Czech spricht zu Czech und baut um
Besprechung von »Hermann Czech – Architekt in Wien« von Eva Kuß und der Ausstellung »Hermann Czech – Ungefähre Hauptrichtung« im fjk3Hermann Czech – Ungefähre Hauptrichtung
fjk3 – Raum für zeitgenössische Kunst, 16.03.2024 bis 09.06.2024
Kuratorinnen: Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß, Fiona Liewehr in Kooperation mit Hermann Czech
Eva Kuß
Hermann Czech – Architekt in Wien
Zürich: Park Books, 2018
50,50 Euro, 456 Seiten
Ungefähre Hauptrichtung lautet der Titel einer Ausstellung, die derzeit in der Galerie fjk3 als Personale zu Hermann Czech stattfindet und seinem imposanten Lebenswerk gewidmet ist. Die Anordnung und Einrichtung erfolgte auf zwei Ebenen der Galerie, Erdgeschoß und Keller, kuratiert von Claudia Cavallar, Gabriele Kaiser, Eva Kuß und Fiona Liewehr in Absprache mit Czech. Eva Kuß ist auch Autorin eines, 2018 erschienenen, sehr gründlichen und lesenswerten Buches zum Werk Czechs.
In Zusammenhang mit Hermann Czechs Werk ist viel vom Denken die Rede, genauer vom »Denken zum Entwurf«, was angesichts seiner zahlreichen Publikationen wenig verwunderlich ist. Denken könnte man als inneren Dialog sehen, der sich auch in das Außen verlagern kann. Es ist der Philosoph Czech, der mit dem Architekten Czech verhandelt, ihn berät, erinnert oder auch nur informiert und es ist der Architekt Czech, der dem Philosophen Czech widerspricht, weil ihn das Argument nicht überzeugt. Paul Valérie fragte einmal, wo wir sind, wenn wir denken und bei Czech müsste die Antwort lauten: im Umbau, genauer in einem geistigen Mikrokosmos, bei dem es um die Einteilung der einzelnen Bauteile unter das Ganze geht, denn jedes Einzelne muss auch ins Allgemeine gebracht werden und darf nicht architekturideologisch vorausgesetzt werden. Man denkt bei solchen Überlegungen ein wenig an die Theorie-Praxis-Diskussion der 1960er und 70er Jahre, wenngleich nicht politisch, sondern ästhetisch und damit an eine Vorbereitung auf die Postmoderne. Czechs frühe Theorie – wir sind jetzt in der Ausstellung – betrifft städtebauliche Überlegungen zur Stadtgestalt wie etwa die Überdachung des Grabens mit einer wellenförmigen, mobilen Membran, den Entwurf eines U-Bahnnetzes, aber auch ein Terrassenhaus, wie es bereits von Adolf Loos propagiert wurde, sowie die Anordnung von großen Baukörpern und Hochhäusern.
Die frühe Praxis betraf zunächst Cafés und Restaurants und bildet in der Ausstellung eine eigene Gruppe. Im Prototyp des Restaurants Ballhaus probiert Czech Lichtstimmungen aus, tapeziert mit Hoffmann-Tapeten und lässt auf Hoffmann-Stühlen mit Loch in der Sitzfläche sitzen. Das empfindet der Wiener jedoch als ungemütlich und so muss hier als der nächste Versuch das Kleine Café erwähnt werden, dessen Erfolg an Nachhaltigkeit und Beliebtheit angesichts der Halbwertszeiten heutiger Lokale enorm ist. Hier kommt Czechs Theorie der Spiegelung mit raumillusionistischen und richtigen Spiegeln bereits erfolgreich zum Einsatz, die in der Wunderbar (ein Name übrigens, den Czech als unmöglich empfand) und im Restaurant Salzamt fortgesetzt wurde. In der Wunderbar demonstriert er auch seinen gepflegten Manierismus mit angedeuteten gotischen Kreuzrippen aus Holz, im Kleinen Café hatte er Gesimsprofile von keinem geringeren als Alberti eingesetzt. Diesen Manierismus kann man nicht -erlernen, er ist eine Sache des architektonischen Temperaments.
