Besser scheitern. Plädoyer für ein reset
»Try again. Fail again. Fail better«, Ausstellung in der Kunsthalle BudapestAlleine der Titel der Ausstellung Try again. Fail again. Fail better umschreibt bereits das komplexe Feld, das die Kuratorin Hajnalka Somogyi mit den ausgewählten KünstlerInnen diesen Herbst in Budapest eröffnete. Er ist einem Zitat von Samuel Beckett aus Worstward Ho entnommen: „All of old. Nothing else ever. Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better.“ Diese vielschichtigen, oft linguistischen und literarischen Referenzen sind kennzeichnend für Hajnalka Somogyis kuratorische Praxis. So konzipierte sie 2007/08 für die neu eröffnete Vitrine der Secession in Wien eine Serie von Arbeiten von Zbyneˇk Baladrán, Mikloš Erhardt und Saso Sedlacˇek, die sie Footnotes nannte und die sich auf das Verhältnis des historisch beladenen Hauptgebäudes der Secession zu diesem neuen „Nebenspielfeld“ im urbanen Raum bezogen. Hierarchien innerhalb eines Textes werden hier zur Referenz für das zeitgenössische Ausstellungswesen und dessen Machtstrukturen.
Auch in der Ausstellung im Mücsarnok arbeitete Hajnalka Somogyi mit den Widersprüchen zwischen den Erwartungshaltungen, die an die Moderne – und auch die Institutionen, die sich diesem Glauben verpflichtet fühlen – gestellt werden, und deren aktueller Bedeutung, die von den beteiligten KünstlerInnen auf vielfältige Art befragt wird. Ein Unterfangen, das in vielen Ausstellungen, die sich zuletzt diesem Thema gewidmet haben, kein leichtes, aber umso aktueller und wichtiger ist – je schwieriger es scheint, vor dem aktuellen Scheitern noch das Risiko zu wagen, Utopien der Machbarkeit Raum zu geben.
Die Arbeiten der KünstlerInnen bewegten sich in ineinander verwebenden Erzählsträngen zwischen Kartografie, Reisen und Architektur. Der erste Ausstellungsraum war mit einer dekorativ anmutenden Tapete The Grand Ensemble von Terence Gower ausgekleidet. Betrachtet man diese in ihrer vielfachen Wiederholung, entschlüsselt sich das Muster als eine Zusammensetzung von Elementen einer typischen sozialen Wohnbausiedlung der USA. In der Wiederholung liegt sowohl die Faszination als auch die Verstörung ob der gescheiterten Erfahrungen. Diese thematisierte auch Michael Rakowitzs traurig-schönes Storyboard Dull Roar anhand des Paradebeispiels der Sprengung von Pruitt-Igoe in St. Louis von 1972, die für Charles Jencks als das Ende der modernen Architektur gilt.
Eine weitere, allerdings positiv besetzte Ikone der Moderne, die weltberühmte katholische Kirche Ronchamp von Le Corbusier, behandelt Caspar Stracke in seinem Video Rong Xiang, in dem er die chinesische Replik von Le Corbusier vorführt, bevor diese 2006 kurz nach ihrer Errichtung aufgrund eines Einspruchs von Anwälten, die das Erbe Le Corbusiers verteidigten, geschleift wurde. Die Wiederholung war ein Prinzip der Moderne, das die Welt erobern und damit auch westlich kolonialisieren wollte. Die unterschiedlichen kulturellen Kontexte wurden dabei jedoch oft ausgeblendet.
David Maljkovic beschäftigt sich in seinen Video- und Fotoarbeiten mit der jüngeren Geschichte Kroatiens anhand der architektonischen Utopien der 1960er und 1970er Jahre. Hier zeigt er Ausschnitte aus Lost Memories From these Days, die um den italienischen Pavillon der Zagreber Messe, den Tito als seltenes Beispiel des ökonomischen Austauschs zwischen Ost und West errichten ließ, kreisen. Ein Relikt, das an die Erfindungen der Moderne wie Weltausstellung oder internationale Messen erinnert und nun in Vergessenheit vor sich hinschlummert.
Rosalind Nashashibis 16-mm-Film The Bachelor Machines, Part 1 zeichnet in langen, meditativen Einstellungen den Arbeitsalltag der Crew eines Frachters als anachronistisches Bild einer Handvoll Männer in ihrem Umgang mit der Riesenmaschinerie. Die Zeitreise, in die uns die Künstlerin versetzt, macht die Diskrepanz zu den aktuellen, hochtechnologisierten Bereichen unserer Gesellschaft offensichtlich. Diese „Distanz zum einst heroischen Bild der männlichen Vision der Eroberung der Welt” wird durch die Referenz zu Marcel Duchamps Meisterwerk im Titel nochmals aufgeladen – von einer Künstlerin gewählt.
Einige Arbeiten der Ausstellung widmeten sich Strategien der Klassifikation, der Strukturierung der Welt. Ania Molskas Video Tanagram zeigt athletische Männer, deren spärliche Bekleidung an Bondage-Clubs denken lässt, wie sie überdimensionale schwarze Tangram-Objekte, die an den Suprematismus erinnern, im Raum bewegen. Diese Männer schieben heroisch Geschichte herum (Ziel ist es, das Schwarze Quadrat von Malewitsch zusammenzusetzen), und es stellt sich die Frage, welche (neue) Rolle sie in diesem Spiel spielen.
„You can decide what history to choose for yourself, and that becomes a decision about your future as well.“ Dieses Zitat der Kuratorin könnte als Motto über der Ausstellung gestanden haben. Die Langsamkeit, die allen Arbeiten gemeinsam ist, und der großzügige Umgang mit dem Raum führten dazu, zwischen den Zeilen und den Arbeiten zu lesen. Die Utopien der Moderne wurden auf den Boden der aktuellen Realität geholt, die mit ihr einhergehenden Konstrukte dekonstruiert und entheroisiert – und doch ging der Subtext der Ausstellung weit darüber hinaus. Der Ausstellungstitel steht symptomatisch für den omnipräsenten Fatalismus unserer (turbo-)kapitalistisch geprägten Gegenwart, die uns scheinbar zwingt, an nichts mehr zu glauben. So schwingt in den subtilen Andeutungen, die in der Ausstellung entstanden, jedoch nie ausgesprochen wurden, noch eine Frage mit, nämlich jene, ob es denn (heute oder künftig) weibliche Visionen gäbe, und wie jene aussähen.
Die inspirierende Ausstellung, vorwiegend in schwarz-weiß gehalten und durch diese formale Reduktion genau die Zwischentöne zwischen nicht eingelösten Versprechen und neuen Visionen ansprechend, endete in der einzigen Arbeit in Farbe: dem Video When Faith Moves Mountains von Francis Alys. Alys versetzte mit 500 Freiwilligen innerhalb eines Tages eine Sanddüne in Peru um zehn Zentimeter. Dieser Glaube, der Berge versetzen kann, beendete die Schleife und eröffnet einen neuen Blick. Try again. Fail again. Fail better nimmt uns bei der Verantwortung, etwas in Bewegung setzen zu können – wenn wir nur daran glauben.
--
Ausstellung
Try again. Fail again. Fail better
Mücsarnok/Kunsthalle, Budapest
27. September bis 9. November 2008
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.