Christoph Laimer

Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.

Erik Meinharter

Klaus Ronneberger

Klaus Ronneberger, Stadtsoziologe, Schwerpunkt Stadt- und Raumplanung, Frankfurt


dérive: Tendenzen sind in Hinblick auf die Abschreckung unerwünschten Publikums von privatisiertem öffentlichem Raum in Zukunft verstärkt zu erwarten? Läuft es eher in Richtung offensiver Abwehr durch Wachpersonal oder wird eher versucht werden durch architektonische Mittel eine unangenehme Atmosphäre für marginalisierte Gruppen zu schaffen?

K. Ronneberger: In den Metropolen lassen sich gegenwärtig unterschiedliche Kontrollstrategien beobachten, die sich gegenseitig stützen und verstärken. Zum einen geht es um die präventive Abschirmung abgeschlossener Archipele wie Bürotürme oder Malls von der »feindlichen Außenwelt«. Durch entsprechende Absicherungen und Wachmannschaften können bereits im Vorfeld unerwünschte Gruppen und Ereignisse ferngehalten werden. Innerhalb des privat organisierten Territoriums findet die Kontrolle der Besucherströme eher unaufdringlich durch Techno-Prävention und eine spezifische Raumgestaltung statt. Die Betreiber von Malls oder Urban Entertainment Centers sind bemüht, bereits durch den Einsatz bestimmter architektonischer Mittel unerwünschten Personen den Aufenthalt in den Gebäudekomplexen zu erschweren. Viele der Architektur- und Kontrollmodelle, die man mit den privaten Konsumkomplexen verbindet, einschließlich des Einsatzes von elektronischen Kameras, dienen gegenwärtig den städtischen Behörden als Vorbild für die Regulation öffentlicher Räume. Zum anderen gibt es umkämpfte Territorien wie etwa die innerstädtischen Einkaufsmeilen oder Bahnhöfe, in denen mit Hilfe einer repressiven Verdrängungspraxis eine selektive soziale Homogenität hergestellt werden soll. Ein wichtiges Instrument der Aufwertungsstrategie bilden dabei Raumverbote für missliebige Personen. Strukturell lassen sich dabei zwei Varianten ausmachen. Zum einen definieren die städtischen Behörden im Rahmen von Sondernutzungen wie etwa Gefahrenabwehrverordnungen Betteln, Alkoholtrinken oder Lagern im öffentlichen Raum als Ordnungswidrigkeit. Zum anderen findet mit Hilfe des Hausrechts eine Umwidmung von öffentlich zugänglichen Orten statt. Als Mitautoren am Skript der Inneren Sicherheit stellen private Sicherheitsunternehmen in der ordnungspolitischen Regulation von Stadträumen einen zunehmenden Machtfaktor dar. Besonders wirksam ist ihr Einsatz in quasi-öffentlichen Bereichen, in denen das Hausrecht gilt. Damit sind eine Reihe von Befugnissen verbunden, die staatlichen Organen auf solchen Territorien nicht zur Verfügung stehen. Mit der Errichtung ganzer Stadtquartiere durch kommerzielle Investoren entstehen urbane Räume, in denen die Individuen überhaupt nicht mehr aus wechselnden Hausrechtsbeziehungen heraustreten. Immer größere Teile der Städte geraten auf diese Weise unter privatwirtschaftliche Kontrolle - und in deren Folge zunehmend unter die Aufsicht privater Sicherheitsdienste. Allerdings sollte eine Analyse sozialtechnokratischer und ordnungspolitischer Regulierungskonzepte den Blick nicht allein auf die Kontroll- und Unterwerfungspraktiken richten. Sie läuft Gefahr, damit die Imperative der Macht zu bestätigen, die gerade in Zweifel zu ziehen wären, und suggeriert eine Homogenität der Kontrolle. Die Vision vom »reinen Raum« produziert zwar einen nicht endenden Zirkel von räumlicher Vertreibung und Verdrängung all derjenigen Menschen, die den Vorstellungen einer relaxten Konsumatmosphäre entgegenstehen, doch trotz langjähriger Bemühungen stellen weder der Ku'damm in Berlin noch die Zeil in Frankfurt cleane Kommerzräume dar. Indem die Marginalisierten mit ihrer Präsenz ein legitimes Aufenthaltsrecht in Anspruch nehmen, unterlaufen sie die vorherrschende Imagestrategie, zentrale Orte und Plätze ausschließlich als »Visitenkarten der Stadt« zu definieren. Der städtische Raum wird stets ein Ort des Widerspruchs und gegebenenfalls auch des Widerstands bleiben.

