Center for Landuse Interpretation
Center for Landuse Interpretation (CLUI) »Dedicated to the increase and diffusion of information about how the world’s lands are apportioned, utilized and perceived«
»Es ist unmöglich, objektiv zu sein. Das ist ein platonisches Ideal. Aber man kann mehr oder weniger objektiv sein. Wir versuchen, objektiv zu sein und die Landschaft für sich selbst sprechen zu lassen. Wo kuratiert wird, da gibt es auch viel Raum für Interpretation.«
Matthew Coolidge, Programmdirektor, Center for Landuse Interpretation (CLUI)
Das erste Mal sind wir fast am Gebäude vorbeigegangen – so unprätentiös sind sowohl Eingang als auch Lage, irgendwo in der Agglomeration Los Angeles auf dem Weg nach Venice, in einem Bereich, wo der Venice Boulevard zu Culver City gehört. Die Beiläufigkeit der Lage spiegelte sich dann auch in Matthew Coolidges Umgang mit »heißen« Themen wider. Die im Juli 2004 gezeigte Ausstellung Emergency State – First Responder and Law Enforcement Training Architecture* zeigte einen umfassenden Überblick über spezielle Trainingsorte für das Los Angeles Police Department (LAPD) (die Ausstellung ist auf der Website des CLUI umfassend dokumentiert; Anm. d. Red.). Im black cube des CLUI sind die Fotos in Lichtboxen arrangiert und mit Erläuterungstexten versehen. Fast neutralisierend wirkt die Präsentation dieser Parallelwelten, die oft außerhalb der Stadt, in der Wüste, als Teststätten und Übungsfelder zum Training am »unbemannten Objekt« errichtet wurden und ständig durch neue ergänzt werden. Die Abwesenheit von Personen als Gegenüber wird noch verstärkt durch »authentisch« ausgelegte Spuren und Props (Requisiten), die an ein perfekt arrangiertes Hollywood-Set erinnern, das sich – bei genauerem Hinschauen – eben auch manchmal als zweidimensional entpuppt.
Eine perfekte Simulation der Welt »da draußen« ist das Tactical Training Center in der Stadt Orange, California, wo Tausende von Polizisten, Agenten und private Security-Unternehmen des westlichen Teils der USA trainiert werden. Es wurde in den 1980er Jahren in leicht verkleinertem Maßstab errichtet, so dass die Entfernungen reduziert wurden und die Verfolgungsjagden in einem verdichteten Zeitrahmen stattfanden. Diese training parks vermitteln in eindrucksvoller Weise die Distanziertheit der politischen Instanzen und der Exekutive von gesellschaftspolitischen Problemen und Fragestellungen. Der »Spiel«charakter, den diese Sets vermitteln, steht in eigenartiger Beziehung zu inszeniert wirkenden Hubschrauber-Verfolgungsjagden von vermeintlichen VerbrecherInnen (die höchstens kleiner Delikte beschuldigt werden), die stundenlang live auf TV-Sendern wie Fox übertragen werden. Die prekäre Lage sozialer Enge wird also von der medialen Vermittlung von Verfolgungsjagden als entertainment industry konterkariert. Die Kriegserklärung an das Verbrechen, der »War on Crime«, erscheint dabei ebenso für Einschaltquoten stilisiert. Der Begriff »Krieg« (»Krieg den Drogen«, »Krieg dem Analphabetismus«) ist im US-amerikanischen (Medien-)Alltag omnipräsent.
Das CLUI wurde 1994 gegründet und hat seither ein Netzwerk von Projekten und Kooperationen mit ProjektpartnerInnen entwickelt, das sich über die gesamten USA erstreckt. Ihre Kultur- und Forschungsprojekte sind zwischen den Genres der künstlerischen Intervention und wissenschaftlicher Forschung angesiedelt. Einer der wichtigsten Themenbereiche des CLUI ist die Wüste Kaliforniens. 2000 übernahm das CLUI die Desert Research Station (DRS) in der Mojave-Wüste in Hinkley bei Barstow, das als Zwischenstopp auf dem Weg von Los Angeles nach Las Vegas bekannt ist und an der berühmten Route 66 liegt. Hinkley selbst liegt abseits, und abseits davon liegt die DRS. Sie diente seit ihrer Gründung Bildungszwecken und wurde durch das CLUI um das Angebot von Projektaufenthalten für KünstlerInnen erweitert. Das heißt es besteht die Möglichkeit, vor Ort an einem eigenständigen Projekt zu arbeiten und in einem Trailer, der auch mit einem Büro ausgestattet ist, (allerdings ohne air conditioning als programmatische Voraussetzung) zu wohnen. Andere ProduzentInnen einzubinden und diesen auch die direkte Erfahrung mit der Wüste und ihren Lebensbedingungen zu ermöglichen, ist eine konkrete Operationsebene des CLUI. So hat kürzlich der österreichische Komponist Georg Nussbaumer dort ein Musikstück erarbeitet, bei dem er den »Violoncellostachel als Sonde für Bodenuntersuchungen benutzte und die dabei entstehenden – je nach Bodenstruktur verschiedenen – Klänge aufzeichnete«. Das Ergebnis war ein Diptychon, das aus einem Video (Samon Takahashi), das die Aktion der Wüstenperforationen zeigte, und einem zugleich zu spielenden Violoncellostück, das als instrumentales Echo zum Hall in der Wüste konzipiert und zu verstehen ist, besteht.