Das Kleine Café gab Anlass für Czechs ersten Artikel zum Thema Umbau, weil er es mehrfach umgebaut und erweitert hatte. Und es ist wohl der Begriff des Umbaus, der ihn für die junge Generation so attraktiv und spannend macht. Es gibt nach Czech im Grunde nur Umbauten, es ist alles ein ständiges Werden. Er ist damit gewissermaßen ein Heraklit unter den Architekt:innen: »Man kann nicht zweimal in denselben Fluss hinabsteigen.« Für den Umbau gälte: man kann nicht zweimal dieselbe Baustelle betreten.
Im Zentrum des Ausstellungsraums ist eine Treppe mit einer mehrfachen Wendelung eingelassen, die schmale 50 cm breit ist und durch die körperlichen Drehungen beim Aufstieg ein eigenartiges Raumerlebnis bietet. Sie soll offensichtlich nicht als Kunstobjekt dienen, sondern seinen Begriff vom leeren Raum somatisch erfahrbar machen.
Das Wienerische an Czechs Architektur beruht nicht nur darauf, dass alle seine Lokale kennen und er ein außergewöhnlicher Kenner der Stadt und ihrer baulichen Historie ist, sondern hat auch mit dem Umstand zu tun, dass – einem Faltplan der Ausstellung zufolge – seine Projekte überwiegend in dieser Stadt beheimatet sind. Allein im ersten Bezirk sind es 45 und mit dem Rest der Stadt kommt man auf beinahe 100. Möglicherweise hat Czech hier bereits intuitiv an eine Ökonomie der Besichtigung für künftige Besucher:innen und Interessent:innen seiner Projekte gedacht und diese innerhalb einer relativ kleinen und daher leicht zugänglichen Fläche angesiedelt. Man würde ihm dies abnehmen, schließlich hat er auch sein Atelier in der Singerstraße im ersten Wiener Gemeindebezirk. Um ihn aber nicht als zu lokal erscheinen zu lassen, verweisen wir auf seine Gastprofessuren an der Harvard University (1988/89 und 1993/94) oder der ETH Zürich (2004 bis 2007) sowie eine Reihe von Projekten im Ausland.
Die Ausstellung ist thematisch eher locker angelegt und auch nicht zeitlich geordnet. Es geht eben um einen Überblick, um eine Tendenz, eine ungefähre Hauptrichtung: um einen Architekten, der sich beim Denken beobachten lässt. Daher seien unsystematisch einige Projekte herausgegriffen. Czechs Arbeiten wären ohne Bezug auf die Wiener Architekt:innen der Moderne undenkbar. Es ist folgerichtig, dass er Adolf Loos und Josef Frank eigene Ausstellungsgestaltungen widmete. Er versuchte sich in verschiedensten Bauaufgaben und ging sogar unter die Brückenbauer, wie der Stadtparksteg belegt. Er entwarf für die Wiener Oper eine spezielle Windverglasung für die Loggien und für die Volksoper eine Erweiterung des Foyers vor dem Eingangsbereich. Mit seinem Wettbewerbsbeitrag zum Umbau des Nationalratsaals (2008) wäre der Charakter des ersten Umbaus von 1956 erhalten geblieben, dafür hätte es eine abgesenkte Decke wie im Theater gegeben. Ein luftiges, rätselhaftes Volumen wäre über den Köpfen der Abgeordneten geschwebt. Und natürlich entwarf er auch für ein Palais, das Schwarzenberg, nebst anderen Objekten ein Restaurant. Im Kellergeschoß der Ausstellung träumen noch einige Möbel aus dem MAK-Café von vergangenen Zeiten vor sich hin, wie die charakteristischen Sessel und Teile der Bar.
Abschließende Gedanken: Czech erteilte schon in frühen Jahren eine Absage an den Funktionalismus, wenn er 1969 schrieb, dass es zwischen Form und Funktion keinen zwingenden kausalen Zusammenhang geben dürfe. Die Funktion ist vermittelt und abstrakt, sie soll etwas ermöglichen, während die Form konkret und vorhanden ist, als Gestalt und Material. In gewisser Weise wird bei Czech Gedankliches so verdichtet, bis es seine Form findet.
Im Vordergrund steht immer das Interesse an der Produktion, an der Frage, wie etwas gemacht wird und nicht das Augenmerk auf die expressive Wirkung, oder wie er öfters betont, die Atmosphäre oder Stimmung. Architektur muss sich einem Rationalismus unterwerfen, der, wenn alle Überlagerungen zur Deckung kommen, sich in seiner Komplexität durch ein Vibrieren verrät.
Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.