Bunte Vorarbeiten für die vierte Republik
Antirassismus muss politisiert werden. Diese Feststellung klingt aufs Erste absurd, erscheint doch Rassismus als ein zentraler Konfliktpunkt in der österreichischen politischen Landschaft und darüber hinaus. Erst bei näherer Betrachtung der Formen, in denen sich Antirassismus hauptsächlich artikuliert, wird diese Feststellung verständlich:
Antirassismus ist - fatalerweise - zum Synonym für das moralische Gute geworden.
Antirassismus muss politisiert werden. Diese Feststellung klingt aufs Erste absurd, erscheint doch Rassismus als ein zentraler Konfliktpunkt in der österreichischen politischen Landschaft und darüber hinaus. Erst bei näherer Betrachtung der Formen, in denen sich Antirassismus hauptsächlich artikuliert, wird diese Feststellung verständlich:
Antirassismus ist - fatalerweise - zum Synonym für das moralische Gute geworden. Antirassismus wird als Label und als PR-Trick (Ljubomir Bratic in widerst@nd-MUND vom 22.5.00) nicht nur von Parteien zur symbolischen Positionierung sondern auch von NGOs zur Lukrierung von Projektgeldern benutzt. Antirassismus wird seiner Inhalte entleert, indem er von einem Teil des Mainstream bloß als Bannspruch gegen den rechten Rand verwendet wird: Keine Koalition mit dem Rassismus! Auf sakral anmutenden Massenveranstaltungen werden Beschwörungsrituale inszeniert, auf denen es nur um Reinheit und Abwehr und nicht um Forderungen nach konkreten politischen Struktursetzungen geht. Rassismus ist ein Dämon, der den gesunden Körper der Gesellschaft befällt und ihm seine braune Fratze aufdrückt. Das Opferlamm dieser überwiegend weißen Inszenierung ist hingegen afrikanisch-schwarz.
Diese Inszenierung ist nicht nur aufgrund des ihr eigenen Rassismus kritisierbar. Sie verkennt auch das Phänomen des Rassismus selbst und bleibt solchermaßen diesem gegenüber relativ wirkungslos. Die Reproduktion von Rassismen erfolgt flexibel in immer neuen Mutationen in Verbindung mit anderen parallel laufenden asymetrischen Machtverhältnissen zwischen einer (krypto)ethnisch definierten hegemonialen Gruppe und einer (Vielzahl von) als nicht dazugehörig definierten Gruppe(n). Diese asymetrischen Machtverhältnisse sind allem voran dem Nationalstaat durch die ihm fundamentale Unterscheidung zwischen StaatsbürgerInnen und Fremden mitsamt einer Fülle von Privilegien für Erstere und eine Fülle von Ausgrenzungen für Zweitere eingeschrieben. Der moralisch-symbolische Antirassismus kommt nicht einmal in die Nähe des Antastens dieser Machtverhältnisse, Privilegien und Ausgrenzungen.
Neben der moralischen existiert aber auch eine politische Richtung des Antirassismus. Das Politische entsteht nach Rancière (1997) dort, wo Orte und Formen der Begegnung und Auseinandersetzung zwischen den hegemonialen Prozeduren der Distribution von Positionen, Funktionen und Legitimationen auf der einen Seite und dem Prozess der Infragestellung dieser Distributionen auf Basis der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen auf der anderen Seite geschaffen werden. Der politische Antirassismus findet in Österreich eine hochgradig rassistische Strukturierung der Verteilung von Positionen, Funktionen und Legitimationen zwischen rassistisch Diskriminierten und nicht Diskriminierten vor. Sogar im EU-Vergleich kann sich der systematische Ausschluss der größten rassistisch diskriminierten Gruppe, nämlich der MigrantInnen, »sehen lassen«. Seit den frühen 70er-Jahren ist Österreich das letzte Land in Europa, in dem ausländische ArbeitnehmerInnen mangels passiven Betriebsratswahlrechts nicht die eigenen Interessen selbständig vertreten können; von kommunalem Wahlrecht ganz zu schweigen. Seit Anfang der 90er-Jahre wurden die fremdenrechtlichen Bestimmungen in andauerndem Konflikt mit den menschenrechtlichen Mindeststandards verschärft. Der massive Ausbau der Sicherheitsexekutive mündete Ende der 90er-Jahre in eine bisher nicht gekannte Welle der Repression gegenüber rassistisch Diskriminierten unter dem Deckmantel der Drogenbekämpfung. (Siehe andere Artikel in diesem Heft).
