Andreas Fogarasi

Andreas Fogarasi ist bildender Künstler und Redakteur von dérive.

Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.

Justin Hoffmann

Marion von Osten


Marion von Osten und Justin Hoffmann haben vor einiger Zeit den Reader »Das Phantom sucht seinen Mörder« herausgegeben. Darin sind Beiträge versammelt, die aus sehr verschiedenen Positionen die vielfältigen Beziehungen und Überlappungen der einst so klaren Gegensätze Kultur und Ökonomie beleuchten. Die damit verbundenen Prozesse sind gerade für ein Verständnis von Kultur als Standortargument von großem Interesse. Wir haben die beiden HerausgeberInnen gebeten, die im Buch aufgeworfenen Fragestellungen in einem Email-Interview darzustellen. Das Interview führten Andreas Fogarasi und Christoph Laimer.

dérive: Der Untertitel eures Buches lautet: »Ein Reader zur Kulturalisierung der Ökonomie«. Könntet ihr diesen Begriff etwas näher erläutern?

Marion von Osten: Mit »Kulturalisierung der Ökonomie« im Untertitel wurde von uns vielleicht am ehesten eine terminologische Verschiebung vorgeschlagen um recht konkrete Veränderungen im Strukturwandel von einer Industrie- zu einer Dienstleistungsgesellschaft beschreibbar zu machen, die das Feld der Kultur und ihr Selbstverständnis, bereits verändert hat und noch radikal verändern wird. Wir haben mit dem Buchtitel »Das Phantom sucht seinen Mörder« darüber hinaus zu fassen versucht, dass die scheinbare Dualität von Kultur und Ökonomie eine ist, die gesellschaftlich in einem spezifischen historischen Kontext produziert wurde. Ökonomie gilt bis heute als die materielle/rationale/harte und Kultur als die weiche/immaterielle/transgressive Seite der westlichen Gesellschaften. Diese Dichotomie ist aber längst nicht mehr eindeutig und wird durch verschiedenste gesellschaftliche Diskurse und neue Dispositive undeutlicher. Stuart Hall beispielsweise beschreibt diese Transformation in den kapitalistischen Gesellschaften seit Mitte der 70er-Jahre einerseits als ökonomischen und andererseits deutlich auch als kulturellen Wandel. Dabei ist beispielsweise der Begriff des »Postfordismus« jener, der eine neue Epoche bezeichnen will, die sich von der Ära der Massenproduktion mit ihren standardisierten Produkten, der Konzentration von Kapital und den »tayloristischen« Formen der Arbeitsorganisation und Disziplin der Moderne unterscheidet. Der Anteil der als männlich konnotierten manuellen Arbeit wurde in der postindustriellen Ära in den westlichen Industriestaaten durch die Auslagerung der Produktion in so genannte Billiglohnländer reduziert, und entsprechend hat sich der Anteil der Personen, die im Dienstleistungsbereich tätig sind, erhöht. Die Produktion wurde so fortlaufend durch das Management und die Vermarktung von Gütern ersetzt. In den westlichen Gesellschaften übernimmt nun die Konsumtion eine führende Rolle. Die Betonung liegt auf Auswahl und Produktdifferenzierung, Vermarktung, Verpackung und Design, der Orientierung auf Zielgruppen von KonsumentInnen nach den Kriterien von Lebensstil, Geschmack und Kultur. Zudem stellt die Betonung des Konsums neue Identifikations- und Disidentifikationsmöglichkeiten bereit, die Subjektivität und Kollektivität neu ordnen. Auch Lohnarbeit integriert und produziert heute stärker als im Industrialisierungsprozess vormals als außerökonomisch bezeichnete kulturelle und soziale Praktiken. Diese Form der Arbeit wird heute als »immaterielle Arbeit« bezeichnet. Immaterielle Arbeit zeichnet sich nach Maurizio Lazzarato dadurch aus, dass sie ein gesellschaftliches Verhältnis produziert, das Innovation, Produktion und Konsum einschließt. Der (ökonomische) Wert, der einer Tätigkeit zukommt, liegt nun vor allem in der Art und Weise, wie es ihr gelingt, eine gesellschaftliche Relation zu erzeugen. Und zu guter letzt ist die Vermehrung des Geldes durch sich selbst zum tragenden Pfeiler der Akkumulation von Reichtum geworden, der durch den Ausbau der neuen Kommunikationstechnologien beschleunigt wurde. Der hohe Abstraktionsgrad der Transaktion ist aber prekär bezüglich politischer und kultureller Kräfte. Große Bereiche der Wirtschaft werden darüber hinaus von multinationalen Firmen dominiert, die eine neue internationale Arbeitsteilung und eine größere Unabhängigkeit von nationalstaatlicher Kontrolle durchsetzen. Einerseits hatte dies, wie es Scott Lash bezeichnet, zu einem »Melt Down« der öffentlichen Institutionen und des Politischen geführt; andererseits haben populäre und auch theoretische Diskurse sowie Bild- und Symbolproduktionen maßgeblich an Einfluss auf die politische Debatte gewonnen. Es wundert daher nicht, dass zeitgenössische TheoretikerInnen bereits von einem »Cultural Capitalism« sprechen. Der französische Ökonom Yann Moulier Boutang formte den Begriff des »kognitiven Kapitalismus«, andere bezeichnen die heutige Gesellschaftsformation als Kulturgesellschaft, als Culture Society. Sicher sind sich die Kultur- und SozialwissenschaftlerInnen heute darin, dass wir uns in einer neuen Phase der Kapitalakkumulation bewegen, in der soziale und kulturelle Prozesse und Werte ebenso wie die Generierung von Wissen und die Schaffung von Bühnen für unterschiedliche Arten der Repräsentation an Bedeutung (auch für die Mehrwertgenerierung) gewonnen haben. All das war Anlass genug, ein Buch zu veröffentlichen, und zwar aus der Perspektive der Kultur auf die Ökonomie.