Die permanente Ausstellung in der DRS präsentiert sich auf den ersten Blick allerdings wie eine klassische bildungsbürgerliche Ausstellung, zwischen »Haus der Natur« und Geo/Universum. Bei genauerer Betrachtung wird jedoch klar, dass die Auswahl und Beschreibung der Themen doch deutlich von diesen Referenzen abweicht. So werden z. B. die »Driving Ranges« beschrieben. Das sind Teststrecken, die für Automobilhersteller errichtet und betrieben werden. Sie sind das professionelle Ende einer Vielzahl von Orten, die dem Privatvergnügen des Ausführens der SUVs (special use vehicles) aus Los Angeles in die Wüste dienen. So wird die Ausstellung zum Tourismusführer einer anderen Art.
Das Spektrum der Themenfelder von CLUI reicht jedoch bis zu Extrempunkten der Unsichtbarkeit von – in diesem Fall urbanem – Landgebrauch, wie es der Stadttheoretiker Kazys Varnelis in dem Projekt über das »One Wilshire« sichtbar machte. Dieses Gebäude erlangte als »Telco Hotel« Berühmtheit, als das Zentrum für Telekommunikation in den westlichen USA. Von außen scheinbar ein üblicher 30-geschossiger Büroturm aus den 1960er Jahren, direkt an der Kreuzung, wo der prestigeträchtige Wilshire Boulevard auf Downtown trifft, gelegen, scheint er innen jedoch durch von den Decken triefende dicke Bündel von Glasfaserkabeln aus allen architektonischen Rahmen zu bersten.
Die Projekte des CLUI werden trotz ihres kritischen Gehalts oft finanziell von öffentlichen Institutionen oder Regierungseinrichtungen auf lokaler, bundesstaatlicher oder nationaler Ebene (auch von der US-amerikanischen Förderstelle NEA, die ja kaum mehr unabhängige Kunstprojekte fördert) unterstützt. So war z. B. »Emergency State« eine direkte Kooperation mit der LAPD. Wir fragten Matthew Coolidge, eines der Gründungsmitglieder von CLUI, wie es denn möglich sei, Zutritt zu Orten zu bekommen, die als »geheim« eingestuft werden, und dies auch noch für Projekte, die mit dem Ziel der Öffentlichmachung produziert werden. Es keimten schon die ersten Verdachtsmomente von Kollaborationen auf, von verdeckten Agenten etc., als Matthew Coolidge uns in seiner ruhigen Art erklärte: »Wir begegnen dieser Problematik von Geheimnis und Geheimhaltung relativ oft. Vor ein paar Jahren machten wir ein Projekt über Nellis Range im südlichen Nevada, das eine der größten ,verbotenen‘, unter Ausschluss der Öffentlichkeit gehaltenen (restricted) Regionen der USA ist. Es hat fast die Größe Connecticuts, knapp 13.000 m2 Land wurden nach dem Zweiten Weltkrieg von der Öffentlichkeit abgeriegelt. Unser Projekt nannte sich Landscape of Conjecture, weil die Leute ihre Ideen auf den Ort projizierten. Sie haben ihn bevölkert und in ihren Vorstellungen so aufgebaut, dass er mit ihren Ideen über die Gesellschaft übereinstimmt. Wir entwickelten dort eine Reihe von Projekten, sprachen mit der Air Force und den ManagerInnen der Einrichtungen. Am Anfang waren sie sehr unterstützend, aber nach dem 11. September hat sich viel verändert. Es gibt seither eine neue Ebene von Widerstand. Nun muss das Militär auch nicht mehr um seine Zukunft bangen. Orte, die schon ausgedient hatten, werden nun wieder aktiviert.« (Die Operation »Desert Storm« beispielsweise wurde in der Mojave-Wüste genauestens simuliert.)
