Das wird man wohl noch rekonstruieren dürfen
Besprechung von »Bauen am nationalen Haus« von Philipp OswaltPhilipp Oswalt
Bauen am nationalen Haus
Berlin: Berenberg, 2023
240 Seiten, 23,50 Euro
Der Architekturtheoretiker Philipp Oswalt rollt die aktuelle deutsche Rekonstruktionsdebatte auf und macht das insbesondere aus seiner eigenen institutionellen und aktivistischen Beteiligung heraus. Das hat ihm persönlich durchaus einiges abverlangt, wie im Nachwort von Bauen am nationalen Haus zu lesen ist. Dabei ist Oswalt kein Whistleblower, vielmehr lässt er sich die historisierende Ästhetik neu errichteter Symbolbauten nicht schönreden und entdeckt hinter den staatlich hochgezogenen Fassadenarchitekturen und identitätspolitischen Diskursmustern oft rechtsextreme Initiatoren und Großsponsoren, die da fordern: Auch Deutsche sollen auf ihre Geschichte stolz sein können.
Parallel zu der seit 1980 durch Helmut Kohl vorangetriebenen Revision deutscher Geschichte beschreibt der Autor anhand von Fallbeispielen, dass diese Revision bereits bauliche Auswirkungen gezeigt hat. Besonders mit der Wiederentdeckung der Geschichte verbunden sieht Oswalt den Rückgriff auf die Architektur vor 1918 (als hätte es den Nationalsozialismus nie gegeben), und auch die Auslöschung der Bauten der Moderne, respektive der DDR-Moderne – weswegen die Neugestaltung der Hauptstadt, im speziellen die Berliner Mitte, von immens politischer Bedeutung war. Der Schriftsteller Max Czollek schreibt in diesem Zusammenhang im Vorwort von einer »Einheitswippe« der Erinnerungskultur, die mit dem Gewicht des Holocaust-Mahnmals und deutscher Gewaltgeschichte auf der einen Seite auf der anderen eine vermeintlich positive deutsche Geschichte hervorbringen wollte, die sie ausgerechnet in der Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses zu finden glaubte. In dem 1950 gesprengten Schloss war damals schon die Humboldt-Sammlung untergebracht. Hinter den fotogrammetrisch neu aufgezogenen weißen Palastmauern entpuppte sich die außereuropäische, schwarze Trophäensammlung im Jahr 2020 als unaufgearbeitete Kolonialgeschichte und machte einmal mehr das Unvermögen deutlich, zwischen positiver und Gewaltgeschichte zu unterteilen.
Philipp Oswalt erkennt in der aktuellen Wiederaufbau-Debatte, dass Bauten der Monarchie idealisiert und jene der (demokratischen) Moderne diffamiert werden. Eine kritisch-konstruktive Aneignung eines verlorenen architektonischen Erbes hätte sehr wohl das Potenzial, zeitgemäße Architektur hervorzubringen. Während seiner Leitung der Stiftung Bauhaus Dessau von 2009 bis 2014 hat Oswalt auf dem historischen Gelände des Bauhaus ein Meisterhaus von Walter Gropius wiederaufbauen lassen, nachdem die Architekturikone 1945 von der britischen Luftabwehr gezielt bombardiert worden war. Die Meisterhäuser waren nach der Schließung des Dessauer Bauhauses durch die Nationalsozialisten an die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke
übergegangen, die mit Hilfe der dort untergebrachten Testpiloten für die deutsche Luftwaffe Kampfflugzeuge entwickelten, die zur Zerstörung von Orten »wie Guernica, Rotterdam, London, Warschau, Stalingrad und vielen mehr eingesetzt« wurden, so Oswalt. 1956 wurde das Haus Emmer auf Gropius’ Kellerfundamenten errichtet. Als Resultat der »stalinistischen Ablehnung des Erbes der klassischen Moderne« war dieses Haus bieder, wies weder Geschichte noch Verständnis für den Ort auf, was 2011 erneut die Frage nach Authentizität aufwarf. Auch hier sprach sich Oswalt dezidiert für einen Neubau und gegen eine bloße Kopie des Meisterhauses aus. Der Neubau basiert auf Gropius’ Entwurf, seine Authentizität leitet sich aber aus der Gegenwart und ihrem Geschichtsverständnis ab.
Eine radikale Umdeutung demonstriert dagegen der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonskirche, in der 1933 symbolisch die militärische und kirchliche Inthronisierung des nationalsozialistischen Regimes vollzogen worden war. Die Wiederaufbau-Debatte legte für eine Demokratie eine erstaunliche Diskurswende hin, indem nun an diesem Ort der militärische Widerstand im Geiste preußischer Tugend gewürdigt und Verbrechen der Wehrmacht relativiert werden. Initiiert wurde das Projekt, das mit dem Versöhnungszentrum breite Unterstützung finden sollte, 1984 von einem Offizier der Bundeswehr, der sich im Laufe der Jahre radikalisierte und als Bindeglied zwischen Konservativismus und Rechtsextremismus fungierte. Wie Philipp Oswalt anmerkt, handelt es sich dabei um keine deutsche Besonderheit, sondern um »ein globales Phänomen«.
Dann wäre da noch die Neue Frankfurter Altstadt, deren Sanierung von der schwarz-grünen Stadtregierung beschlossen wurde. Das 1944 zerbombte Viertel wurde jüngst als Luxusquartier wiederaufgebaut und sollte »zumindest optisch so wirken, als habe es all die Schmerzen der Geschichte nicht gegeben«. Durch die fotogetreue Rekonstruktion der Bürgerhäuser und ihrer detailreich nachgebildeten Renaissance-Fassaden konnte der ursprüngliche Krönungsweg der Kaiser des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation – wenn auch seit 1806 obsolet – wiederhergestellt werden. Um die Kosten dieser Investorenarchitekturen zu stemmen, hat die Stadt das Programm für leistbaren Wohnraum eingestellt. Oswalts Schätzungen nach fehlen der Stadt 80.000 Wohnungen bis 2030.
Bauen am nationalen Haus zeigt in vielerlei Hinsicht eindrücklich, wie nicht nur Privatpersonen, sondern vielfach der Staat und Institutionen wie die Kirche rechte Identitätspolitik verfolgen. Wenn Deutsche (wie Österreicher:innen) auf ihre Geschichte stolz sein wollen, so kann das nur in eine Richtung gehen: Sie können stolz darauf sein, dass sie nach dem Nationalsozialismus wieder zu einer lebendigen Demokratie zurückgefunden haben. Demokratie lebt weder in der Vergangenheit, noch kann sie fotorealistisch wieder-erweckt werden.
PS: Das Humboldt Forum widmet sich aktuell seiner Standortgeschichte, sprich dem Palast der Republik, einem DDR-Bau, an dessen Stelle das Berliner Schloss errichtet wurde und behauptet angesichts der Demontage etwas abwegig: »Hin und weg. Der Palast der Republik ist Gegenwart«. Das hat die von Philipp Oswalt mitgründete Initiative Schlossaneignung zum Anlass genommen, eine Gegendarstellung zu erarbeiten. Hier der Link zum Showdown, der auch mit künstlerischen Mitteln verteidigt wird: http://schlossaneignung.de.
Heidi Schatzl