dérive: Glauben Sie, dass das konservative Modell der symbolischen Versöhnung von Bodenständigen und Modernisten, wie Sie es anhand von Frankfurts Museumsuferprojekt und dem Römerberg beschreiben längerfristig funktionieren wird oder zeichnen sich da bereits wieder neue Tendenzen ab? Wie sehen Sie das Museumsquartier in Wien in diesem Zusammenhang, wo die »Versöhnung« auf Kosten der wirklich innovativen Projekte durchexerziert wird?

K.R.: Um diese Frage angemessen beantworten zu können, muss man den historischen Kontext reflektieren. Angesichts eines wachsenden sozialen Widerstands gegen die Auswirkungen der »funktionalen Stadt« versuchten in den siebziger Jahren die Kommunen und die Stadtplanung durch die Architektonisierung des städtischen Raumes nach historischen Mustern »Urbanität« wieder herzustellen. Die symbolische Beschwörung einer lokalen Identität, aufwendige Raumgestaltungen und die Inszenierung von Kulturereignissen entwickelten sich zu einem festen Bestandteil der Urbanisierungsstrategie. Die Stadt sollte nicht nur einfach funktionieren, sondern auch als kulturelle Form erlebt werden. Seit Mitte der achtziger Jahren läßt sich nun ein neuer Urbanisierungsschub erkennen. Bankenkonsortien, Versicherungsfonds und transnationale Konzerne legen Teile ihres überschüssigen Kapitals in global gestreuten Immobilienbesitz an und nutzen die städtischen Bodenmärkte als reine Finanzanlage. Überall schießen Bürotürme, Gewerbeparks oder Geschäftskomplexe empor, deren Bau sich weniger am lokalen Bedarf orientiert als primär an Renditeerwartungen oder steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten. Die vollständige Integration von Kapital- und Grundstücksverwertung führt zu einer Beschleunigung des Stadtumbaus, da die Anleger die Immobilien stets der höchstmöglichen Verwertung zuführen möchten. Der Spekulationsdruck auf die Zentren erhöht sich gegenwärtig noch durch die kommerzielle Veräußerung frei werdender Flächen aus dem Bestand von Bahn und Post. Der Aufwertungsprozess wird aber auch von den Kommunen vorangetrieben. Orientierte sich die Planung in den achtziger Jahren noch am Modell der behutsamen Stadterneuerung, so gewinnen gegenwärtig spektakuläre Großprojekte an Bedeutung. Nicht mehr die symbolische Versöhnung von Bodenständigen und Modernisten steht im Mittelpunkt der Stadtpolitik, sondern eine aggressive Standortprofilierung. Auch unternehmen die städtischen Administrationen große Anstrengungen, einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen und Touristen mit Hilfe von freizeitorientierten Dienstleistungen anzulocken und Umlandkaufkraft abzuschöpfen. Die dabei verfolgten Imagekampagnen können sehr unterschiedlich ausfallen. Entweder setzt man auf Museen und große kulturelle Einrichtungen oder man versucht, sich als Zentrum der kulturellen Produktion darzustellen. Allen Strategien ist gemeinsam, die vielfältigen Dimensionen der Kultur auf eine kohärente Repräsentation zu reduzieren und möglichst in visuell konsumierbare Einheiten umzuformen. Für das »Gesamterlebnis Stadt« spielen seit den neunziger Jahren neben Städtebau und Architektur zunehmend Shopping Malls, Freizeitparks, Musical-Theater und Multiplexkinos eine wichtige Rolle. Nostalgisch gestimmte Urbanisten mögen das Vordringen der Erlebniswelten mit dem Ende der »Europäischen Stadt« gleichsetzen, aber im direkten Vergleich der Erlebnisarchitekturen, zwischen Disney World und beispielsweise Wien, wirkt Disney World inzwischen viel authentischer als die österreichische Metropole. Disney World behauptet gar nicht, Realität zu sein. Insofern ist damit auch die Frage nach der Bedeutung des Museumsquartiers beantwortet. Es handelt sich dabei um einen funktionalen Bestandteil des Themenparks »Alt-Wien«.

