Einladende Orte für soziale Aktivitäten - Wie öffentliche Räume entstehen...
Besprechung von »Leben zwischen den Häusern« von Jan GehlDas Wichtigste an der – 40 Jahre nach ihrer Erstveröffentlichung nun endlich auch auf deutsch erhältlichen – Publikation Leben zwischen den Häusern des dänischen Architekten und Stadtplaners Jan Gehl ist die sensible Begründung der „belebenden“ Funktionsweisen durch Aktivitäten in öffentlichen Räumen. Diese Aktivitäten sind auf drei aufeinander aufbauenden Ebenen bedeutsam. Die anspruchslosesten sind die notwendigen Aktivitäten. Darauf folgen die freiwilligen, doch erst die nächste Ebene der sozialen Aktivitäten stellt die Herausforderung dar. Diese funktionale Bedeutung ist fundamentale Voraussetzung und ein Grundprinzip für lebendige Straßen und Plätze. Es müssen nicht Häuser, sondern Menschen und Ereignisse versammelt werden, um belebte Treffpunkte beziehungsweise eine urbane Stadt zu erhalten. Der Wirkungsmechanismus „Es passiert nichts, weil nichts passiert“ ist ein gestaltbarer Prozess. Hierbei ist die Dauer der Aufenthalte der relevanteste Indikator für das tatsächliche Aktivitätsniveau.
Vorausschauend sollte die Planung in allen Maßstabsebenen für ein reibungsloses Funktionieren von Stadt sorgen. Ziel sind einladende Orte; ob über einen integrationsorientierten Bauleitplan oder der Aufwertung von Mikrofreiräumen mit höherem Identifikationswert – es gibt viele planerische Wege. Basis ist ein möglichst kompaktes System öffentlicher Räume, damit die Distanzen für FußgängerInnen und Sinneswahrnehmungen so kurz wie möglich sind. Dazu setzt sich der Jan Gehl mit den Begrenzungen der menschlichen Fortbewegungs- und Wahrnehmungsfähigkeit auseinander. Beispielsweise analysiert er die Situation von PassantInnen, deren Austauschzonen mit AutoinsassInnen durch fragmentarische Begegnungen zu klein sind. Menschen, die bereits auf der Straße unterwegs sind, können nicht am Straßenleben teilnehmen, da es an ihnen vorbeifährt. In zeitgemäßen Siedlungen werden Sammelparkplätze in 100-200 m Entfernung zu den Wohnungen angelegt, um öffentliche Räume zu beleben. Da mehr Menschen unterwegs sind, werden die Straßen unterhaltsamer und der gegenseitige Schutz höher.
Es gilt die grundlegenden psychologisch wirksamen Elemente der Planung und Gestaltung zu erkennen. Im Zuge dessen behandelt Gehl die Dichotomie öffnen oder abschotten. Es geht um den Kontakt zwischen dem, was in öffentlichen Räumen passiert, und dem, was in angrenzenden Gebäuden vor sich geht. Hierbei ist der Erfahrungsaustausch nicht nur eine Frage von Distanzen, sondern auch von Fenstern und Gardinen. Beispielsweise lässt sich architektonisch zwischen einer wie auch immer designten Fassade oder einer interessanten Werkstatt, belebten Sporthalle, einem Kindergarten und anderem unterscheiden, wenn das Innenleben von Gebäuden durch Transparenz visuell zugänglich wird. Gegenbeispiele sind Einkaufszentren, die dem Umfeld die Funktionen von öffentlichen Räumen streitig machen und sich nach außen abschotten.
Auch die Gegenpole integrieren oder ausgrenzen, einladen oder abweisen sollen die Basis für umsichtiges und bewusstes Planen erklären. Unter versammeln oder zerstreuen wird ebenso die Platzierung der Gebäude wie auch die Ausrichtung von Zugängen auf Transit- und Aufenthaltsräume erforscht.
