Die Schönheit der gewöhnlichen Dinge. Über das Werk von Elfriede Mejchar
Besprechung dreier Ausstellungen zu Elfriede MejcharAusstellungen
Im Alleingang. Die Fotografin Elfriede Mejchar.
Wien Museum MUSA, 18.04.2024–01.09.2024
Elfriede Mejchar. Grenzgängerin der Fotografie.
Landesgalerie Niederösterreich, 13.04.2024–16.02.2025.
Poesie des Alltäglichen. Fotografien von Elfriede Mejchar.
Museum der Moderne Salzburg, 25.04.2024–15.09.2024
Ein weißes Keramikwaschbecken in einem Hotelzimmer. Auf der 70er-Jahre-Tapete hängt das gestickte Bild galoppierender Pferde. Im Spiegel eine Frau. Sie beobachtet die Szenerie aus der Ferne, fast entrückt. Sie hat das Foto geschossen. Elfriede Mejchar wäre heuer 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass zeigen gleich drei Museen ihre Werke – das Wien Museum MUSA, die Landesgalerie NÖ und das Museum der Moderne in Salzburg. Sie würdigen die Arbeiten einer spät gefeierten Fotografin, einer Chronistin im doppelten Sinn.
Denn es gab zwei Elfriede Mejchars. Im Hotelzimmer trafen sich beide. Die eine wurde vom Bundesdenkmalamt fast 40 Jahre durch die Bundesländer geschickt, um österreichisches Kulturgut zu dokumentieren. Die andere schoss als freie Fotografin die wohl ungewöhnlichsten Bilder ihrer Zeit. In beiden Rollen archivierte Mejchar Wirklichkeit. Hier die Wirklichkeit der Denkmale, der Gebäude, der historischen Kunstwerke. Dort das radikale Gegenteil – die Wirklichkeit des Banalen.
Zwei Betten in einem Doppelzimmer. Eine Badewanne. Hausschuhe am Teppichboden. In ihrer Hotelzimmer-Serie fotografierte Mejchar, was ihre Kolleg:innen nicht einmal sahen – die immer wiederkehrenden Dinge im Alltag einer Provinz-Reisenden. Wir kennen diese Dinge, haben uns an sie gewöhnt. In Mejchars Fotos erzeugen sie einen Sog, als würde man sie zum ersten Mal sehen. Ein Waschbecken wird zum vielschichtigen Potpourri aus Stimmungen. Es ist vertraut und es irritiert. Die Spießigkeit der Provinz und die Abscheu davor schwingt auf den Fotos genauso mit wie der bedrohliche Unterton des Overlook-Hotels.
Die Archivarin der hohen Kunst interessierte sich abseits ihres Brotberufs für das Abseitige. Sie dokumentierte Verfall und Desolation. Mejchar lichtete Autowracks, Industriehallen, Brachen, Rohre, die aus der Wand brechen, verwelkte Amaryllen, verwaiste Markthütten ab. Bekannt wurde Mejchar mit ihren Bildern von der Simmeringer Haide und dem Erdberger Mais. Über zehn Jahre zog es sie immer wieder an den Rand, in die Peripherie, in den Zwischenraum, in dem die Stadt ins Land ausfranst. Sie fotografierte Gewächshäuser, marode Industrieareale, die Gasometer, Kleingärten, Mauerreste, einen Herd in der Natur. Jahrzehnte bevor das Wort Fabrikschick erfunden war und es Industriebrachen in Modekataloge schafften, hielt sie Mejchar fotografisch fest. Die Innenstadt mit ihren Prunkbauten interessierte sie nicht.
1976 präsentierte sie die Fotos erstmals in einer Einzelausstellung in Wien. Mejchar war damals schon über 50 Jahre alt. Sie wurde spät für ihre künstlerische Arbeit geehrt. Erst Anfang der 2000er-Jahre erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen. Als sie im Jahr 2020 stirbt, gilt sie als eine der wichtigsten Vertreter:innen der österreichischen Fotografie.
Mejchars Schaffensradius war eng. Ihre Fotos zeigen Österreich, meist Wien, manchmal die Provinz. Sie arbeitete in Serie. »Das Einzelfoto liegt mir nicht«, sagte sie einmal. Und so machte die doppelte Chronistin, neben künstlerisch aufregenden Fotos, eben auch das, was Chronist:innen tun: Die Gegenwart für die Zukunft festhalten. Ihre Fotos von Buben im Böhmischen Prater in den 1950er-Jahren, von der Triesterstraße, Mistkübeln, Litfaßsäulen sind auch Zeugnisse einer Stadt, die es heute nicht mehr gibt.
Das MUSA zeigt einen Querschnitt der Arbeit von Elfriede Mejchar. Neben den Fotos aus unterschiedlichen Perioden auch späte gesellschaftskritische Collagen aus zerschnittenen Hochglanz-Magazinen. Mejchar soll sie nach der Aufnahme wieder zerstört haben. Sie blieb dem Kaputten bis zuletzt treu. Die Fotografin, die für den Staat die Kunst anderer auf Zelluloid konservierte, faszinierte die Vergänglichkeit – und machte den Verfall zur Kunst.
Christina Schraml lebt und arbeitet als Stadtforscherin in Wien.