dérive: Sind diese Verschiebungen im Verhältnis von Kultur und Ökonomie eine schleichende Entwicklung gewesen, oder gab es einen konkreten Zeitpunkt oder ein historisches Ereignis, an dem sie festgemacht werden können? Welche Entwicklungsstränge waren daran beteiligt?

Justin Hoffmann: War der entscheidende Moment die Einführung des Kultursponsoringpreises »Maecenas« in Österreich vor 13 Jahren? Nein, natürlich nicht, es gibt keinen spezifischen Zeitpunkt, keinen D-Day oder E-Day, wie die Wirtschaftsbranche den Stichtag für die Einführung des Euro nennt. Gesellschaftliche Prozesse in der Grunddisposition Kapitalismus verlaufen langsam. Auch das Verhältnis von Kultur und Ökonomie hat sich nur allmählich verändert. Dieses steht natürlich in Beziehung zu grundlegenden Entwicklungen und Verschiebungen, die häufig mit dem Begriff des Spätkapitalismus umschrieben werden, in dem von einer fortschreitenden Kapitalisierung der Gesellschaft jenseits der eigentlichen ökonomischen Bereiche die Rede ist. Doch diese weitere Ausrichtung des sozialen Lebens nach ökonomischen Gesichtspunkten geschieht auf eine andere Weise, als es sich die meisten TheoretikerInnen vor dreißig Jahren vorgestellt haben. Die Kultur wird nicht einfach von wirtschaftlichen Prinzipien durchdrungen – die Museen werden zu Betrieben, die KünstlerInnen zu AktienspekulantInnen und die Galerien zu Anachronismen –, sondern die Grenze zwischen Ökonomie und Kultur insgesamt weicht auf. Es entsteht eine Wechselwirkung oder besser ein Ineinanderfließen von zwei Flüssigkeiten, die sich mit der Zeit zunehmend vermengen. Wie ein solcher Cocktail konkret ausschauen kann, versuche ich in dem Buch anhand des Beispiels Musikvideoclip, in dem die Komponenten Musik, Kunst, Mode, Film und Werbung untrennbar verbunden sind, zu erläutern.
In den letzten Jahrzehnten wächst das Bedürfnis der Unternehmen nach Repräsentation; sie wollen selbst als Motoren der Kultur erscheinen und nicht nur Kunst unterstützen. Das Interesse an Sichtbarkeit artikuliert sich einerseits auf der Ebene der Architektur. So werden Museumsräume immer häufiger für Feierlichkeiten von Unternehmen verwendet, was heute schon in der Planung dieser Bauten Berücksichtigung findet. Kürzlich wurde in diesem Sinne ein ganzes Areal belegt und das Museumsquartier in Wien von BMW in ein »Motorquartier« (Der Standard) verwandelt. Andererseits gilt das besondere Interesse der Wirtschaft den Medien. Je häufiger das Label oder das Logo einer Firma in kulturellem Kontext auftaucht, desto besser. Heute bestimmen Imaginationen den Aktienwert. Das Image eines Unternehmens ist wichtiger als sein realer Profit. Der Wunsch nach Repräsentation hängt somit eng mit verschiedenen neueren ökonomischen Entwicklungen zusammen: der Auflösung der materiellen Basis des Kapitalismus, dem starken Rückgang der Güterproduktion zugunsten von Spekulation und damit der zunehmenden Entsorgung der Arbeiterschaft. Frederic Jameson spricht in diesem Zusammenhang von einer Abstrahierung des Finanzkapitals. Das Geld entwickelt sich zurück zu dem, was es letztlich ist: ein abstrakter Wert.