dérive: Sie schreiben, dass Macht- und Herrschaftsprozesse Ausgegrenzte erst zu solchen machen und es nicht reicht, bloß räumliche Zugangsrechte für ausgegrenzte Gruppen zu fordern. Ist nicht das Festlegen von Zugangsbeschränkungen Teil eines Herrschaftsprozesses? Wenn auch die »bloße Einforderung des räumlichen Zugangsrechts für ausgegrenzte Gruppen den entscheidenden Punkt verfehlt«, ist es nicht trotzdem wichtig, genau dafür zu kämpfen?

K.R.: Sie sind Mitglied der Stadtforschungsgruppe spacelab. An welchen Projekten arbeitet spacelab zur Zeit, was haben Sie bisher gemacht? Selbstverständlich ist es richtig und wichtig dafür zu kämpfen, dass marginalisierte Gruppen nicht durch Raumverbote aus der Stadt verdrängt werden. Aber man darf nicht bei dem Punkt der Zugangsbeschränkung stehen bleiben. Zu fragen ist vielmehr, im Rahmen welcher Macht- und Herrschaftsprozesse Ausgegrenzte überhaupt erst zu solchen gemacht werden. So trifft man häufig im neoliberalen Urbanitätsdiskurs auf die Vorstellung einer zwanglosen städtischen Vielfalt, zu der eben auch Marginalisierte gehörten. Damit werden aber soziale Differenzen in kulturelle Unterschiede übersetzt und Klassenhierarchien als Ausdruck unterschiedlicher Lebensstile gedeutet. Verelendung oder Ghettos lassen sich dann als natürliche Bestandteile einer widersprüchlichen Metropole festschreiben.

dérive: Im letzten Absatz des Buches schreiben Sie, dass es wichtig wäre, ein Verständnis vom Sozialen zu entwickeln, das nicht nur als eine Kultur der Probleme erscheint. Könnten Sie ein wenig genauer sagen, wie Sie sich das vorstellen?

