Der Beginn von „temporär“ ist lange her
»Wann begann temporär? Frühe Stadtinterventionen und Sanfte Stadterneuerung«, Ausstellung im Kunsthaus MuerzWann begann temporär? Diese Frage lockt ins Kunsthaus Mürz. Gezeigt werden Zeitgeist-Projekte vom Wien Sommer 1976 und von heute aus Wien, Rotterdam, Amsterdam und New York. Zwei große Fotografien sind, wenn man den ersten Ausstellungsraum betritt, links und rechts an den Wänden zu sehen. Links sieht man einen alten Mann, vermutlich aus dem Fenster seiner Mietwohnung schauend; versehen ist dieses Bild mit den Begriffen „Sanfte Stadterneuerung“, „Besetzung“, „Bürgerinitiativen“. Rechts sieht man einen Raumfahrer im Weltall und hier findet man die Begriffe „Blick von Außen“, „Utopie“, „Wahrnehmung von Stadt“.
Zwei orange Pfeile auf dem Boden weisen den weiteren Weg auf eine die ganze Raumbreite füllende Fotografie, die auf einen Vorhang gedruckt ist. Sie zeigt die Sprengung der Vertically Expanded City auf dem Harter Plateau bei Linz im Jahr 2003. Die Pfeile zeigen auf die beiden Türme, die auch als Durchgangsschlitze im Vorhang fungieren. Dieses Projekt wird auch in der Wander-Ausstellung Linz Texas – Ein Stadt mit Beziehungen (derzeit im Az W, siehe Besprechung in diesem Heft), die ebenso wie Wann begann temporär? von Angelika Fitz kuratiert worden ist, ausführlich thematisiert. In den 1960er Jahren als „neue Stadt“ für 30.000 Menschen von Gustav Lassy geplant, blieb das Harter Plateau unfertig bzw. ist auf zwei Hochhäuser (die hier bei der Sprengung gezeigt werden) plus einige Infrastrukturbauten geschrumpft und wurde 1975 von VÖEST-MitarbeiterInnen (VÖEST Systemhaus, die auch Systemhaus-Visionen hier serienreif machen wollten) bezogen, um dann 2003, wie oben erwähnt, abgerissen zu werden. Eine Architektur-Vision, die unvollständig genügen musste und in ihrer Gesamtheit zu temporär für die Zeitlosigkeit war – „Erinnerung an die Wahrzeichen des Harter Plateaus“ ist ein Modell dieser Türme in der Anlage „Wohnen am Park“, in die die Bewohner 2002 umgesiedelt wurden.
Hinter dem Vorhang im Hauptausstellungsraum findet man dann die ausgestellten Zeitgeister. Es beginnt mit Informationen mittels großzügiger Diaprojektionen über den Wien Sommer 1976. Architekturgruppen wie Haus-Rucker-Co, Coop Himmelblau, Zünd-Up und Missing Link inszenierten den so genannten Super Sommer. Weitere Filme wie Arena Besetzt (Ruth Beckermann), Die verstoßene Stadt (Missing Link), 10 Jahre Planquadrat „Unterwegs in Österreich“ (Helmut Voitl, Elisabeth Guggenberger), Die unruhige Kugel (Coop Himmelblau), METRO (Salz der Erde), geben den BesucherInnen ein Bild verschiedenster Gruppen kritischer Zeitgeister im Umgang mit dem Thema Stadt, vom In-Szene-Setzen alter Bausubstanzen bis zu experimentellen Aktionen. Die Ausstellung zeigt diese einführenden Dokumentationen als österreichische Vorläufer für populäre Strategien in Stadterneuerungsprojekten.
Im hinteren Teil fragt die Ausstellung dann auf den Boden gedruckt „… und heute?“. Aktuelle Projekte aus Wien (SOHO in Ottakring), Rotterdam (WiMBY! – Welcome into My BackYard!), Amsterdam (Het Blauwe Huis – Das Blaue Haus) und New York (CUP – Center for Urban Pedagogy) werden vorgestellt. Sie werden auf Postern präsentiert, die auf vier Schreibtischen studiert werden können. Alle vier Projekte werden mittels eines identen Fragenkatalogs (Wer mit wem? Was tun? Wie tun? Warum tun? Wo tun? Wie kommunizieren? ...), der auf den Postern zu finden ist, befragt.
Zu allen (Teil-)Projekten und beteiligten Büros gibt es ausführliche Web-Hinweise; sich diese anzusehen, wird dann allerdings zur Hausaufgabe. Es stellt sich die Frage „Ist temporär heute anders?“ Erfreulich ist jedenfalls, dass die Ausstellung neben einer aktuellen Wiener Initiative zwei Projekte aus den Niederlanden zeigt, denn diese gehören, wie auch die Poster zeigen, zu den manifestartigsten und performativsten.
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Ausstellung
Wann begann temporär?
Frühe Stadtinterventionen und Sanfte Stadterneuerung
Kuratorinnen: Christiane Feuerstein, Angelika Fitz
Kunsthaus Mürz, 17. Mai bis 31. August 2008
Ein Buch/Katalog erscheint im Herbst bei Springer.
Anhang:
Wien
www.sohoinottakring.at, www.livingbooks.at, www.twob-2b.com, www.bauchplan.at
Rotterdam
www.wimby.nl (Welcome into My BackYard! Satellitenstadt Hoogvliet)
www.maxwan.com (Logica, Hoogvliet, 2001)
SchoolParasites, 2004
www.fashionarchitecturetaste.com (Villa and Park de Heerlijkheid 2005-2008)
Amsterdam
www.blauwehuis.org (Wohnbaugenossenschaftsorganisation für Gedanken)
Falsche Bäume, Die Kinderbücherei, Der Blumenkiosk, Das Gerüst
New York
www.anothercupdevelopment.org (CUP)
PHTV: Whats up with Public Housing (Fernsehprogramm zum Sozialwohnbau in New York), 2004-2007; Building Codes: the Programmable City (Experiment: Repräsentation von sozialen Handlungen und Konflikten), 2001; Garbages Problem (Verändernde Abfall Wirtschaft New York), 2002
Peter Schmidt