Die falsche Aufmerksamkeit im öffentlichen Raum
Besprechung von »Die Produktion zentraler öffentlicher Räume in der Aufmerksamkeitsökonomie« von Sabine KnierbeinSabine Knierbein hat ein Buch zur Stadtproduktion vorgelegt, das einen ausgezeichneten Einblick in die aktuelle Praxis der PPP (Public-Private Partnership) gibt.
Ausgangslage ist die postfordistische Stadtproduktion in Berlin, die mit der Vermarktung des gestalteten Stadtraums einhergeht. Öffentliche Nutzung erzeugt Besucherströme, die wiederum ein hohes Maß an Aufmerksamkeit generieren, das kommerziell genutzt werden kann. Die Gestaltung des öffentlichen Raum, die sich zu Zeiten fordistischer Produktion ausschließlich in der Hand der StadtplanerInnen befand und keinerlei kommerziellen Interessen unterworfen war, unterliegt nun einem Transformationsprozess der postfordistischen Produktion, die den öffentlichen Raum als ökonomische Ressource versteht, die es auszunutzen gilt. Stadtentwicklungsprozesse sind nun Teil der neuen Politökonomie, wo staatliche und privatwirtschaftliche Akteure zusammen agieren. Die privatwirtschaftlichen AkteurInnen treten gerne als VertreterInnen der Zivilgesellschaft (eher als bourgeois als civis) auf, die staatlichen AkteurInnen nehmen diesen Umstand gern zum Anlass ihre neuerlernten Governancemodelle im Sinne der vermeintlichen Bürgerbeteiligung anzuwenden.
Am Fallbeispiel der Berliner Wall AG, eines Unternehmens für Stadtmöblierung und Außenwerbung, wird das sehr gut erkennbar, eigentlich reicht schon die Darstellung der Umsatzziffern. Der Umsatz im Jahr 1991 betrug 14,5 Mio Euro, 2007 war er bereits auf 152,4 Euro gestiegen. Ein gutes Beispiel für die Erfolgsgeschichte dieser Firma liefert die Privatisierung der öffentlichen Bedürfnisanstalten. Die Stadt Berlin sah sich zu Beginn der 1990er Jahre außerstande den ordentlichen Betrieb der öffentlichen Toiletten weiter zu garantieren und initiierte einen Privatisierungsauftrag, um durch Outsourcing die Stadt zu entlasten. Der findige Chef der Firma Wall AG unterbreitete das Angebot eines Gesamtpaketes, das neben den vollautomatischen Toiletten auch Stadtinformationsanlagen (SIA), Wartehallen und Fahrradständer umfasste. Vereinfacht gesagt, kam es zu einem Deal, bei dem das Unternehmen die Errichtung und Betreibung der WCs übernimmt und im Gegenzug attraktive Werbeflächen erhält, deren Einnahmen ihm nun gänzlich zufallen. Die darauf folgende Erfolgsgeschichte wird von der Fa. Wall als großartige CSR, als bürgerliches Mäzenatentum, als sozial verantwortlicher Unternehmer in der Tradition von Litfaß, den ersten Betreibern der Bedürfnisanlagen im 19. Jahrhundert, inszeniert. Andere bezeichnen Hans Wall hingegen als den »Toilettenkönig von Berlin« oder »Herr der Klobalisierung«. Denn durch geschickte Firmenpolitik und neue Teilhaber entwickelt sich die Wall AG zum Quasi-Monopolisten der Werbung im Berliner Stadtraum, was dem Mythos der Risikoübernahme durch Unternehmer bei PPPs gänzlich widerspricht.
Insgesamt ergeben sich zahlreiche Fragen aus dieser Sache: Werden öffentliche Räume zu reinen Sphären der Kapitalakkumulation, welche Rolle spielt die Stadt, welche gestaltwirksamen Koalitionen bilden sich heraus und wie sollte man dieses Problem der Urban Governance überhaupt diskutieren. Wie verläuft der Prozess einer derartigen Vermarktung von ursprünglich öffentlichen Dienstleistungen.
Die Frage des Verlaufs derartiger Prozesse wurde von der Autorin gründlich behandelt und beschrieben, die Beantwortung der daraus resultierenden Fragen ist keineswegs leicht. Die Arbeit ist in ihrer Gründlichkeit nicht leicht zu überbieten, da sie das Thema von zahlreichen, man möchte fast sagen beinahe allen Seiten her beleuchtet. Der Multiperspektivismus, der gleichzeitig die verschiedensten Handlungsräume sowie auch Rollen der Akteure und Player behandelt, könnte allerdings auch ein Problem der Unschärfe der eigenen Position zur Folge haben. Das soll kein Vorwurf sein, sondern auf die Schwierigkeit einer Analyse aus postmoderner Sicht hinweisen, die nicht mehr auf alte ideologische Bestände der städtischen Utopie zurückgreifen kann. Das heißt, dass die Autorin den öffentlichen Raum nicht nur über den üblichen Fachdiskurs beleuchtet, sondern auch aus der Perspektive der Stadtpolitik und Stadtproduktion, der Betriebswirtschaft, der rechtlichen Verhältnisse, zugleich auch aufgrund der soziologischen Aspekte der handelnden Akteure, der Urban Governance, der Aufmerksamkeitsproduktion und ähnlichem mehr beschreibt. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass es sich um eine Dissertation handelt, wo eine empirische Arbeit noch besonders stark durch theoretisches Wissen unterstützt und angereichert werden soll, aber unter Umständen den Effekt einer informativen Überladung hervorrufen kann, die einen gelegentlich den Fokus verlieren lässt. Die Anwendung unterschiedlichster, gelegentlich nicht wirklich harmonisierender Begriffsinstrumentarien zeugt von Gelehrtheit, hätte aber vielleicht mehr akkordiert oder konzentriert werden können. Dennoch erzeugt diese geballte Ladung aus Fachwissen, Kompetenz, wissenschaftlicher Akribie, Kenntnisreichtum – so hat die Autorin auch zahlreiche Protokolle der Ausschusssitzungen studiert und Artikel aus Tageszeitungen gelesen – ein beeindruckendes Buch, das im Fachbereich mit Sicherheit einen Stammplatz erringen wird. Sympathisch erscheint die Autorin, wenn sie in einem leichten Anflug von Selbstironie eingangs schreibt: »Eine Dissertation ist ihrer Natur nach ein aufmerksamkeitsabsorbierendes Wesen. Sowohl für Schreibende als auch für Lesende.« Das sollte auch sie zu einer Absorbierung ihrer Aufmerksamkeit als LeserIn dieses Textes ermuntern.
Manfred Russo ist Kultursoziologe und Stadtforscher in Wien.