K.R.: Zwischen den Law-and-Order-Kampagnen und der fürsorglichen Aufmerksamkeit für »soziale Randgruppen« bestehen strukturelle Affinitäten: Stets geht es darum, gesellschaftliche Konflikte zu moralisieren und zu dramatisieren. Beide Strömungen verbinden ihre Darstellungen mit dem Ziel ihre jeweiligen Apparate auszubauen und ihre Praktiken zu legitimieren. Der philantropisch-karitative Sozialkomplex wendet sich zwar gegen bestimmte Formen der Ausgrenzung, allerdings organisiert er zugleich durch Klassifizierungsverfahren den Grenzbereich zwischen Inklusion und Exklusion. Gestützt auf eine »Kultur der sozialen Probleme« stellt man Gruppen oder Menschen als »Risikopopulationen«, »Randgruppen« oder »sozialen Sprengstoff« vor, die als Bedrohungsszenarien staatliche Ressourcen und Unterstützungsprogramme mobilisieren sollen, aber dazu beitragen, die Stigmatisierung der Marginalisierten zu verfestigen. Ebenso wirken die Sozialwissenschaften bei der massenmedialen Verbreitung von Bedrohungsgeschichten entscheidend mit. Das ist vor allem auf das »Regierungsdenken« der verschiedenen Disziplinen zurückzuführen, die gesellschaftliche Entwicklungen vor allem aus einer Perspektive der sozialen Kontrolle und Normalisierung thematisieren. Die Idee des sozialen Ausgleichs zählt zwar zum Standardrepertoire des soziologischen Krisendiskurses, allerdings verknüpfen die meisten Protagonisten einer integrativen Stadtpolitik ihre Forderungen mit Szenarien, die den Zerfall der städtischen Gemeinschaft durch die Sprengkraft des Sozialen beschwören. Wir von spacelab hingegen haben eine Vorstellung vom Sozialen, die sich an der Idee eines selbstbestimmten Lebens gegen den Staat und den damit verbundenen Weisen der Vereinzelung und Vergesellschaftung orientiert. D.h. es geht gerade darum, die durch Moral, wissenschaftliche Norm und staatliche Fürsorge erreichte Disziplinierung und Normalisierung der Subjekte in Frage zu stellen und anzugreifen. Mit Foucault kann man sagen, dass es drei Typen von sozialen Kämpfen gibt: die gegen Formen der Herrschaft, seien sie religiös, ethnisch oder sozial begründet; die gegen Formen der Ausbeutung, die das Individuum von dem trennen, was es produziert; die gegen all das, was das Individuum an es selber fesselt und dadurch anderen unterwirft. Spätestens seit der 68er-Revolte dominiert der Kampf gegen die »Formen von Subjektivität«. Damit verschwinden natürlich nicht Herrschaft und Ausbeutung als Motive für Revolten, denn die Subjektivierungsweisen sind mit den Auseinandersetzungen in gesellschaftlichen Bereichen wie Ökonomie oder Recht verkoppelt. Daß die Kämpfe gegen Subjektivierung dennoch Vorrang haben, resultiert aus dem grundlegenden Prozess der Durchstaatlichung aller Lebensverhältnisse. Dabei muss man sich von der Vorstellung befreien, sich den Staat als einen starren Apparat zu denken. Vielmehr handelt es sich um eine moderne, »flüssige« Machttechnologie, in der die Vergesellschaftung der Individuen gerade vermittels ihrer Subjektivierungsweisen vollzogen wird. Eine zentrale Rolle spielt dabei die willentliche Selbsttätigkeit der Menschen, sich dem Gesetz ethisch verpflichtet zu fühlen und die Normen auf sich selbst zu beziehen. Demgegenüber geht es nach Foucault darum, neue Formen von Subjektivität hervorzubringen, indem man die Art von Individualität zurückweist, die den Subjekten seit Jahrhunderten auferlegt wird - sprich die Unterwerfung unter eine Moral, die nach der Logik des Opfers oder des Verzichts funktioniert. Natürlich stellt sich dabei immer wieder das Problem, wie die minoritären Freiheitspraktiken partikularer Gruppen sich gegenseitig verstärken können. Dies ist letztlich eine Frage der politischen Praxis. Um es mit Lefebvre zu sagen: Das Leben ändert sich nicht auf magische Weise, etwa durch einen poetischen Akt, wie es die Surrealisten glaubten. Und wenn alles gesagt werden soll, genügt Sprechen allein nicht und noch weniger Schreiben. (DieseThesen stützen sich auf einen Artikel von Thomas Seibert in der alten »Beute«(4/1995: Das Subjekt der Revolten))

dérive: Sie sind Mitglied der Stadtforschungsgruppe spacelab. An welchen Projekten arbeitet spacelab zur Zeit, was haben sie bisher gemacht?

K.R.: Unser gegenwärtiges Projekt besteht darin, sich empirisch-praktisch mit verschiedenen Facetten des gegenwärtigen städtischen Alltags zu beschäftigen. Wenn man will, kam man das Vorhaben als »konkrete Soziologie« verstehen, die nicht nur Phänomene der Exklusion erforscht, sondern auch um Raumstrategien der »Normalitäts-Klassen« erkunden möchte.

Klaus Ronneberger ist einer der Autoren des Buches Die Stadt als Beute, das er im März 2000 im Depot in Wien präsentiert hat. Eine Besprechung des Buches ist in dieser Ausgabe von dérive zu finden.

Klaus Ronneberger/ Stephan Lanz/ Walther Jahn.
Die Stadt als Beute.
Dietz-Verlag Bonn 1999 240 S., ATS 181.-


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