marion von Osten und Justin Hoffmann, die kürzlich ein Buch zur Kulturalisierung der Ökonomie herausgebracht haben. Auch in Anthony Davies’ Beitrag geht es um neue Formationen von Kultur und Ökonomie. London hat im vergangenen Jahrzehnt einen bedeutenden Imagewandel durchgemacht, bei dem Kunst und Kultur eine bedeutende Rolle gespielt haben. Das Zauberwort Cool Britannia ist eigentlich ein Musterbeispiel einer Public Private Partnership. Von der Labour Regierung als Trendwende zum konservativen Backlash der achtziger Jahre propagiert, ist in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft tatsächlich der neoliberale Kurs der VorgängerInnen perfektioniert worden. Die Young British Art (YBA) war darauf die opportune Antwort gewesen – Selbstorganisation nicht als Marktkritik, sondern als neues Unternehmertum.
Das neue Gebäude der Londoner Tate Gallery, die Tate Modern ist ebenfalls eng mit wirtschaftlichen Interessen verzahnt. Das spektakuläre Gebäude, ein vom Schweizer Architektenteam Herzog und De Meuron umgebautes ehemaliges Kraftwerk kann selbst schon als symbolische Wende zu einer postfordistischen Imageindustrie verstanden werden. Die Tate Modern ist eines der weltgrössten Kunstmuseen. Es wurde als neues Wahrzeichen im Zuge der Millenium Projekte gebaut und erhebt den Anspruch, neue Beziehungen zu Besuchern, Sponsoren, Politik, Medien und städtischem Umfeld zu kreieren. Das Zauberwort dafür ist branding. Ein neues Logo für die verschiedenen Tate Standorte wurde entwickelt und das Ziel lautet: »To bring Tate into people's lives[1] Dazu werden ungewöhnliche Wege beschritten. Mit Museumsshops an Standorten ausserhalb des Hauses, wie im Londoner Warenhaus Harrod's oder einem eigenen Tate Bier wird Tate tatsächlich neue Orte im Leben der Menschen einnehmen. Die Zustimmung der Boulevardzeitung Sun spricht klare Worte: Institutionen, die traditionell der (Hoch-) Kultur zugerechnet werden, haben neue Orte in der Gesellschaft eingenommen.
Neben der schon erwähnten »Kulturalisierung der Ökonomie« sind Kulturinstitutionen ihrerseits zunehmend gezwungen, die Nähe zur Wirtschaft zu suchen. Ihre Strategien, alternative Einnahmequellen zur ausbleibenden staatlichen Unterstützung über die Spektakularisierung ihrer Architekturen zu suchen, beschreibt Poyin AuYoung in ihrem Beitrag am Beispiel von Kunstmuseen in den USA.
Auch die Umgebung der Tate Modern, ehemals Ort für Kleingewerbe und Industrie erfährt im Zuge der Tate Eröffnung eine Neuorientierung. In Zusammenarbeit zwischen Stadtverwaltung und Immobilienunternehmen wird in Bankside ein Kreativviertel lanciert. Wo sich zuvor schon unabhängige Musiklabel, KünstlerInnen und DesignerInnen angesiedelt hatten und damit Vorarbeit für eine künftige Kommerzialisierung geleistet hatten, werden nun Wohngebäude mit gezielter Einbindung von Ateliers gebaut.
Davon profitieren auch die Lokalmatadoren Globe Theatre und Vinovia. Das Globe Theatre, der originalgetreue Nachbau jenes Theaters, in dem einst William Shakespeare seine Stücke inszeniert hatte, wirkt in seiner groben, beinahe karikaturhaften Asterix - Holzarchitektur seltsam deplaziert in der postindustriellen Umgebung. Vinovia, eine Weinerlebniswelt mit Museum, Verkostung und Verkauf interpretiert die Bögen der darüberliegenden Eisenbahnanlagen in romantische Kellerarchitektur um.