Die Herstellung von Orten und Formen der Begegnung und Auseinandersetzung zwischen der hegemonialen Distribution und deren Infragestellung stellte demgegenüber seit der Etablierung der Sozialpartnerschaft ein marginales Phänomen in der österreichischen politischen Landschaft dar. Mit dem Regierungswechsel im Februar 2000 ist dieses sozialpartnerschaftliche System allerdings zur Demontage freigegeben. Die anbrechende dritte Republik zeichnet sich durch eine weitergehende Angleichung an die internationalen Standards des neoliberal-autoritären Staatsmodells aus; Ausbau des Sicherheitsapparats, Abbau des Sozialstaates, Flexibilisierung-Prekarisierung-Pauperisierung, Verschärfung der sozialen Gegensätze, Aufgabe der Neutralität und Nato-Beitritt. Auch der rassistische Ausbau der Festung Europa, für den Österreich in Europa bereits unter sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung zum Vorreiter geworden ist, wird weiter fortgesetzt und durch green-card-Modelle ergänzt.
Unter diesen Vorzeichen versuchen die sich im Bereich des politischen Antirassismus vernetzenden Gruppen an Terrain zu gewinnen. Ansätze zur Weiterentwicklung einer kritischen Zivilgesellschaft lassen sich im »Widerstand« finden und vorantreiben. Allerdings zeigt sich nach vier Monaten dieses gegenwärtig noch nicht über das Stadium einer Protestbewegung hinausgewachsenen »Widerstandes«, dass sich der hegemoniale Block trotz der gravierenden Veränderungen der politischen Landschaft Österreichs nicht gespalten hat. Die Oppositionsparteien stimmen in das wagenburgbauende Gerede gegen die (mehr als symbolischen?) Sanktionen der anderen EU-Staaten mit ein. Die Gewerkschaften verhalten sich ruhig. Die Mainstream-Medien haben sich größtenteils sehr rasch an die neue Regierung gewöhnt und sind bei ihrer gewohnt sparsamen Regierungskritik geblieben. Und selbst die NGOs, die den Regierungswechsel zunächst vollkommen verschlafen und die Organisierung der Protestbewegung einigen wenigen politischen Gruppen überlassen hatten, wurden im Rahmen der ersten Maßnahmen der neuen Regierung (Erhöhung der Postversandstarife für Vereinszeitungen und Zivildienerkürzungen) bloß lobbyistisch aktiv. Die machteinbüßenden Gruppen reagieren nicht offensiv auf die Umwälzungen, sondern versuchen bloß - so hat es den Anschein -, jedeR für sich möglichst ungeschoren davonzukommen. Dies mag auch daran liegen, dass zwar der symbolische Effekt der Regierungsbildung ein dramatischer ist, auf der Ebene der konkreten policies jedoch in weiten Teilen bloß eine Fortschreibung dessen stattfindet, was schon unter sozialdemokratischer Regierungsbeteiligung als unumgänglich vorbereitet oder sogar schon umgesetzt wurde. Nichtsdestotrotz sind die Vorzeichen für den Zusammenhalt des hegemonialen Blocks gegenüber antirassistischen Forderungen nicht mehr so eindeutig wie vor dem Regierungswechsel. Die Maßnahmen der Regierung bieten immer wieder Stoff für neue Unzufriedenheiten und für Druck auf die jeweiligen Institutionen und Verbände, gegenüber der Regierung zu härteren Aktionen zu greifen. Gleichzeitig wächst die Zahl derer, die potentiell für Alternativen zu gewinnen sind.
