Andre Krammer

Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.


Band 24 der Zeitschrift UmBau mit dem Titel Strategien der Transparenz. Zwischen Emanzipation und Kontrolle, enthält als Schwerpunkt eine Nachlese zur Veranstaltungsreihe Transparenz. Strategien der Sichtbarkeit in der Architektur der Österreichischen Gesellschaft für Architektur.

Der Titel Strategien der Transparenz verweist auf einen Zugang, der die Instrumentalisierung des Begriffs in diversen Diskursen fokussiert. Die im neuen UmBau versammelten Texte betonen die Funktion der Konzeptionen der „Transparenz“ als ideologische Konstruktion. Seit der legendären Proklamation der Moderne(n Architektur) haben sich die diversen Bedeutungs ebenen des Begriffs immer wieder verschoben. Die modernistische Hoffnung, dass der architektonische Einsatz von Glas eine Auflösung der Grenzen zwischen öffentlich und privat ermöglichen würde, hat sich schon lange verflüchtigt. Phänomenologisc h hatte man die spiegelnde, reflektierend e Eigenschaft von Glas vernachlässigt und so auch die ambivalenten, philosophischen Implika tionen wenig beleuchtet. In der Nachkriegszei t entdeckte man eine bisher verborgen gebliebene Qualität der Glas architektur Mies van der Rohes: Die vordergründige Transparenz war auch ein Spiel der Täuschungen von beinahe surrealer Wirkung.

Michel Foucault hat eindringlich auf die machtpolitische Kontrollfunktion durch räumliche Strategien von Sichtbarkeit und Überwachung (Stichwort Gefängnisarchitektur) verwiesen, gleichsam als Schattenseite der Aufklärung. Für Gilles Deleuze hatte die Demokratie an sich eine „panoptische Qualität“ entwickelt, in der Kontrolle nicht mehr physisch (durch kontrollierende Blicke) organisiert wurde, sondern virtuell in Form von „Selbstkontrolle“. Nach 1945 avancierte die „Transparenz“ zu einem „Mantra als Symbol für die westliche Demokratie“ (Christian Teckert).

Was lässt sich über die Gegenwart sagen? Konstatiert wird eine Verschiebung von der Semiotik und der Soziologie (der 1980er Jahre) zu „Image und Repräsentation“, Begriffen, die seit den 1990er Jahren prägend sind. Transparenz tritt als Agent einer zunehmenden Theatralik und Inszenierung öffentlicher und privater Räume auf. Das kann man in namenlosen Stadt- und Konsumlandschaften festmachen, aber auch in der gläsernen „Stararchitektur“ eines Jean Nouvel oder eines Dominique Perrault und dessen Pariser Bibliothek, in der sich die Verschiebung einer aufklärerischen Konzeption der Transparenz hin zu einem instrumentellen, repräsentativen Gebrauch manifestiert.

Transparenz – darauf wird in den Texten wiederholt hingewiesen – kann oft ihr Versprechen der Offenheit nicht erfüllen – die häufige Diskrepanz zwischen Durchsichtigkeit und Unzugänglichkeit kann sogar Aggression erzeugen. Die Dialektik zwischen optischer Durchlässigkeit und physischer/politischer Ausschlussmechanik wäre eine vertiefende Auseinandersetzung wert.

Die versammelten Texte umkreisen die Genese des Begriffs und machen gleichzeitig indirekt deutlich, dass ein schmaler Band zu diesem Thema eher eine sympathische Hybris ist. Einer umfassenden Aufarbeitung der Geschichte der „Transparenz“ wäre nur in einem interdisziplinären Projekt beizukommen, das die materiellen, metaphorischen, philosophischen und nicht zuletzt politischen Aspekte umfasst und somit einige Bände füllen würde. Das Verdienst des vorliegenden Bandes ist es, die Weite eines spannenden Diskurses deutlich gemacht zu haben: Das macht Lust auf mehr. Der aktuelle Teil des UmBau widmet sich dem Thema Wohnbau Wien 2008 – insbesondere der jüngsten Debatte um „architektonische Qualität und Wirtschaftlichkeit“, die zwischen ArchitektInnen und Bauträgern in Wien entbrannt ist. Ein weiterer Schwerpunkt ist das sträflich vernachlässigte Thema „Architekturforschung“, dreht sich hierzulande doch alles um den Baukünstler/die Baukünstlerin und weniger um den Mehrwert von Grundlagenforschung.


Heft kaufen