Eine Stadt ist keine Marke
Besprechung von »Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle« von Christoph TwickelDie Hochkonjunktur der Gentrification-Debatte, die seit einigen Jahren sogar die Tagespresse zur Berichterstattung veranlasst und dazu geführt hat, dass Menschen, die kaum eine Ahnung davon haben, was Stadtforschung oder Stadtsoziologie ist, das Wort nicht nur fehlerfrei aussprechen können, sondern sogar so ungefähr wissen, was es bedeutet, ist nicht zuletzt den Vorgängen im Hamburg der letzten Jahre geschuldet. Der Hamburger Journalist und Aktivist Christoph Twickel hat vor kurzem ein Buch vorgelegt, das den Hunger auf mehr Informationen über »Gentrifidingsbums«, so der Titel des Buches, und die Hamburger Verhältnisse (Hafencity, Gängeviertel, Ikea/Altona) fürs erste stillt.
Twickels Buch ist in erster Linie für Menschen geschrieben, die sich einen Einblick in die Thematik verschaffen wollen und sich für die Hamburger Stadtentwicklung der letzten Jahre sowie die Debatte um die Creative City bzw. Class interessieren. Im Kapitel Vom Unternehmen Stadt zur Image City liefert Twickel einen kurzen Abriss zur Entwicklung der westlichen Stadt in den Nachkriegsjahrzehnten, von den Großsiedlungen des funktionellen Städtebaus, Suburbanisierung und der sozialen Bewegung gegen den Abriss von Altbauvierteln über Standortmarketing,
Städtewettbewerb, Global Cities zur
Creative City.
Wie es zum Hype um die sogenannte Creative Class gekommen ist und den diesbezüglichen Entwicklungen in Hamburg ist ein eigenes Kapitel gewidmet. An dieser Stelle wird es spannend, weil die Situation unübersichtlicher wird. Das einfache Gut-Böse-Schema lässt sich zumindest auf den ersten Blick nicht mehr aufrecht erhalten, auch wenn das oft erst im Nachhinein klar wird. Heute ist der Vorwurf Gentrification schneller ausgesprochen als sich ein klarer Gedanke fassen lässt. Die InitiatorInnen von Zwischennutzungen, Baugruppen, Stadtteilinitiativen, Festivals etc. (bei Twickel heißen sie der »kulturell-demokratische-partizipatorische Komplex« ) haben vor zehn Jahren kaum daran gedacht, dass ihr oft uneigennütziges und kritisches Engagement sich im Nachhinein als ein erster Baustein für einen unerwünschten Prozess herausstellen könnte. Dass die Guten im Normalfall nicht diejenigen sind, die von diesen Entwicklungen ökonomisch profitieren, sondern es ganz andere Player sind, die solche Situationen nutzen, um in aufgewerteten Stadtteilen ordentlich Gewinn zu machen, ändert an dem Prozess, den diese PionierInnen möglicherweise angestoßen haben, im Ergebnis nichts. Bekanntlich profitieren diese davon nicht nur nicht ökonomisch, sondern können sich oft selber die steigenden Mieten nicht mehr leisten und ziehen in ein anderes Viertel. Trotzdem heißt das natürlich keineswegs, dass überall dort, wo der kulturell-demokratische-partizipatorische Komplex in der Stadt aktiv wird, sich Jahre später Starbucks und H&M niederlassen und die Mieten steigen. So eindeutig sind die Zusammenhänge nicht, und das macht alles ein wenig komplizierter. Dass es der Kapitalismus allerdings glänzend versteht, sich Kritik und alternative Lebensäußerungen einzuverleiben und in eigenen Treibstoff zu verwandeln, hat er oft genug bewiesen. Twickel empfiehlt als Gegenstrategie Imagebeschmutzung
B. »Not in Our Name, Marke Hamburg!«), ist sich aber im Klaren, dass das nur der erste Schritt sein kann und der zweite – das Stellen der Eigentumsfrage – um einiges schwieriger werden wird.
Dabei kommt ihm lustigerweise auf halbem Wege Richard Florida, Erfinder des Konzepts der Creative Class und durch seine Publikationen Ideengeber für alle Creative Cities, entgegen. Weil er weiß, dass, wenn die Kreativen wegziehen, es irgendwann auch für die Reichen langweilig wird. Sie ziehen dann nämlich ebenfalls weg und die Immobilienpreise sinken, und das darf natürlich nicht passieren. So gesehen ist es laut Florida klüger, z. B. HausbesetzerInnen am Eigentum zu beteiligen, statt sie zu vertreiben, und damit dafür zu sorgen, dass die Upper Class das Gefühl hat, in einem lebendigen Viertel zu leben – und das Immobiliengeschäft blüht.
Twickel sieht die Rede von der kreativen Stadt insgesamt nur als »schönen Schein der Gentrifizierung«: »Nicht die Sorge um Lebendigkeit, Kleinteiligkeit und Nachhaltigkeit, um Toleranz, Vielfalt und Offenheit ist treibende Kraft städtischer Politik in der neoliberalen Stadt. Stattdessen lenkt die Politik ihre Ressourcen darauf, die Bedingungen dafür herzustellen, dass sich die Stadt als Verwertungsraum für hochtourigen Massenabsatz bewährt.« Als Beispiel hierfür dient ihm der höchst umstrittene Plan einer Ikea-Filiale in Hamburg-Altona. Zu diesem Zweck wird gerade das Frappant-Gebäude, dass bis zuletzt KünstlerInnen als Ateliers diente, abgerissen. Als Beispiel dafür, wie Widerstand gegen die unternehmerische Stadt aussehen kann, darf das Gängeviertel, das »zum Star des deutschen Feuilletons« geworden ist, natürlich nicht fehlen und wird ausführlich dargestellt. Interessant ist hier besonders der Unterschied zu Hausbesetzungen (Beispiel Hafenstraße) früherer Generationen. Die BesetzerInnen haben eine heterogenere Struktur, treten weniger ideologisch auf und haben weniger Berührungsängste mit Medien und politisch Andersdenkenden, was den alten HäuserkämpferInnen oft nicht ganz geheuer ist. Es wird sich weisen, ob das Konzept auf Dauer erfolgreich sein wird.
Aufschlussreich und ernüchternd zugleich ist Twickels Darstellung der Entwicklung der Hafencity und der Kosten, die die öffentliche Hand in Projekte wie die Elbphilharmonie stecken muss bzw. steckt. Summen, die so unglaublich hoch sind, dass man gar nicht daran denken mag, was damit an kleineren und nachhaltigeren Projekten hätte verwirklicht werden können. Äußerst erfreulich ist, wie intensiv die Debatte um das Recht auf Stadt in Hamburg geführt wird und wie viele Leute sich engagieren. Neben der Lektüre des Buches empfehle ich, sich einige der zahlreichen Videos anzusehen, die es zu all diesen Themen im Internet zu finden gibt, und den Film Empire St. Pauli – Von Perlenketten und Platzverweisen (http://www.empire-stpauli.de)
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.