Elke Krasny

Elke Krasny ist Kuratorin, Stadtforscherin und Professorin für Kunst und Bildung an der Akademie der bildenden Künste Wien.


Als im Glauben an die Verbesserbarkeit der Welt durch Gestaltung noch die Wogen des modernistischen Überschwangs der großen Lösungen brandeten und die selbstreflexiven Zweifel am missionarischen Eifer der Lösungsentwicklungen für andere noch weit in der Zukunft lagen, erschien im Jahr 1970 in einer ersten Auflage in Stockholm Victor Papaneks Design für die reale Welt. Anleitungen für eine humane Ökologie und sozialen Wandel. Die Rezeptionsgeschichte dieses Alternativklassikers ist bemerkenswert. Bereits 1971 kam das Buch in erweiterter Form in einer englischen Ausgabe in den USA auf den Markt. In rascher Folge kam es zu Übersetzungen in zwanzig verschiedene Sprachen. Die deutschsprachige Rezep tion des Emigranten Papanek, der im März 1939 als 15jähriger mit seiner Mutter vor dem Naziregime in die USA flüchtete, ist ein eigenes Kapitel. Erst heute liegt nun mit der von Florian Pumhösl u.a. herausgegebenen neuen Übersetzung eine vor, die den Versuch unternimmt, den Anforderungen Papaneks bei der Übersetzung in seine Muttersprache gerecht zu werden. Der österreichische Künstler Florian Pumhösl hatte sich mit der von Papanek geforderten alternativen Gestaltungspraxis und demokratiepolitisch interessanten Modellen der Partizipation auseinandergesetzt und begann 1996 gemeinsam mit Victor Papanek daran zu arbeiten, eine neue Übersetzung der Schriften ins Deutsche vorzunehmen. Das damals noch bestehende Österreichische Institut für Formgebung unterstützte diese Neuübersetzung von Elisabeth Frank-Großebner. Auch nach dem Tod von Papanek 1998 wurden Stil und Art der Übersetzung in seinem Sinne weitergeführt. Denn gerade mit der Übersetzung in seine Muttersprache war Papanek immer unzufrieden gewesen. Diese war 1972 unter dem Titel Das Papanek Konzept. Design für eine Umwelt des Überlebens in der Nymphenburger Verlagsbuchhandlung in München erschienen.

Die Neuübersetzung ist als Wiederentdeckung einer Rezeptionsgenealogie zu werten, die Papaneks Ansätze in eine kritische Geschichte anderen Designs zu stellen hat, wie es in den 1990er Jahren, nicht nur im Design, sondern auch in Architektur, Stadtplanung sowie künstlerischen Praxen, unter dem Begriff der Nachhaltigkeit, des sustainable design, neuen Aufwind bekam und das Soziale wie Ökologische als Aufgabe wieder zu entdecken begann. Die Neuherausgabe in der Edition der Universität für angewandte Kunst Wien ist aber auch ein Signal für die dort bevorstehende Errichtung eines Forschungs- und Entwicklungszentrums für Social Design.

Die Wiederentdeckung der 1970er Jahre in den 1990ern war eine weitreichende: Von der Appropriation modischer Stilzitate reicht sie bis zu Werthaltungen und kritischen Denkkonfigurationen, die sich in einer neuen globalisierten, neoliberalen, konsumperfektionierten, aber auch kritikperfektionistischen Situation mehr einer Re-Lektüre stellen müssen denn einer einfach anzuwendenden Wiederentdeckung. Die Zeit der 1970er, als der immerwährende Fortschrittsoptimismus der Dekaden des Nachkriegsaufschwungs und Wiederaufbaus seine ersten Dämpfer des Nichtimmergleichen durch die drohende Vision des möglichen Endes von Ressourcen erhielt, sprich Ölkrise, sah die Zukunft dennoch als Möglichkeitsraum lösungsorientierter Szenarien.

Der Emigrant Papanek diente, nicht zuletzt um seine Einbürgerung zu beschleunigen, in der US-Army, wurde 1944 aus dem Militärdienst entlassen, lebte ein Jahr lang im San Ildefonso Indianer-Reservat im Südwesten der USA, studierte dann in Abendklassen an der Cooper Union in New York, wurde Lehrling von Frank Lloyd Wright in Taliesin und Taliesin West und war in den 1950er Jahren am MIT, wo damals auch Richard Buckminster Fuller lehrte. Bald ging Papanek selbst in die Lehre, nutzte wie viele kritische, experimentelle oder alternative Persönlichkeiten der damaligen Epoche die Massenmedien, etwa in seiner Fernsehsendung Design Dimensions für WNED-TV. Design sollte nicht in den Händen der Elite liegen, sondern ein Gut der Massenkultur werden. Dieser massendemokratisierende und politische Anspruch des Zugangs zu Kultur, Produkten oder Stadt hat sich heute in der medialen Massenpopularisierung und der globalisierten Produktwelt – anders als kritisch-visionär proklamiert – nahezu übererfüllt.

Anfang der 1960er Jahre begann Papanek mit seinen Arbeiten für die UNESCO. So entstand auch das zur alternativen Designikone aufgestiegene Tin-Can Radio, über das sich eine eigene postkoloniale Mikromusterstudie anstellen ließe. Ab Mitte der 1960er Jahre war Papanek an der Purdue University. Seine dortige Lehre wurde zum Kern von Design for the Real World . Die Beschäftigung mit Bionik kennzeichnet diese Phase. Viele Vortragsreisen führten ihn nach Skandinavien, wo einige Kapitel von Design for the Real World entstanden. 1973 zeigte Papanek im Internationalen Design Zentrum Berlin die Ausstellung Design-it-yourself, die Galerie der Stadt Zagreb präsentierte Papanek Work & Theories. Als die Umweltbewegung und die BürgerInnenbeteiligung laufen lernten, wurde Papane k also in den unterschiedlichen ideologische n Welthälften des Kalten Krie ges rezipiert. Ab Mitte der 1970er Jahre war Papanek ein unermüdlich international Vortragender und Reisender, der die Reise als Wissensproduktion entdeckte: In Westafrika, Südostasien und Südamerika sammelte er Objekte und fotografierte leidenschaftlich, er hinterließ ein Bildarchiv von über 20.000 Dias.

Das Alternative wurde salonfähig, nach neuen Alternativen ist zu suchen. Die Spirale der Übersetzungsverhältnisse zwischen high und low, Kritik und Affirmation, Konsum und Konsumkritik dreht sich immer schneller. Die chamäleonartigen Verwechslungsverhältnisse zwischen Partizipation und immerwährend die Konsumtion anheizende Wunschproduktion geben zu denken. Gerade deshalb ist die Frage nach einer demokratischen und partizipatorischen Gestaltungspraxis aktueller denn je. „Wir dürfen unseren Planeten nicht länger mit schlecht gestalteten Objekten und Bauten verschandeln“, so Papanek im Vorwort zur ersten Auflage. Dem ist nichts hinzuzufügen.


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