Das Buch versucht anhand der Räume zwischen den Gebäuden aufzuzeigen, dass die Organisation von Stadt(-leben) bereits von der Standortpolitik von Schulen (oder passiven Elementen wie Büros) abhängt. Die Frage der Erschließung hin zu öffentlichen Räumen durch die Verortung von Zugängen (Haustüren) sowie deren Erzeugung von Gehlinien oder der Motivation zum Gehen wie Sichtbeziehungen baut darauf auf. Selbst auf die subjektiv erlebten Wege für FußgängerInnen geht das Kapitel ein. Auch ihre Entfernung und Breite sowie Frequenz sind sensibel zu dimensionieren. Akzeptable Entfernungen (ca. 400-500 m) sind ein Zusammenspiel von Länge und Qualität unter Berücksichtigung von Schutz und Stimulation. Für Kinder und Alte ist die Geschwindigkeit geringer, somit ist die individuell erlebte Länge der Strecke höher. Es könnte der Eindruck von langweiligen Orten oder gar unangenehmen (Angst-)Räumen hervorgerufen werden. Diese existiert beispielsweise, wenn Parkplätze große Löcher und Leerräume in der Stadtfläche darstellen. Ebenso ist für den zwischenmenschlichen Kontakt ein Übergang von der privaten Umgebung (Vorgarten, Loggia) zu öffentlichen Räumen wichtig. In einem Wohngebiet kann alleine ein Autoabstellplatz vor der Haustüre diesen Kontakt zum Gehsteig behindern. Gehen, Sitzen und Stehen werden ebenso erforscht wie psychologische Effekte des Sozialraums und Empfehlungen für mehr Verweil- und Lebensqualität.
Wichtig ist die Summe der gesamten auf der Straße verbrachten Zeit, wie in der Sonne Ausrasten, Herumspazieren und Spielen. Hingegen weist Gehl (für Wohngebiete) nach, dass die Teilnahme am Leben im öffentlichen Raum nicht durch das notwendige häufige Kommen und Gehen bestimmt wird, sondern durch die freiwilligen, spontanen und oft improvisierten Freizeitaktivitäten.
Grundsätzlich erhöht die Nutzungsquantität die Qualität öffentlicher Räume. Das verbesserte Raumgefühl lädt auch andere ein, hinaus zu gehen. In öffentlichen Räumen werden zum Teil Bedürfnisse nach Kontakt, Wissen und Anregung befriedigt. So können auch an und für sich unschöne zu angenehmen Orten werden. Wenn Details stimmen und die Räume zum zu Fuß gehen oder Verweilen einladen und die Zahl der physischen, psychologischen und sozialen Nachteile auf ein Minimum reduziert ist, lässt sich der Sprung von den notwendigen hin zu den entscheidenden freiwilligen Aktivitäten schaffen. Weitere Details sind Attraktivität, das Mikroklima und die Ästhetik und zusammenfassend solche, die die (belebende) Funktion unterstützen.
Für mich ist Leben zwischen den Häusern, das nicht ohne Grund in 50 Sprachen übersetzt worden ist, 40 Jahre nach der Erstveröffentlichung noch immer für eine wertvolle Fachfibel für alle PlanerInnen, Einkaufsstraßenvereine sowie GemeinwesenarbeiterInnen. In der Neuauflage wären Ergänzungen etwa zu neuen Rahmenbedingungen, z. B. durch die Technisierung der Lebenswelt, wünschenswert gewesen. Mobiltelefone haben nicht nur Kommunikationsformen verändert, sondern zeigen, dass neue Herausforderungen im öffentlichen Raum existieren. Rückzug in Medienwelten oder Abschottungstendenzen (Kopfhörer) halten UserInnen vom direkten Gemeinschaftsleben fern. Andererseits bieten WLAN-Zonen neue Anlässe, Zeit an der frischen Luft und im öffentlichen Raum zu verbringen.
Diese Kritik gilt nicht dem Autor, sondern einer Stadtforschung, die den Sozialraum noch viel zu wenig anwendungsorientiert ergründet hat. Über gelungene Planung durch gute Raum-Zeit-Verhältnisse, inspirierende, attraktive Verweilqualitäten oder einzelne Interessen am urbanen, städtischen Leben wissen wir noch recht wenig. Umbaumaßnahmen sollten uns Anlass genug sein, um mit Hilfe von Sozialraumanalysen bestehende Funktionsweisen zu ergründen und durch Neuplanungen Stadträume wie z. B. den Wiener Schwedenplatz zu verbessern.
Udo W. Häberlin studierte Stadt- und Raumplanung u. a. bei Detlef Ipsen, Ulla Terlinden und Lucius Burckhardt in Kassel. Er arbeitet bei der Stadt Wien, Abteilung Stadtplanung und -entwicklung.