Solchermaßen ist noch immer ein Anbranden des politischen Antirassismus gegenüber den vielen relativ stabilen Positionen der Hegemonie zu konstatieren, die sich vorwiegend unter dem Druck der reaktionären Gegenströmungen ausrichten und verändern, sich jedoch gleichzeitig diesem immer wieder wellenartig aufbrechenden Anbranden des politischen Antirassismus durch Immunisierungen in Form von symbolischen Akten zu entziehen suchen. Bei diesen Immunisierungen spielen die Rituale des moralischen Antirassismus eine wesentliche Rolle, indem sie das Übel in einem möglichst klar abgesteckten Bereich verorten (bis hin zur Personalisierung) und von den strukturellen Verankerungen der Rassismen ablenken.
Demgegenüber wachsen die antagonistischen Potentiale entlang der Rassismusproblematik. Die soziale Lage der rassistisch Diskriminierten ist von weitgehender Prekarisierung gekennzeichnet. Der systematische Ausschluss der ersten MigrantInnengeneration wirkt gegenüber der heranwachsenden zweiten Generation ohne österreichische Staatsbürgerschaft weitaus stärker, weil diese aufgrund der wesentlich schwächeren Verbindung mit den Herkunftsländern ihrer Eltern nicht mehr die Option der Rückkehr sondern nur die Option der Auswanderung samt allen damit verbundenen Nachteilen haben. Aus der Position entsteht jedoch noch keine politische Aktivität. Es müssen Interessen formuliert und artikuliert werden. Es muss eine Organisierung entlang dieser Interessendiskurse stattfinden. Die tragenden Gruppen müssen ihre Macht in Auseinandersetzungen mit der hegemonialen Ordnung entwickeln.
Die Präsenz von Organisationen der zweiten Generation in konkreten Auseinandersetzungen ist - abgesehen vielleicht von Pamoja in der african community - marginal. Im gegenwärtigen Stadium spielen die politischen Eliten der ersten Generation, die sich verstärkt der österreichischen Politik zuwenden, eine tragende Rolle im Spektrum des politischen Antirassismus. Politische Organisationen wie die Demokratie für Alle (AK-Fraktion), das EU-Migrantenforum und Die Bunten überschreiten die Grenzen der Segregation zwischen den großteils noch immer herkunftslandorientierten MigrantInnen-Communities. Sie dringen in die Netzwerke und Szeneveranstaltungen der etablierten NGOs ein und konfrontieren diese mit ihren eigenen Rassismen, was diesem Eindringen stets eine konflikthafte Note verleiht.
Die Form der Vernetzung und der Plattformenbildung ist typisch für diese neuen Organisationen, die vorwiegend von MigrantInnen der ersten Generation getragen werden, die aber auch Angehörige der zweiten Generation und nicht rassistisch Diskriminierte inkludieren können. Sie funktionieren nicht nach dem Modell von Spitze und Gefolgschaft (Basis). Ihr Mobilisierungspotential ist relativ gering und für jede Aktion aufs Neue zu bearbeiten. Stattdessen erweitern sie ihren Aktionsradius durch Ausbildung von immer neuen Netzknoten. In immer neuen Arbeitsgruppen werden weitere Personen und damit weitere Arbeitskraft, welche die bei weitem dominierende Ressourcenform in diesen Gruppen darstellt, in das Geflecht miteinbezogen. In der Vernetzung entwickeln sich dichte subkulturelle Zusammenhänge samt entsprechenden Diskursen. Anders als in den NGOs wird Expertise nicht in Bezug auf Lösung von sozialen Problemen sondern in Bezug auf den Eintritt in Auseinandersetzungen angehäuft.
Systemalternativen harren in diesen Vernetzungen der Formulierung. Ein integrales Menschenrechtskonzept, das die ökonomischen Zusammenhänge in Zeiten der rasanten Nomadisierung des transnationalen Kapitals und die Vielfalt der Lebensformen berücksichtigt, wird ebenso angedacht wie ein Antidiskriminierungspaket, das eine Gleichbehandlung aller Menschen unter Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse und daher unter Vermeidung von Assimilationsdruck ins Zentrum stellt. Medienprojekte wie die Bunte Zeitung und die zunehmende Vernetzung via Internet dienen der Proliferation dieser Diskurse und forcieren damit die Entwicklung einer kritischen Zivilgesellschaft, die eine vierte Gewalt in einer neu zu gestaltenden vierten Republik darstellen soll.
Andreas Görg