... das weite Land, woher sie kommt
Kunstinsert von Isa Rosenberger Isa Rosenberger stellt in dieser Ausgabe eine mehrteilige Arbeit vor, in der sie sich auf die Spurensuche einer Tanzaufführung in der Volkshochschule Ottakring am 29. April 1934 begibt. An diesem Abend hatte Gertrud Kraus Die Stadt wartet – nach einem Text von Maxim Gorki und bearbeitet von Elias Canetti – als Avantgarde-Tanzspiel aufgeführt.
Isa Rosenberger, die sich in vielen ihrer Projekte mit Fragen von Bildung und den damit verbundenen politischen Hintergründen beschäftigt, ist bei ihren Recherchen zum Volksheim Ottakring auf das Programmheft mit Presseauszügen der besagten Aufführung gestoßen. Zu dieser sind keine Fotos, keine Tondokumente oder Notationen vorhanden. Aber genau hier beginnen die Fragen des Zusammenspiels von Volksbildung und Avantgarde der 1920er- und 1930er-Jahre in Wien, die mit dem Exodus bzw. der Ermordung der jüdischen Intelligenzija geendet hat. Die heute in Österreich weitgehend vergessene Gertrud Kraus war vor ihrer Emigration nach Tel Aviv eine der innovativsten Tänzer*innen bzw. Choreograph*innen Wiens.
Für ... das weite Land, woher sie kommt lud Isa Rosenberger 2019 die Tänzerin und Choreographin Loulou Omer, die 2016 von Tel Aviv nach Wien übersiedelt ist, ein, sich dem Stück anzunähern und auf der Bühne der heutigen Volkshochschule Ottakring, die sich architektonisch kaum verändert hat, »aufzuführen«. Aus dieser Performance entstand das zentrale Video der Installation sowie eine beeindruckende Fotoserie, aus welcher zwei Fotos auf der ersten Seite des Inserts zu sehen sind. So schließt sich der Kreis der Geschichte, da Loulou Omers Mutter, Zipora Lerman, selbst Schülerin von Gertrud Kraus war bzw. von ihr entdeckt wurde.
Das Projekt führte Isa Rosenberger weiter nach Israel, wo sie mit der Tanzforscherin Ruth Eshel und unabhängig davon auch mit Andrea Amort (Kuratorin von Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne), Interviews führte. Diese beiden Video-Interviews ergänzen die Installation (die Video-Stills sind auf der linke Mittelseite zu sehen). Außerdem kehrte die Künstlerin an den Ursprungsort der politischen Rolle, die einer Bildungsinstitution innewohnt, an die Volkshochschule Ottakring zurück und veranstaltete dort mit Jugendlichen mit Fluchterfahrung im Jänner 2019 einen Workshop (letzte Seite). Bei diesem wird der Titel des Stückes Die Stadt wartet durch die Jugendlichen individuell interpretiert.
»Das Projekt erzählt von Aufbruch und Träumen einer neuen Zeit – ebenso wie von Flucht, Migration und Neubeginn, davon, wie das an einem Ort zum Mythos und an einem anderen wiederum in Vergessenheit geraten konnte.« (Nora Sternfeld)
2019 stellte Isa Rosenberger ... das weite Land, woher sie kommt erstmals im Rahmen der Ausstellung Cross Sections (kuratiert von Basak Senova) in der Kunsthalle Exnergasse in Wien vor. Von März bis 30. August 2020 wurde das Projekt in der Camera Austria (kuratiert von Reinhard Braun) in vollem Umfang präsentiert (rechte Mittelseite). Dazu erschien kürzlich ein Katalog mit einem Text von Nora Sternfeld.
Isa Rosenberger wurde in Salzburg geboren und studierte an der Angewandten in Wien sowie an der Jan-van-Eyck-Akademie in Maastricht. Sie erhielt zahlreiche Stipendien und Auszeichnungen wie den renommierten Msgr. Otto-Mauer-Preis. Isa Rosenberger lehrt an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Aktuell (bis Ende 2020) ist in Salzburg ihre Installation Portalrahmen für den Mirabellgarten anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Salzburger Festspiele zu sehen, in der sie das nie realisierte Festspielhaus von Clemens Holzmeister für den Rosenhügel im Mirabellgarten thematisiert. Ergänzt wird die Installation durch ein Hörspiel, das hier nachzuhören ist:
salzburgerfestspiele.at/feentempel.
Isa Rosenberger
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.