Die Auswahl von »heißen« Themen und ihre »kühle« Präsentation in Form von reinen »Fakten« ohne Kommentar oder Interpretation öffnen ein weites Feld für Spekulationen, nicht nur was die Aktivitäten des CLUI betrifft, sondern auch die Einrichtungen, die Ziel ihrer Untersuchungen sind. Der »Beruf ohne Profil«, den das CLUI entwickelte, kann unter dem Aspekt des traditionellen Berufes des Geografen betrachtet werden, der vor allem in romanischen Ländern wie Spanien während der Kolonialzeit Hochkonjunktur hatte. Als die Situationisten in den 1960er Jahren die Methode der Psychogeografie entwickelten, (ver)maßen sie den urbanen Raum unter Einbeziehung von emotionalen Qualitäten zusätzlich zu den herkömmlichen urbanistischen Praktiken. Das CLUI verweigert sich allen Kategorien, und romantisch-emotionale Untertöne, die man im Zusammenhang mit emotionalisierten Themen wie »Wüste« oder militärischen Nutzungen und »Geheimnis« erwarten würde, sind schon gar nicht ihre Art. Nach Matthew Coolidge »hat die Mojave als urbanisierte Wüste alle Themen und Problematiken einer urbanen Umgebung, nur verdünnt. Palmdale und Castor werden oft als Orte genannt, die eine Vielzahl von urbanen und suburbanen Themen aufweisen. Die Romantik dieser Orte führt oft dazu, dass ihnen gerne distopische Qualitäten zugeschrieben werden. In Wirklichkeit sind es Orte wie alle anderen; nur dass der Müll nicht – wie in den wirklichen Städten – auf wunderbare Weise verschwindet.
Die Frage ist, inwieweit Spekulation einen klareren und kritischeren Blick auf die Realität, oder auf Fakten, die als Realität präsentiert werden, hervorrufen kann. Wie verhält sich Spekulation als distanzierte Rezeption in Bezug auf direkte Erfahrung? Streng und sachlich und somit »unkalifornisch« präsentieren sie sich insgesamt in ihrem medialen Auftritt, sowohl in ihrer sehr umfassenden archivartigen Website als auch in den zahlreichen Publikationen, die sich der Hochglanzkultur offensiv verweigern. Das Logo erinnert auch mehr an eine Regierungsinstitution denn an eine Kunstaktivität, so dass man sich nicht ganz sicher ist, ob es sich bei dieser Institution um eine offizielle Stelle, etwa eine Sonderabteilung kalifornischer Raumplanung, handelt, oder um eine private Institution, die sich mit heiklen Fragen funktionaler Manifestationen beschäftigt. Auch sind die Ergebnisse der Projekte von CLUI stets sachlich und unprovokant formuliert. Die Provokation wird erst unter Fokussierung der vermeintlichen Sichtweisen der Bush-Administration klar: Jedes auch nur halb öffentliche Gebäude in den USA wird zum Staatsinteresse, jedes Touristenfoto ist möglicherweise schon eine Bedrohung (siehe das Künstler-Insert von Julia Meltzer/ David Thorne in der letzten Ausgabe von dérive). Das Internet wird zum Schauplatz eines erbitterten Kampfes gegen den Rest der Welt. Genau hier jedoch bekommt das CLUI einen ganz wesentlichen, neuen Stellenwert in der Bekämpfung der Paranoia. Einerseits werden die Grenzen ernsthaften Staatsinteresses abgesteckt, indem beispielsweise gar nicht versucht wird, in militärische oder sicherheits-bedenkliche Bereiche vorzustoßen. Andererseits werden umstrittene Nutzungen, landschaftsverbrauchende Großprojekte und abgeschobene Erscheinungsformen sozioökonomischer Realitäten ganz sachlich dargelegt. Die Interpretation der Fakten wird gerne dem Rezipienten oder der Rezipientin überlassen. Dies kann die Angst vor ungewissen Nutzungen bzw. modernen Mythen von der Wüste mildern und gleichzeitig die Sensibilität im Umgang mit der Wüste als Abort industrieller und militärischer Geheimprojekte erhöhen.
Center for Landuse Interpretation, 9331 Venice Boulevard, Culver City, CA 90232 www.clui.org
Das CLUI betreibt permanent noch eine zweite »Wüstenstation«, und zwar in Wendover, Utah.
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.