Darstellung, Kommunikation, Motivierung
Besprechung von »Österreichisches Grafikdesign im 20. Jahrhundert« von Anita KernDas grünblaue, fröhlich bauchige, Geld versprechende Zeichen – wer hat es nicht schon so manches Mal im Ausland gesucht? Auf das vergebliche Suchen folgt dann das böse Erwachen und die Erkenntnis, dass dieses Signum, das Bankomat-Zeichen, ein österreichisches ist, und die Suche danach außerhalb des Landes also vergebens. Dafür gilt es im Gegenzug – bei Auswanderung etwa oder längerer Übersiedlung – manchmal als tröstlich, eine Meinl-Kaffee- oder Moccatasse ins Umsiedlungsgut zu packen – ein typisches Stück österreichischer Kaffeekultur und obendrein ein typisches Stück Design made in Austria. Das schwarze Gesichtchen mit der roten Mütze hat sich immer wieder erfolgreich vom Verdacht des Rassismus befreien können. In der berühmt gewordenen Pionier-Einbauküche von Margarethe Schütte-Lihotzky (von 1927) hätte man durchaus der ursprünglichen Version des Logos von Joseph Binder (von 1924) – etwa auf einer Kaffee-Verpackung – begegnen können.
Das sind ein paar Beispiele österreichischen Designs zur internationalen Designgeschichte, wie sie in Anita Kerns Buch vorgestellt werden. Ihr Fokus liegt auf dem Bereich Grafikdesign, und sie vollzieht die Entwicklungsgeschichte anhand ausgewählter ProtagonistInnen dieses Faches nach. Der schwierigen Definition von Design im Allgemeinen und Grafikdesign im Speziellen wird löblicherweise ein vollständiges Kapitel gewidmet. Darin beschreibt sie nicht nur den Werdegang der Begriffe, sie zeigt auch die vielfältigen darin enthaltenen Intentionen. Der Begriff graphic design wurde 1922 vom amerikanischen Typografen William Addison Dwiggins geprägt, der Wert darauf legte, durch einen neuen Begriff die Abkehr von den schönen Künsten und die Hinwendung zu Präzision und Funktionalität, zu einer quasi objektivierten zeichnerischen Gestaltung zu verdeutlichen.
Der hier bereits angesprochenen Gretchenfrage – Ist Design (noch) Kunst oder nicht? – wird breiter Raum im Buch gewidmet. Diese Diskussion begleitet alle Entwicklungen und wird seit den 1920er-Jahren geführt. Heute gilt vielen Design als greifbarste und reellste Kunstform der Gegenwart. Im speziellen Fall des österreichischen Grafikdesigns lässt sich die direkte Entstehung aus der Kunstform der Malerei zumindest gut nachvollziehen (in anderen ästhetischen Traditionen, etwa der japanischen, ist das naturgemäß anders): im späten 19. Jahrhundert waren ausschließlich KünstlerInnen in der neuen Sparte der Plakatwerbung tätig – Vorläufer der „Gebrauchsgrafik“.
Außerhalb des deutschsprachigen Raums gibt es diese Diskussion nicht – im Spanischen etwa wird selbstverständlich von den artes graficas gesprochen, und der art director fungiert unangefochten als künstlerischer Kopf einer Agentur oder eines Magazins. Der künstlerische Anspruch darf hier offenbar erhoben werden. Vielleicht ist die strenge Abgrenzung gegenüber der Kunst in denjenigen Sprachen geringer, die ihre entsprechenden Ausdrücke vom lateinischen ars ableiten – das ja sowohl Kunstfertigkeit, durchaus auch handwerkliche, als auch Kunst im Sinne des l’art pour l’art bedeuten kann. Die gesamte Kunstdiskussion ist tatsächlich ja unlösbar und findet keine abschließende akzeptable Antwort, stellt jedoch immer wieder wichtige Fragen bereit: Wie frei ist die Kunst? Welche Konzessionen an den „Zeitgeist“ sind erwünscht, gefordert, gar verboten? Können formale Elemente tendenziöser Ästhetiken wie etwa der futuristischen und „industrieromantischen“ weitergereicht werden, ohne sich ideologisch verdächtig zu machen? Oder, andersherum formuliert: inwieweit ist der Künstler, die Künstlerin gezwungen, sich einer zeitgeistigen Ästhetik zu unterwerfen?
Auffassungsunterschiede bezüglich der eigenen Position zeigten sich deutlich etwa auch bei den bekannten österreichischen Designern Joseph Binder und Julius Klinger: Während sich Binder als Kunstschaffender sah, vertrat Klinger die Ansicht, es gehe nicht um Ewigkeitswerte, sondern um „... anspruchslose Arbeiten (...) die naturgemäß der Mode des Tages unterworfen sind.“ Trotzdem verwies er auf die Möglichkeit, dass diese Arbeiten „einst in 50 oder 100 Jahren starke Kulturdokumente sein werden, für die Art, wie der Kaufmann anfangs des zwanzigsten Jahrhunderts seine Waren anpries.“ Er betrachtete seine Arbeit pragmatisch, denn „Reklame verlangt routinierte Fachleute (...) der ,Künstler mit Idealen‘ hat in dieser Angelegenheit nicht mehr mitzusprechen.“ Kurt Libesny, der Präsident der Österreichischen Gebrauchsgraphik hingegen kam 1929 zum Schluss: „Der Gebrauchsgraphiker muß sein Können dem Zweck unterordnen, muß als Künstler mit Inspiration und Phantasiereichtum, die nicht erlernbar sind, dem Gedanken jenes Gewand geben, das sich der Mentalität der Bevölkerung anpaßt. (...) Der Künstler, der sich mit der Reklame beschäftigt, muß Psychologe, Philosoph und Stilist sein.“
Inzwischen hat sich die Positionierung des Designs stark verändert – digitale Arbeitsweisen haben die handwerklichen weitestgehend verdrängt – es bietet sich eher der Ausdruck „visuelle Kommunikation“ an. Der Auftrag ist im Grunde aber immer noch der Gleiche. Leider werden im Buch wenige weibliche Grafikdesignerinnen vorgestellt, ein Manko, dessen sich die Autorin sehr wohl bewusst ist und das sie selbst thematisiert. Sie legt nahe, dass möglicherweise die männlichen Kollegen „eher zum Durchbruch gelangten und dass ihre eigenständigen Leistungen besser dokumentiert sind als bei qualitativ gleichwertigen Designerinnen.“
Davon abgesehen – oder gerade deswegen vielleicht authentisch – gibt das Buch nicht nur einen leicht verfolgbaren roten Faden durch die österreichische (Design-)Geschichte an die Hand. Mit vielen Bilddokumenten illustriert, empfiehlt sich das Buch als handliches und gut lesbares Nachschlagewerk. Die ästhetische Aushöhlung durch Austrofaschismus und NS-Regime und der Brain Drain werden ebenso anschaulich beschrieben wie verschiedene kreative Milieus der Nachkriegszeit – etwa die Szenerie des Art Club Vienna und des Atelier der Kreis, um nur zwei zu erwähnen. Gesellschaftliche Zwänge und Lebenszusammenhänge werden geschildert, nie jedoch entlässt die Autorin die Beschriebenen aus ihrer Verantwortung als Gestaltende. Immer werden sie auch im Hinblick auf künstlerische und politisch-ideologische Ansprüche hin betrachtet: denn Gestaltung = Weltanschauung, so ihre These. Eine politisch unabhängige ästhetische Äußerung kann es gar nicht geben.
Susanne Karr