Währenddessen arbeiten verschiedene ArchitektInnen an Projekten, die der Aufwertung von Bankside dienen sollen. So wurde das Architektinnenteam muf beauftragt, die Southwark Street, unmittelbar hinter dem Museum gelegen, durch gezielte Eingriffe umzugestalten. Ihr Projekt mit dem Titel »shared ground« begann mit einer Reihe von Videointerviews, die mit BewohnerInnen und BenutzerInnen der Umgebung geführt wurden, und die deren Wünsche und Vorstellungen als konstitutiv für jeglichen Eingriff verstand. Ein erstes Set an Interventionen betraf schliesslich die Errichtung von Bänken, die Vereinheitlichung des Bodenbelages sowie Hinweisschilder zur Tate. Peter Mörtenböck beschreibt in einem Text den hybriden Charakter dieser und anderer Projekte in Bankside[2]. Dennoch sind auch diese mehr oder weniger sensiblen Eingriffe letztlich Beiträge zur Festigung der durchgeplanten Identität des Viertels.
Wenn wir von Kultur als Standortargument sprechen, bedeutet das zwei zusammenhängende Felder, die in den letzten Jahren zunehmend Einfluss auf urbane Entwicklungen genommen haben. Einerseits klassische Kulturbauten, die - wie beim Wiener Museumsquartier - zunehmend zu Kulturbezirken zusammengefasst werden, um Infrastrukturelle und vor allem symbolische Kapitale zu teilen. Andererseits aber auch die Creative Industries, die gerade als Wirtschaftsfaktor entdeckt werden und damit auch als Zukunftsmodell der österreichischen Regierung für Kulturschaffende herhalten müssen. Monika Mokres Beitrag beleuchtet die Konjunktur dieses Begriffs und auch die politische Bedeutung, die von verschiedenen Interpretationen dessen, was Creative Industries seien, ausgeht.
In Wien hat die Errichtung des Museumsquartiers beträchtliche Auswirkungen auf die räumliche Formation des Kunstbetriebs gehabt. Die klassischen Innenstadtgalerien sind teilweise abgewandert oder definieren sich nun über ihre Nähe zum Museumsquartier. Die Eschenbachgasse etwa, mit drei Galerien für Wiener Verhältnisse schon fast ein Galerienviertel, ist zwischen Sezession, Akademie der bildenden Künste und dem Museumsquartier gelegen und damit für auswärtige KuratorInnen als Abstecher von diesem gerade zumutbar.
Obwohl die Schleifmühlgasse etwas weiter entfernt ist, liegen in den dortigen Galerien kopierte Stadtpläne aus, die sie als Umgebung des Museumsquartiers benennt. Tatsächlich gibt es kaum eine Kunstinstitution, die wirklich weit weg wäre, aber die Schleifmühlgasse ist auch in anderer Hinsicht ein Phänomen. Die Gegend hat in den letzten Jahren ganz stark auf Creative Industries gesetzt und es damit unter anderem auf eine beträchtliche Konzentration an Galerien gebracht. Als der Galerist Georg Kargl vor 3 Jahren seine grosszügigen Räume bezog, war die Gegend, das sogenannte Freihausviertel, ein relativ ödes Wohnviertel. In intensiver Zusammenarbeit mit anderen Geschäftsleuten der Umgebung wurde das Freihausviertel als Marke etabliert, auch das für innerstädtische Geschäftsstrassen inzwischen obligate Logo fehlt nicht, entworfen vom Künstler Gerwald Rockenschaub. Durch die Renovierung zahlreicher Häuser, die Neupositionierung des Schikanederkinos, den Zuzug weiterer Galerien und in Folge von Design- und Modegeschäften wurde ein Gegenstück zu hippen Londoner oder New Yorker Vierteln geschaffen. Die dadurch gestärkte Lokalszene tat ein übriges, um das Freihausviertel zum Inbegriff urbanen Lebens in Wien zu machen.
