Der süße Schmerz der Herbstzeitlose
»Die Blaue Blume«, Ausstellung im Grazer KunstvereinDie diesjährige Ausstellung des Grazer Kunstvereins in Kooperation mit dem steirischen herbst ist um eine Kopie des grafischen Entwurfs eines Teppichs der Bauhaus-Künstlerin Anni Albers angesiedelt. Ein poetisch-modernistischer Raum, der die ausgestellten künstlerischen Arbeiten sich wie traumtänzerisch-avantgardistische Blüten öffnen lässt. Die einzelnen Arbeiten, beginnend mit der mobile-artigen Metallstreifenkonstruktion Konstrukcja wiszaca von Katarzyna Kobro, schweben zerbrechlich und verspielt um die eintretenden Besucher. Die schöne Schlichtheit der einzelnen Arbeiten blendet zuerst die harten zeithistorischen und zeitgenössischen Realitäten aus, mit denen sich die einzelnen Positionen befassen, in denen sie entstanden sind oder durch die sie letztendlich zerstört wurden. Umso gewaltsamer treffen diese Realitäten die Besucher, wenn sie sich die Informationsbroschüre zur Ausstellung vornehmen: Katarzyna Kobros Konstrukcja wiszaca, die außer Kraft gesetzte Stahlschleife, ist eine Kopie von 1971 – das Original von 1921/22 verschwand mit der Emigration der Künstlerin aus dem postrevolutionären Russland. So ist auch der Teppich, nicht von sondern nach Anni Albers, eine handgewebte Rekonstruktion nach einer Postkarte aus dem Bauhausarchiv. Das Original Black-White-Red (1926) blieb nach der Flucht der Bauhaus-Künstlerin aus Deutschland in die USA im Jahr 1933 verschollen. Während das Original als Wandbehang konzipiert war, wird die vergrößerte Kopie als eine Art Läufer in einer Salonsituation genutzt. Ein Salon, der nicht unbedingt zu einer Diskussion einlädt, sondern vielmehr autokommunikativ die konzeptuellen Fragen der Ausstellung stellt und beantwortet: „(…)was ist von der Idee geblieben, die der Entwurf verkörpert? Auf welche Anwendungen und Veränderungen stoßen Utopien, wenn sie in den Bereich des Pragmatischen eindringen?“ Eine Situation, die einen scheinbar intim-privaten Raum eröffnet, der jedoch aus architektonischen Versatz- und Lehnstücken öffentlicher sozialer Räume stammt.
Aufgemacht wird der mit modernistischen Formen in zeitgenössischer Übersetzung spielende Raum durch Saim Demircans Celebration of Concrete (siehe Bild), ein graffitiartiges Fresko, das den historisierenden romantischen Gehalt des populär kulturellen Signifiers dokumentiert und sich im Zusammenwirken der anderen Arbeiten entfaltet: von der Teppichkopie, über das schwebende Lamellenmobile, die Biedermeierschäferinnenkörbchen-Stahlrohrkonstruktion, die Sitzbank des Produktdesigners George Nelson von 1947 bis hin zur Videodokumentation über den römischen Sozialbau Corviale – der in den 1970ern in Anlehnung an Le Corbusiers Konzept vom sozialen Wohnbau errichtet wurde: Der Salon ist eine brutale und gleichzeitig wundervoll spielerische Umsetzung einer entzauberten sozialen Utopie – einer Blauen Blume. Die Nichterreichbarkeit der Blauen Blume wird den BesucherInnen hier klar vor Augen geführt. Die Blaue Blume ist eine Herbstzeitlose, an der man sich vergiften kann. Gleichzeitig werden neue ideelle Blumen, ganz nach dem Vorbild des romantischen Dichters Novalis, gepflanzt. Unerwartete Blumen, die sich aus den im Video formulierten Träumen der interviewten BewohnerInnen in Corviale ergeben und den von Leichtigkeit getragenen Installationen, die den architektonischen Raum des Kunstvereins überhöhen, wie zum Beispiel die Berliner Wandelemente von Vaclav Pozarek und der hölzerne Strahlenschein new planet von Florian Roithmayr. Die utopisch-symbolische Raumwahrnehmung, welche die Räume des Kunstvereins in fiebrige und gleichzeitig kühle Sehnsuchtsbilder verwandelt, wird durch die metaphysischen Bilder von Katarzyna Kobros Stahlband und Hilary Lloyds Diaprojektion bunter Farbflächen noch verstärkt. Ein friedlicher und doch die Trägheit der Betrachter störender Rundgang durch drei Räume, als unendliche Suche nach der Urpflanze (frei nach Goethe) vergangener und zukünftiger Avantgarden.
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Ausstellung
Die Blaue Blume
Grazer Kunstverein, Koproduktion
steirischer herbst
22. September bis 15. Dezember 2007
Ruby Sicar beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit der Identität und Selbstdefinierung asiatischer Frauen der zweiten Generation in Europa.