Das Problem mit dem Tourismus und sein Transformationspotenzial
Besprechung der Ausstellung »Über Tourismus« im Architekturzentrum WienÜber Tourismus
Ausstellung
Architekturzentrum Wien
Kuratorinnen: Karoline Mayer & Katharina Ritter
21.03.2024–09.09.2024
Katalog
Karoline Mayer, Katharina Ritter, Angelika Fitz und Architekturzentrum Wien (Hg.)
Zürich: Park Books, 2024
400 Seiten, 40,50 Euro
Wussten Sie, dass die statistische Lebensdauer einer Hotelzimmereinrichtung bei fünf Jahren liegt? Dass sich die Aufenthaltsdauer am Zielort der Reise in den letzten Jahren stark verkürzt hat? Dass das Verhältnis von Einwohner:innen zu Betten in Ischgl 1:7 und das Verhältnis zu Ankünften in einem Jahr 1:204 ist? Es ist offensichtlich, Tourismus wirkt sich auf vielen Ebenen auf den Ressourcenverbrauch aus. Mehr Energie für die Reise, mehr Boden für die Bauten, Infra-strukturen und Aktivitätsangebote. Es sind diese Komponenten, die in der Zukunft als limitierende Faktoren wirken werden, aber auch schon heute das Öfter, Weiter, Kürzer des Reisens kritisch erscheinen lässt.
Die Ausstellung im Architekturzentrum Wien gibt einem eine gute Orientierung über die vielfältigen Auswirkungen touristischen Reisens. Man merkt der Ausstellung an, dass die Kuratorinnen Karoline Mayer und Katharina Ritter davor die erfolgreiche Ausstellung Boden für Alle verantwortet haben. Es ist eine stark dem Kontext gewidmete, diskursive Ausstellung gelungen, welche die Rahmenbedingungen des Tourismus in den Vordergrund stellt und so die Produktionsbedingungen von Architektur, Raumplanung und Landschaftsplanung thematisiert. Den unterschiedlichen Themen sind acht Bereiche gewidmet, die in der Ausstellungsarchitektur von ASAP mit Holzelementen sichtbar nachhaltig in der Wahl der Materialien unter den unterschiedlich gefärbten Themenfahnen versammelt sind. Die Benennung der Themenbereiche gleicht einem Statement: Die Auswirkungen des -Klimawandels auf den Tourismus sind Der Elefant im Raum.
Anschaulich werden die Wirkungsweisen des Tourismus im Themenbereich Der Gast will das! beispielsweise anhand des Krallerhofs im Salzburger Leongang. Dieser ist in mehreren Modellen von seiner Zeit als Landwirtschaftsbetrieb hin zum Fünf-Sterne-Hotel als neuester Ausbaustufe ausgestellt. Gemeinsam mit der Dokumentation eines Gesprächs mit der Familie im Ausstellungskatalog wird so ein Paradebeispiel der Dynamik touristischer Expansion und Transformation nachvollziehbar.
Eine Basis des Tourismus stellt die Landschaft dar, die gleichzeitig auch sein Kapital ist – in der Ausstellung sind es Geschichten Von Kühen, Wölfen und Touristen. Für Tourist:innen ist die Landschaft als Kulturlandschaft, also landwirtschaftlich genutzter Raum, ebenso wie als Naturlandschaft, Rückzugsort für Flora und Fauna, attraktiv. Dass sich diese Landschaften nicht mit Übertourismus vertragen, liegt auf der Hand und trotzdem geht es nicht ohne sie. Besteht die Lösung darin, Landwirt:innen für den Erhalt des Landschaftsbildes zu bezahlen, wie das in der Region Weißensee in Kärnten der Fall ist? Oder ist es die Förderung kleinteiliger, nachhaltiger Landwirtschaft und damit ihrer Struktur, die zum erwünschten Ergebnis führt?
Die Stadt ist in ihrer baulichen Struktur gegenüber den touristischen Nutzungen und deren Quantität stabiler, kann jedoch ebenso an ihre Grenzen geraten. Teile deine Stadt!, so der Titel eines weiteren Abschnitts der Ausstellung, kann zur Belastung werden. Venedig ist eines der bekanntesten Beispiele, jedoch gibt es den Effekt einer Preisspirale infolge touristischer Nachfrage auf dem Wohnungs- und Gastronomiesektor auch in vielen anderen Städten. Die Proteste in Lissabon gegen diese Tendenzen und die Rolle Airbnbs bei der Dynamisierung der Preise werden in der Ausstellung exemplarisch dargestellt. Erhellend ist in diesem Zusammenhang die Airbnb-Dichte in unterschiedlichen Städten – also die Anzahl der Einwohner:innen pro Airbnb-Angebot, die in Venedig 6,9 beträgt und in Wien (noch) 159. Wien hat zuletzt Schritte gegen die touristische Umwandlung von Wohnungen gesetzt. In der erneuerten Bauordnung ist die Kurzzeitvermietung von Wohnungen zu touristischen Zwecken auf 90 Tage pro Jahr befristet, um die gewerbliche Nutzung von Wohneinheiten stärker zu reglementieren.
Die Rolle von Social Media kann in diesem Zusammenhang gar nicht überschätzt werden, da diese touristischen Ziele in einem sehr kurzen Zeitraum in Wert setzen können und Kommunen damit vor die Herausforderung stellen, genauso schnell reagieren zu müssen. Social Media können Orte des Reisens aktivieren oder deaktivieren. Verlieren Regionen an Aufmerksamkeit, die zuvor vom Tourismus gelebt haben, heißt es bald Zimmer frei und Infrastrukturen geraten unter wirtschaftlichen Druck. Umgekehrt droht der Verlust der Dorfgemeinschaft, wenn es tatsächlich zu Übertourismus kommt.
Ob solche Entwicklungen geplant oder passiert? sind, ist auch eine Frage gesetzlicher Regulatorien. Ob sich eine am Reißbrett geplante touristische Siedlung wie das südfranzösische La Grande-Motte, als hoch verdichtete Hotelstruktur von einem heftig kritisierten Projekt zu einem Kulturerbe entwickeln kann, liegt oft auch am Mobilitätskonzept und dem Umgang mit dem Freiraum.
Über Tourismus bietet über die kritische Betrachtung hinaus zu jedem Themenbereich Einblicke in alternative Strategien: andere Formen des Reisens, des Bauens, des Planens, des Verhältnisses von Tourismus und Landwirtschaft oder des Managements der Besucher:innen, wenn ihre Zahl dann doch zu hoch wie in Dürnstein oder zu niedrig wie in Mallnitz werden sollte. Die zentrale Frage nicht nur der Kuratorinnen sondern von uns allen ist: »Wie können wir einen Tourismus imaginieren, der nicht mehr das zerstört, wovon er lebt?«
Erik Meinharter