Günter Krenn

Günter Krenn hat Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Filmarchiv Austria und seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkt sind Musik, Filmgeschichte und Bildende Kunst.

Julia Fischer

Julia Fischer, Studium der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien und der Università degli Studi di Pisa. Forschungsaufenthalte am UCLA Film und Television Archive.

Thomas Ballhausen

Thomas Ballhausen, Autor, Film- und Li­te­r­­­a­turwissenschaftler, ist Mitarbeiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus Wien / Leitung der Pressedokumentation.


Die Szenen sind ein Stück amerikanische Filmgeschichte. In eindrucksvoller Schwarz-weiß-Fotografie zeichnet Woody Allens Kameramann Gordon Willis ein Schnellporträt von Manhattan, musikalisch untermalt mit einer von Amerikas berühmtesten Identifikationshymnen, der Rhapsody in blue. Im Anfangsmonolog zu Manhattan heißt es: „To him... no matter what the season was, this was still a town that existed in black and white and pulsated to the great tunes of George Gershwin.“ Auch diese Szenen repräsentieren US-amerikanische Kinohistorie: In schmuckloser Farbfotografie zeichnet Martin Scorseses Kameramann Michael Chapman die Millieustudie des Taxichauffeurs Travis Bickle, subtil viragiert von Bernard Herrmanns spannungsgeladener Musik. In Taxi Driver hat auch Robert De Niros Voiceover nichts zu verklären: „Thank God for the rain which has helped wash the garbage and trash off the sidewalks ... All the animals come out at night: whores, skunk pussies, buggers, queens, fairies, dopers, junkies, sick, venal... Someday a real rain will come and wash all this scum off the streets.“

Diane Keaton und Woody Allen in
Diane Keaton und Woody Allen in "Mannhatten (USA 1979)

Robert De Niro in Martin Scorseses
Robert De Niro in Martin Scorseses "Taxi Driver" (USA 1976)

Die selbe Stadt und doch ein anderes Universum, in dem die Sprache zumeist vor dem Wesentlichen versagt. Die Sprachlosigkeit führt in Filmen jedoch nicht ins Schweigen, sondern in eine gelungene Symbiose aus Bildern und Musik. Worüber man bei Städten nicht sprechen kann, darüber kann man Filme drehen. Die Analyse dokumentiert dabei nicht unbedingt die urbane Namenspatronin, sondern den sie scheinbar Analysiernden. Woody Allen zeichnet New York wie er ist. Federico Fellini decouvriert Rom in Fellinis Roma. Allen spricht bei „seiner“ Stadt über sich, hätte Fellini einen solchen Film gedreht, hätte der, trotz aller Hommage für Fellinis Geburtsstadt Rimini in Amarcord, korrekterweise wohl Cinecitta heißen müssen.

Cinecitta – Kino-Stadt, in diesem Wort manifestiert sich die symbiotische Beziehung zwischen Film und Stadt. Viele Filme tragen Städtenamen im Titel, haben reale oder fiktive Städte als Schauplätze, die von Metropolis bis hin zu Coruscent in Star Wars reichen. Das Konzept der Stadt ist zentral für Filme unterschiedlichster Art und Herkunft. Nahezu jede Themenvariation kann dort angesiedelt werden. In den Kinotiteln, die während der 1920er Jahre in Wien liefen, wurde der Begriff „Großstadt“ kombiniert mit „-Elend, -Gift, -Hyänen, -Kavaliere, -Liebe, -Mädels, -Pflanzen, -Schmetterling, -Spatzen, -Verlockungen“ sowie „- Deutschen Geistes.“ Urbanisation, die mit der Expansion des industriellen Kapitalismus einherging, war ein Ausdruck des historischen Übergangs zu einer spezifisch modernen sozialen Lebensweise und formte zugleich diese Lebensweise mit. Es waren nicht zuletzt die Filme, die ihren RezipientInnen halfen, mit der neuen gesellschaftlichen Realität des Großstadtlebens umzugehen, ihnen buchstäblich „Anschauungs-Unterricht“ gaben.

Es ist undenkbar, dass sich der Film ohne Stadt entwickeln hätte können. Schon Walter Benjamin und Jean Baudrillard haben die Affinität zwischen den beiden Begriffen dokumentiert. Die komplexe Beziehung zwischen Kino und Realität manifestiert sich in Baudrillards Formulierung, dass das Kino sich auf vielfache Weise aus seinem Kontext heraus begibt und ausbreitet, dabei seine eigene Realität erzeugt. Dies ist in der Stadt am deutlichsten wahrnehmbar. Kino bleibt hier nicht auf die Leinwand reduziert, der urbane Betrachter hat auch außerhalb des Kinos oft das Gefühl, als bewege er sich in einer Filmkulisse. Stadt ist Bewegung. „Kinematographie“ ist die „Aufzeichnung von Bewegung.“ In seinem Buch The Cinematic City demonstriert David B. Clarke zahlreiche Beispiele für eine „kinematische Stadt.“ In der Einleitung weist er darauf hin, dass man sowohl in europäischen als auch in amerikanischen Städten das Gefühl habe, was man sieht, wäre soeben der Leinwand entsprungen. Mit dem Unterschied, dass die Leinwand in Europa die eines Gemäldes ist, während es sich in Amerika um eine Filmleinwand handele. Dass die Ereignisse des 11. September zunächst an die Ausschnitte eines Hollywood-Katastrophenfilms erinnerten, also die Wirklichkeit den Film kopierte, ist noch in Erinnerung. Der Prozess, in dem Hollywood bestrebt sein muss, diese historische Realität durch technische Ästhetik an „Realistik“ zu übertreffen, hat längst begonnen.

„Touch (the) screen, touch the city“ – diesem Motto ist das vorliegende Schwerpunktheft deshalb auch verpflichtet. Zwischen den Bildschirm- und Leinwandlandschaften changierend wird in den Beiträgen nicht nur den verorteten, sondern immer auch den inneren Städten nachgespürt. Abseits der ausgetretenen Pfade und der vielbehandelten Werke wird anhand ungewöhnlicher Perspektiven und neuerer Beispiele die Auseinandersetzung mit dem Themenfeld „Stadt und Film“ um wesentliche Facetten erweitert. Das Schauen dauert an.


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