Die Bilder der Stadt
Vorbemerkung zum Schwerpunkt Stadt und ComicIm Zentrum der vorliegenden Schwerpunktausgabe steht das Verhältnis von Stadt und Comic, das nicht zuletzt durch die Vielzahl filmischer Comic-Adaptionen in den letzten Jahren einen regelrechten Aufschwung erfahren hat. Oft war von Sin City zu lesen, von Gotham oder Metropolis; aktuelle Verfilmungen wie The Spirit oder Watchmen werden ihren Teil zur Fortführung dieses Trends beitragen. Die Verbindung dieser beiden sequentiell erzählenden Medien, die sowohl in ihrer historischen Entwicklung wie auch in ihren thematischen Ausrichtungen eine unleugbare Nähe zum Stadt-Raum aufweisen, ist dabei ebenso zu bedenken wie die zahlreichen positiven Herausforderungen der sich ergebenden, nicht minder zahlreichen intermedialen Bezüge. An den künstlerischen Arbeiten lässt sich eine ergänzende, streckenweise sogar alternative Geschichte der Moderne und ihrer Folgen ablesen. Das (neue) Interesse für diese Arbeiten und die ihnen zugrundeliegenden Comics und graphic novels, die spätestens mit dem Jahr 1986 eine wahre Zäsur in der Produktion und Rezeption der „bunten Bilder“ einläuteten, führt dabei aber auch immer wieder zurück zu den Fragen erzählerischer wie auch formaler Umsetzungsstrategien räumlicher Dimensionen zurück. Schon die Anfänge der Comics, die als eigenständiges und auch eigengesetzliches Medium eine enge Verwandtschaft zum Film aufweisen, sind an der Auseinandersetzung mit dem urbanen Raum interessiert; die Palette reicht hier von den erträumten Wunderwelten Little Nemos bis zu den sich ständig wandelnden, geradezu verflüssigten Hintergründen in Krazy Kat. Die fruchtbare Historie dieser nicht immer unproblematischen Wechselbeziehung kann und soll dabei durchaus als erzählerische Erfolgsgeschichte gedacht werden, die bis in unsere Tage – und gewiss auch darüber hinaus – andauert: Der städtische Raum wird im Verlauf seiner comic history zur Konstante der so genannten Neunten Kunst, er wird zum Austragungsort unterschiedlichster Konflikte, zum umfehdeten Raum unterschiedlichster Diskurse.
Ganz im Sinne dieser thematischen Kontinuität war es uns ein Anliegen, im vorliegenden Heft mit der Verbindung wissenschaftlicher und künstlerischer Beiträge sowohl die grundsätzlichen Elemente der untersuchten Wechselbeziehung zu skizzieren und in neue Kontexte einzubetten als auch Perspektiven auf bisher kaum beachtete oder gar bearbeitete Felder zu eröffnen. Ganz bewusst wurden bereits umfassend erforschte Themen, die sich über die Literaturhinweise und die den Schwerpunkt abrundende Auswahlbibliografie erschließen lassen, nur in den einleitenden Ausführungen berücksichtigt; das Hauptgewicht der Texte liegt auf der schlüssigen Auseinandersetzung mit neuen oder bisher kaum erforschten Werken, die über einen konkreten thematischen Zugriff vorgestellt werden. So unternimmt Jill Meißner in ihrem Beitrag eine vergleichende Lektüre der immer wieder sehr heftig diskutierten Heldenentwürfe, die die Metropolen bevölkern, und macht dabei unter anderem auch auf kulturübergreifende Prozesse aufmerksam. Kathrin Kunas und Verena Bauers Texte gehen der beinahe unauflöslichen Verbindung des Heldischen und des Städtischen im Comic anhand spezifischer Beispiele nach: Kuna untersucht den städtischen und comic-gemäßen Unterbau der beliebten Serie Heroes, Bauer stellt in ihrem Aufsatz Feral City – eine Zusammenarbeit von Altmeister Warren Ellis und Jungtalent Ben Templesmith, der auch in Europa eine breitere LeserInnenschaft zu wünschen ist – im Kontext neuerer Gedanken zur Stadtentwicklung vor. Günter Krenn und Paolo Caneppele kehren in ihrem Essay zu einem ihrer langjährigen Forschungsinteressen, dem Leben und Werk Guido Crepax’, zurück; erstmals kann man hier nun ausführlicher vom Spannungsverhältnis Crepax und Architektur lesen. Ines Wagners Ausführungen zu Illustrationen in Kinderbüchern, die in ihrer künstlerischen Gestaltung nicht selten den Charakter von Comicbildern annehmen, setzen sinnvoll auf den vorhergehenden Ansätzen auf und führen zugleich auch wieder zu den grundsätzlichen Gedanken einer konstruktiv-kritischen Lektüre der Wechselbeziehung Stadt und Comic zurück. Ergänzt werden die Texte von Arbeiten österreichischer Künstlerinnen und Künstler, die sich ebenfalls dem facettenreichen Themenkreis Stadt widmen: Birgit Scholins und Axel Laimers (crystal clear) zarte, feingliedrige Arbeiten sind ganz im Sinne der permanenten Gestaltungsherausforderung von leerer Seite und Stadtraum zu lesen, Anna-Maria Jungs Beispielseiten aus ihrem Comic Xoth! entführen in die Welt des US-amerikanischen Schriftstellers H. P. Lovecraft und seiner Entwürfe horribler Urbanität, und die Ausschnitte aus der graphic novel Wired World von Jörg Vogeltanz und Thomas Ballhausen stellen ein düsteres Parallelwelt-London vor.
Abschließend ist zu bemerken, dass der vorliegende Schwerpunkt als kleiner Beitrag gelesen werden kann und soll, sich auch im deutschen Sprachraum weiter für eine seriöse und lustvolle Auseinandersetzung mit dem Medium Comic einzusetzen, also die Möglichkeit der comic studies nicht nur anzudenken, sondern – immer auch im Sinne der LeserInnenschaft – umzusetzen. Um den letzten Satz der Abschluss-Episode von Calvin & Hobbes als Motto aufzugreifen: „It’s a magical world, Hobbes, ol‘ buddy ... Let’s go exploring!“
Günter Krenn hat Philosophie und Theaterwissenschaft in Wien studiert. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Filmarchiv Austria und seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkt sind Musik, Filmgeschichte und Bildende Kunst.
Ines Wagner ist freischaffende Wissenschaftlerin und Journalistin mit den Arbeits- und Forschungsschwerpunkten Kinder- und Jugendbuch, -film, -kultur.
Thomas Ballhausen, Autor, Film- und Literaturwissenschaftler, ist Mitarbeiter der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Literatur im Literaturhaus Wien / Leitung der Pressedokumentation.