Axel Stockburger


Listening to music, is listening to noise, realizing that its appropriation and control is a reflection of power, that is essentially political.
Jacques Attali

Die von Doreen Mende kuratierte Ausstellung Ear Appeal, die bereits im Spätherbst in der Kunsthalle Exnergasse stattfand und wegen des Schwerpunkts Stadt hören für diese Ausgabe nachträglich besprochen wird, eröffnete Fragestellungen nach den Zusammenhängen zwischen Klängen als konzeptuellem und analytischem Material und deren Bedeutung für die Herstellung und Kontrolle verschiedener räumlicher Situationen in der Alltagspraxis. Wie der französische Kulturtheoretiker Jacques Attali in seinem Buch Noise feststellt hat, lässt sich die Kontrolle über das was, wo und wie gehört wird, in dem Sinne, dass dies immer mit der Macht über die Produktion sowie die Distribution des Klangmaterials verbunden ist, als essentiell politisches Moment begreifen. Damit befindet sich jede Art der Klangproduktion, ob sie als Musik rezipiert wird oder durch politischen Aktivismus im urbanen Raum entsteht, in einem dichten Spannungsfeld von divergierenden Interessen und Regulationsstrukturen.

Die ausgewählten Arbeiten in Ear Appeal beziehen sich auf unterschiedliche Flexionen dieses Themenfeldes. Mika Taanilas Kurzfilm Thank You For the Music (1997) etwa untersucht das Phänomen Muzak, benannt nach der 1922 gegründeten US-Firma Muzak Incorporated. (Siehe dazu auch den Artikel Muzaks Macht von Michael Parzer in diesem Heft.) Wie Joseph Lanza in seinem Buch Elevator Music im Detail ausgeführt hat, handelt es sich dabei um den Versuch, funktionale Musik für Fabriken und Einkaufszentren zu entwickeln, die die Produktiv- und Konsumleistung der Individuen steigern sollte. Muzak ist sehr eng an die Rhythmen des menschlichen Körpers gebunden und kann im weiteren Sinne als biopolitisches Instrument zur Steuerung menschlichen Verhaltens in spezifischen räumlich definierten Situationen verstanden werden. Tananilas Film zeigt allerdings, wie sich das kommerzielle Versprechen auditiver Manipulierbarkeit in der Realität nicht einlösen lässt und wie sich das Individuum emotional davon lösen kann.

Auch der Beitrag von Genesis P-Orridge, dem Gründer des Temple of Psychick Youth, ein Text aus der Essaysammlung Esoterrorist, bezieht sich auf Muzak als Phänomen des Human Engineering. Hier allerdings setzt P-Orridge, der in der Tradition von William Burroughs und Brion Gysin Cut-Up-Methoden verwendet, auf eine individuelle, von Privatmythologien gespeiste Anti-Muzak, die der normativ entwickelten Klangwelt entgegengestellt wird.

Module 01: Tactical Audio, eine Kollaboration zwischen der Londoner Künstlerin Paula Roush und dem Kollektiv msdm, stellte ein umfangreiches Archiv von auditiven Taktiken und Strategien des Protestes (field recordings von Demonstrationen, Radiosendungen, auditiven Interventionen usw.) auf Schallplatten zur Verfügung, das die BesucherInnen der Ausstellung zu DJs des Materials machte. Dieses Tactical Audio Archive ist online zugänglich und wird durch neue Beiträge permanent erweitert. Im Rahmen der Ausstellung fanden ein Workshop sowie eine Radiosendung statt, die sich mit Fragen nach der auditiven Repräsentation von Protest beschäftigten. Hier wird auf exemplarische Weise klargestellt, welchen, oft genug übersehenen, Stellenwert auditive Performanz für die Herstellung von Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum hat, und gleichzeitig geforscht, wie sich auditive Interventionen für Protestaktionen nutzbar machen lassen könnten. (Siehe auch http://msdm.org.uk)

Das Künstlerkollektiv Ultra-red setzt im Rahmen einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung den Begriff der Armut (in diesem Fall in der Stadt Wien) in konkreten Bezug zu Sound und klanglicher Präsentation/Repräsentation und weist damit einmal mehr auf den enormen Bedarf hin, ebenjene Formen von Performanz im medialen wie urbanen Raum auch jenseits visueller Dispositive zu denken und zu verstehen.

