Elke Krasny

Elke Krasny ist Kuratorin, Stadtforscherin und Professorin für Kunst und Bildung an der Akademie der bildenden Künste Wien.


Nie ist der White Cube ein neutraler Raum. Seine Gesetze sind die, die als herrschende die Konventionen bestimmen. Seine Neutralität wirkt vor als Maskierung einer Ideologiekonstruktion, die von ihm ausgehend öffentlich wirksam wird. In ihrem jüngsten gemeinsamen Buch mit dem Titel Black Sound White Cube stellen Ina Wudtke und Dieter Lesage eine kritische Gegengeschichte der Audiology vor, die sich gekonnt vergleichend und analytisch verbindend zwischen Kunsträumen, neoliberaler Produktionslogik, Marketinglabels à la black music, inter-kultureller Recherche und globalen Migrationsmustern im DJing als Diasporakultur bewegt.
Dieser White Cube, so argumentieren die bildende Künstlerin, Kuratorin und DJ Ina Wudtke und der Philosoph Dieter Lesage, wirkt als jene Agentur, die die Audio-Kunst so lange von all ihren anderen (störenden) Kontexten entleert und de-kontextualisiert, bis alles, was zu hören ist, dem Gesetz der Whiteness entspricht. Diese Whiteness ist keine formale Kategorie, sondern eine der Ethik. Diese Entsprechung als Subordination, diese Entsprechung als Akt der Depolitisierung analysieren Wudtke und Lesage aus gegenhegemonialer Perspektive. Ihre kritische Gegenwartsgeschichte der Audiology markiert Stationen des Angeeignet- und Umgedeutet-Werdens wie die »black diasporic origins of DJing«, die in dem Moment verschwinden, in dem die Turntables im White Cube ankommen.
Vom Protest der Black Emergency Cultural Coalition mit Michele Wallace und Faith Ringgold vor dem Whitney Museum in New York im Jahr 1971 über die euphorische Rezeption des Rhythmus der post-industriellen deutschen Band Kraftwerk »among young blacks«, im New Yorker Hip Hop wie im Detroiter Techno, bis zu Yvette Matterns persönlicher Auseinandersetzung mit »racial stereotypes« im »Interview with My Mother, Mulatta/Mestizo« von 2008 und zu Sonia Boyce, einer Vertreterin des Black-British art movement, die mit ihrem Devotional Wallpaper eine Versammlung jener Namen weiblicher Musikerinnen vornahm, die seit den 1960er Jahren im UK-Kontext eine entscheidende Rolle in den Clubs und der popular art gespielt haben, sowie zu dem in Manhattan lebenden Sanford Biggers und seiner Kollaboration mit einem buddhistischen Mönch in Japan »Hip Hop Ni Sasagu (In Fond Memory of Hip Hop)«, in dem »silver bling jewellery« in rituelle Meditationsglocken umgearbeitet wurden, spannt ihre kritische Audiology einen präzisen Bogen des Übersehenen, des Ausgelassenen auf.
Im Kontext der bildenden Kunst geht es um die übersehene Konstellation einer doppelten Marginalisierung in ihren historischen geopolitischen Wurzeln bis zu jüngsten globalisierten Ausstellungsprojekten. Zum einen hat Sound als Kunstform eine marginalisierte Position, zum anderen wird Black Sound in der Geschichte der Sound Art nochmals marginalisiert. Der White Cube segregiert Sound, er segregiert Sound durch Rezeptionsverhinderung seiner kulturellen, sozialen und politischen Wurzeln. Die Logiken der Segregation orten Wudtke und Lesage im Ausstellungsdispositiv auch in dem schwierigen Verhältnis der Dominanzfragen zwischen sound und image. Sie dekonstruieren die Raumkonventionen und Repräsentationsgesetze des Betriebssystems als ideologische Konstruktionen von Machtbeziehungen und Ausschlüssen, die in den Einschlüssen hergestellt werden.
Auch die Black Box, eine der kuratorischen Antworten auf die Herausforderung von Sound Pieces, folgt bruchlos den Logiken des White Cube. Theoretisch von Slavoj Zižek beeinflusst, weisen sie darauf hin, dass trotz der Kritiken des White Cube durch Brian O‘Doherty, der als Person zur Analyseikone und dessen Publikationen im Art Forum aus dem Jahr 1976 zur Standard-Universtitätslektüre aufgestiegenen sind, der White Cube ungebrochen als hegemonialster Typus aller Orte im Ausstellungsdispositiv der Gegenwartskunst wirkt.
Geschult an der Theoriebildung feministischer Positionen, die Fragen von Sichtbarkeit mit denen kanonisierender Repräsentativität verbindend, analysieren Wudtke und Lesage die Ausstellung See This Sound. Promises in Sound and Vision, kuratiert von Cosima Rainer, die bei Linz 09, dem Europäischen Kulturhauptstadtjahr, im Lentos Kunstmuseum stattfand. Wiewohl der Fluxusbewegung mit John Cage, George Maciunas, George Brecht, Nam June Paik und Yoko Ono viel Aufmerksamkeit gewidmet wurde, war die Geschichte unvollständig, der Beitrag des afro-amerikanischen Musikers und Komponisten Benjamin Patterson nicht vertreten. Das Ausstellungskapitel See This Sound zeichnete sich durch die Abwesenheit von Detroit Techno, Chicago House oder New York Hip Hop aus. Ihre detaillierte Ausstellungsanalyse macht deutlich, wie kuratorische Entscheidungen innerhalb der Formation des Gegenwartskunst-Kanons wirksam werden. Eine Umschreibung des Kanons ist unerlässlich.
Wudtke und Lesage produzieren eine kritische Gegen-Geschichte zum Verhältnis zwischen DJ Culture und Kuratorien. Nicolas Bourriaud kuratierte in den 1990ern künstlerische Positionen von Vanessa Beecroft, Liam Gillick, Dominique Gonzalez-Foerster oder Gabriel Orozco und bettete diese in die Referenz DJ Culture ein. Wudtke und Lesage begreifen diesen Bedeutungstransfer als ex post facto, als kuratorische Setzung, die nicht aus den Arbeitsmethoden der KünstlerInnen resultiert. Im Gegenzug stellen sie Positionen vor, die DJ Culture als konstitutiv für das künstlerische Arbeiten begreifen wie die von Nadine Robinson, Minouk Lim, Sanford Biggers, Jennie C. Jones, Yvette Mattern und Yoel Vazquez. Die in Seoul lebende und arbeitende Minouk Lim verwendet in dem Video New Town Ghost Breakbeats, die auf einem Pickup-Truck live gespielt werden, gemeinsam mit einer weiblichen Rapperin und setzt sich mobil-kinematografisch und als Sound-Manifestation im öffentlichen Raum mit dem Gentrifizierungsprozess in Yengdeongpo auseinander, wo kleine Geschäfte und örtliche Anwohner-Innen durch die Transformation in eine so genannte new-town vertrieben werden.
Das Fazit der analytischen Bestandsaufnahme des Verhältnisses zwischen Black Sound und White Cube ist eine kulturpolitische Forderung: »The white cube will have to rethink its audiology.«


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