dérive: Welche Gegenmodelle bieten sich nun KulturproduzentInnen an, welche Formen von Kritik sind möglich, sei es im Kunstbereich oder auch zum Beispiel im Musikbereich, der ja ein ganz anderes Verhältnis zu seiner Ökonomisierung hat? Könnt ihr dafür Beispiele nennen?

Justin Hoffmann: Ob man Interesse an Gegenmodellen oder Kritik hat, hängt zunächst von der jeweiligen politischen Position ab. Gibt es doch Kulturinstitutionen zu Genüge, die den Unternehmen und ihrer Propaganda breiten Raum lassen (auffallende Beispiele im Jahr 2001: Auto Werke, Deichtorhallen Hamburg; Gobal Tools, Künstlerhaus Wien). Das heißt es ist nicht so, als würden sich Kultur und Wirtschaft heute feindlich gegenüberstehen. Ein Großteil der Kultur biedert sich der Wirtschaft geradezu an und will den Staat aus seiner Verantwortung für kulturelle Fragen entlassen. Doch die Situation ist für diejenigen, die sich gegen eine fortschreitende Assimilation von Kultur und Wirtschaft wehren, nicht vollkommen aussichtslos. Solange es das in der kapitalistischen Gesellschaft für KulturproduzentInnen und Intellektuelle geltende Privileg der Artikulation gibt, besteht immer die Möglichkeit der Kritik, auch wenn sie noch so peripher wirken mag. Noch immer erscheint mir die kritische Analyse, das Erkennen der derzeitigen Lage, als wesentlich. Printmedien, Videos, Film, Fernsehen, Radio, Theater, Musik, Kunst usw. können zur Verbreitung antikapitalistischer Ideen und Initiativen beitragen. In der Ausstellung »Alt.Use.Media« in der Shedhalle in Zürich 1997 gingen Marion von Osten, Ursula Biemann und ich der Frage nach dem aktuellen Stand der alternativen Medienpraxis nach. Gerade Kultur und Medien können heute als Schauplätze dienen, an denen man sich dem Expansionsstreben der Wirtschaft widersetzen kann. Dabei ist nicht so entscheidend, ob man innerhalb oder außerhalb existierender Institutionen arbeitet, ob man sich konventioneller politischer Praxen (Demonstration, Unterschriftenlisten etc.) oder elektronischer Formen per Internet bedient und ob man auf Taktiken der Kommunikationsguerilla oder der Gegeninformation setzt. Aber auch die eigenen Produktionsbedingungen und Arbeitsverhältnisse müssen stets hinterfragt werden. Wie werden in einer Gemeinschaft Kompetenzen, Arbeitsbereiche, Gelder usw. verteilt? Es gibt verschiedene Kulturinstitutionen, in denen solche Debatten geführt werden und wo deren Ergebnisse in die Praxis einfließen. Modelle der Enthierarchisierung dürfen nicht nur den New-Economy-Firmen überlassen werden, die letztlich sowieso nur an einer größerer Effizienz der Arbeitskräfte interessiert sind. Der Aufsatz von Angela McRobbie in dem Buch »Das Phantom sucht seinen Mörder« geht näher auf die unterschiedlichen kulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen in Mode, Kunst und Popmusik am Beispiel Großbritanniens ein, wobei sie einerseits eine fragwürdige Popularisierung der Kunst beklagt, die zu einer Trivialisierung von Inhalten führte, andererseits Strategien der Popmusik vorstellt, sich gegen Vereinnahmungsversuche der Medienkonzerne zu wehren. Die Monopolisierungstendenzen der Tonträgerindustrie – fünf Unternehmen beherrschen weitgehend den Weltmarkt – hat im Unterschied zur komplexen wirtschaftlichen Verflechtung im Bereich der Kunst zu einer klaren Grenzziehung zwischen einer Independent-Szene mit einem eigenem Produktions- und Vertriebssystem und dem Mainstream geführt. In mehr als dreißig Jahren wurden Formen entwickelt, die eine relativ unabhängige Produktion und Informationspolitik von Popmusik gewährleisten.

dérive: Mit der gegenwärtigen Ökonomisierung der Städte geht ja auch deren Kulturalisierung einher. Wie verändern diese Rahmenbedingungen »städtisches Handeln« oder »street culture« als Ort einer widerständigen Praxis?