Die Auswahl von Arthur Köpckes Fluxus-Arbeit piece No. 1 music while you work (1963-65) eröffnet eine historische Perspektive auf das Verhältnis zwischen Alltagspraxis und Klang. Köpcke erarbeitete textbasierte Handlungsanweisungen, um individuelle musikalische Begleitung für Arbeitssituationen zu schaffen, die gegebenenfalls den Arbeitsfluss auch unterbrechen oder ganz zum Stillstand bringen können. So werden Kunst und Alltag in ein neues Verhältnis gesetzt und die Grenzen, ganz im Sinne der Forderungen der Fluxus-Bewegung, über eine ästhetische Intervention zum Verschwimmen gebracht. Justin Bennetts Sundial ist eine Serie von field recordings, die die täglichen Rhythmen verschiedener Städte auditiv erfasst und zueinander in Bezug setzt. 24 Stunden Klang, aufgenommen auf Dächern in Barcelona und Wien sowie in einem Hinterhof in Rom, werden dabei zu Strecken von 8-12 Minuten verdichtet und ermöglichen einen Vergleich der subjektiv erfahrbaren sonischen Urbanität. Emotonial Weather Forecast, eine Installation von Benjamin Bergmann, bestehend aus einer riesigen Holzkonstruktion, die einen trichterförmigen Basslautsprecher nachbildet, erzeugt in einem zeitlichen Abstand von 30 Minuten einen tieffrequenten Basston, der im Ausstellungsraum physisch spürbar wird. Hier werden Körper adressiert, indem Klänge fühlbar werden. Bei diesem subfrequenten Ton schwingen Vorahnungen von Erdbeben, Tsunamis und anderen Naturkatastrophen mit. In Elisabeth Grübels Installation 8000 hz (2006), einem nicht begehbaren Würfel, der eine Vorrichtung zur Erzeugung eines Sinustones mit der Frequenz von 8000 hz beinhaltet, geht es auch um den Körper als Resonanzmedium. Selbst wenn dieser Ton nicht hörbar ist, kann er ein spezifisches Körpergefühl auslösen.

Ear Appeal war eine sehr gelungene Ausstellung, weil sie verschiedene Praktiken der Sound Art (Installation, Performance, field recording) aus einer erweiterten Perspektive betrachtete und sehr präzise verschiedene, in andere Bereiche weisende Dimensionen präsentierte: einerseits die intrinsischen Funktionen des Klanges, Räumlichkeit zu generieren, und damit verbunden die Tatsache, dass bestimmte Klänge auch nur an definierten Orten zu hören sind und so institutionelle Fragen in den Vordergrund rücken; andererseits die Funktionalisierung von Klängen im Sinne einer Affektlogik, entweder in Form von Muzak, unhörbaren Klängen, die dennoch Körper im Raum lenken, oder als wesentliches Moment verschiedenster Formen öffentlichen Protestes. In jedem Fall war hier Jacques Attalis Einsicht, dass das menschliche Verhältnis zur Erzeugung und Rezeption von Klängen und Musik immer schon in sozioökonomischen und politischen Feldern verankert ist, auf sehr überzeugende Weise reflektiert.

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Ausstellung
Ear Appeal
Arbeiten von Rashad Becker, Justin Bennett, Benjamin Bergmann, Elisabeth Grübl, Arthur Köpck, Genesis P-Orridge, Ruszka Roskalnikowa, Paula Roush, Mika Taanila, Ultra-red, Annette Weisser
Kunsthalle Exnergasse / WUK
19. Oktober bis 18.November 2006


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