Ein ungewöhnlicher Galeriencluster hat sich in der Pariser Rue Louise Weiss gebildet, wo bis vor kurzem noch Lagergebäude der Bahn standen. Im Zuge des Neubaus der Bibliothèque de France, einem der Grands Projets des Expräsidenten Jacques Mitterand wurden die Industriegebäude der Gegend abgerissen und durch Büroneubauten ersetzt. Wie es sich für Neubaugebiete gehört, wurden in die Erdgeschosszonen Geschäftslokale geplant. Vom nahegelegenen Bibliotheksbau sollten Läden der gehobenen Preisklasse profitieren, deren Interesse jedoch ausblieb, sodass bald Obdachlose die gedeckten Fusswege im Erdgeschoss als Schlafplatz entdeckten. Diese Konstellation aus Mietentgang, drohender Verwahrlosung und einem kunstsammelnden Bezirksbürgermeister führte schliesslich zur Idee, Galerien anzusiedeln. Durch die Schaffung, besonders günstiger Mietkonditionen gelang es 1997, fünf Galerien von den traditionellen Standorten Marais und Bastille abzuwerben. Obwohl die nähere Umgebung ausser der Bibliothek nach wie vor kaum etwas zu bieten hat, drängen sich die BesucherInnen bei den gemeinsamen Eröffnungen und längst sind weitere Galerien zugezogen.
Ein Musterbeispiel dafür, wie ein Kunstmuseum das Image und die Repräsentation einer Stadt tiefgreifend verändern kann, ist das Guggenheim Museum in Bilbao, erbaut von Frank Gehry. Der spektakuläre Bau, von Rem Koolhaas als »generic masterpiece« bezeichnet steht allerdings nicht alleine da. Die Strategie der Stadt, auf einen »cultural touch« zu setzen, hat zu Bauaufträgen auch für andere Stararchitekten geführt, so die U-Bahn Stationen von Norman Foster oder Santiago Calatravas Brücke über den Fluss Nervio. Das Konzept von spektakulärer Architektur und globalem Kulturimport von Marken wie Guggenheim, Gehry oder Foster ist voll aufgegangen und wird als »Bilbaoing« gefeiert. Ob auch Salzburg seiner musealisierten Innenstadt demnächst noch ein Guggenheim Museum hinzufügen kann, wird gegenwärtig wieder diskutiert und so wurden in Hans Holleins Büro die Pläne für das nicht minder spektakuläre »Museum im Berg« wieder aus der Schublade genommen.
Es gibt noch viele prägnante Beispiele dafür, wie der Kunstbetrieb sich in städtische Gefüge einschreibt. In den neunziger Jahren war Berlin Mitte der Prototyp für einen Stadtteil, in dem unter dem Einfluss von KünstlerInnen, Galerien, und auch Bars, Clubs und Szeneläden ein wahrer Kreativboom ausgebrochen ist. Heute ist die tiefgreifende Ökonomisierung längst vollzogen und die Galerien in Mitte sehen sich langsam nach neuen Orten um, nachdem die einstigen Pioniere - von ihren Nachzüglern angewidert - die »Abmittung« ausgerufen haben. Im Interview mit Jochen Becker sprachen wir über neue Territorien in Berlin, Jutta Blume beschreibt in ihrem Beitrag die gegenwärtige Entwicklung in Mitte aus der Perspektive jener autonomen Szene, die den Ruf des Bezirks unmittelbar nach der Wende mitbegründet hat.
In diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, darf das Konzept der europäischen Kulturhauptstadt. Mit dem Obmann der Grazer Grünen, Hermann Candussi, sprachen wir über seine Vorbehalte gegenüber Graz 2003, Priska Grafs Bildbeitrag zeigt Ansichten aus Porto, deren Status als Kulturhauptstadt 2001 gerade zu Ende gegangen ist.
Fußnoten
Tate Marketing Direktor Damian Whitmore anlässlich eines Vortrags im März 2001 in Wien. ↩︎
Peter Mörtenböck: Verteilte Autorenschaft: Stadtumbruch und Übersetzung, http://webstadt.lion.cc/london/540103/htm/textmoertenb.htm, www.aim.sub.cc ↩︎
Andreas Fogarasi ist bildender Künstler und Redakteur von dérive.