Marion von Osten: Ich habe derzeit zwei ganz gute Vergleichsgrößen für deine Frage. Zum einen bin ich im Ruhrgebiet in Deutschland groß geworden und kann also ab und zu, wenn ich dort einen Besuch mache, seit Jahren ganz gut beobachten, wie der Strukturwandel in den ehemaligen Industriestädten vonstatten geht. Im Ruhrgebiet werden computerbasierte High-Tech-Industrien angesiedelt, ebenso wie in anderen klassischen Industrieregionen wie Liverpool/Manchester, Detroit etc. Diese haben den Strukturwandel von der frühen Industrialisierung über Entlassungen und Schließungen und dementsprechend hohe Arbeitslosenzahlen austragen müssen und werden nun zu Aus- und Weiterbildungszentren für Arbeitslose umstrukturiert. Wenn du durch den Ruhrpott fährst, findest du ein Schulungs- oder Innovationszentrum neben dem anderen. Die Innenstädte wurden zu reinen Konsumzonen zugerichtet, da unterscheiden sich Manchester und Essen nur darin, dass Manchesters Einkaufszone gänzlich überdacht ist und Essen mehr mit Yuppie-Bistros verpestet ist. Gleichzeitig hat die Kulturindustrie in den alten Industrieregionen bereits seit den 70ern einen großen Bedeutungszuwachs erfahren. Zuerst Museen und Theater als öffentliche Einrichtungen; nun werden alte Industrieareale nach einer alternativen Zwischennutzung umgebaut zu Kulturzentren, Shopping-Malls, Multiplexkinos, Startup-Offices und GutverdienerInnen-Lofts etc.
In Zürich, einer der wichtigsten Finanzmetropolen weltweit, wo ich seit fünf Jahren arbeite, gibt es einen ähnlich spektakulären Wandel, der sich aber durch einen größeren Anteil an Kultur (Ateliers, Clubs, Galerien, Theater) im Umstrukturierungsprozess auszeichnet. Hier ist die Zurichtung der Innenstädte zu Konsumzonen nichts Neues, aber die Kulturalisierung der ehemaligen Industriebrachen schon. Über die vorerst kulturelle Nutzung wurden folgende ökonomische erst möglich gemacht. Die großen Unternehmen Maag, Escher Wyss oder Sulzer sind interessanterweise selbst groß in die Immobilienspekulation eingestiegen. Die Industrieareale werden nun mit neuen Wohneinheiten überbaut. Gleichzeitig findet ein Verdrängungsprozess statt der durchaus rassistisch motiviert ist und eine neue mittelständische junge weiße Schicht von Kreativarbeitern ansprechen soll. Im Grunde gibt es mehr denn je Grund zu »städtischem Handeln« und Widerstand. Darin waren die überregionalen Innenstadtaktionen im deutsprachigen Raum, Reclaim The Streets in England oder auch kleine Interventionen wie Imagebeschmutzungen, wie wir sie in Zürich durchgeführt haben, sicher ein ganz wichtiger Beitrag und sind es noch. Ein Problem, das sich für eine Politisierung stellt, ist aber, dass die symbolische Ordnung des städtischen Raumes so umgebaut wird, dass die Verdrängungsprozesse immer gleich mit neuem kulturellem Begehren gefüllt werden. Man kommt sich seltsam einsam vor mit seiner Kritik, wenn doch alles irgendwie geil bleibt. Mittlerweile versuche ich beispielsweise Studierende der HGK Zürich zu städtischen Aktionen zu motivieren. Da aber der Verdrängungsprozess so total ist – kein Needlepark mehr, kein Autonomes Jugendzentrum, keine besetzte Wohlgrott, keine Cruising-Area ist es umso schwerer, ein kollektives stadtpolitisches Gedächtnis zu beschwören.

Justin Hoffmann, Marion von Osten (Hg.)
Das Phantom sucht seinen Mörder –
Ein Reader zur Kulturalisierung der Ökonomie
Berlin 1999 (b_books)
273 S., ATS 204,-/Euro 14.83

Mit Beiträgen von PoYin AuYoung, Martin Beck, Roderich Fabian, Stuart Hall, Justin Hoffmann, Schorsch Kamerun, Gülsün Karamustafa / Ayse Öncü, Maurizio Lazzarato, Angela McRobbie, Marion von Osten / Elisabeth Stiefel, Res Strehle, Yvonne Volkart, Anna Wessely


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