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Einsichten
Es gibt Sätze, die für sich bleiben wollen. Solche, die in bestimmten Atemzügen ohne einen vorgegebenen Grund entstehen und sich so auch entfernen.
Eine Ahnung
Welche Gesetze und Regime auch eintreten mögen, die MigrantInnen gehen weiterhin ihren gewöhnlichen Alltagshandlungen nach. Sie leben, sammeln und tauschen Informationen, korrumpieren das Restriktionssystem, unterstützen die neu Angekommenen, schaffen sich Raum und Zeiten, die – egal wie feinmaschig das Restriktionsregime ist – diesem entgleiten. Die Gesetze können diesen Tatsachen nachjagen, sie erreichen oder gar auslöschen werden sie nie können. Insofern ist es von vornherein ein verlorenes Spiel. Aber vielleicht hat dieses Spiel gar nicht die Funktion, die als solche verkündet wird, vielleicht ist alles ganz anders, und wir ahnen es nur.
Über die Vergangenheit
Rassismus entsteht aus bestimmten gesellschaftlichen Bedingungen, die sich mit der Zeit transformieren, die aber das Grundsätzliche nicht in Frage stellen, nämlich die Idee der Ungleichheit und des damit verbundenen Prinzips des Wettbewerbes. Mit den Transformationen der gesellschaftlichen Bedingungen und Produktionsverhältnisse transformiert sich auch der Rassismus, nur als Ausschlusstechnik bleibt er gleich. Immer geht es darum, dass bestimmte Individuen, die sich als Gruppen und Identitäten strukturieren, als rational Denkende und befugt zu entscheiden an der Gesellschaft teilnehmen und die Anderen – immer unter anderen diskursiven Vorzeichen – teilnahmslos keine gesellschaftliche Wahrnehmung auf sich lenken. Die Vergangenheit aber lebt in der Gegenwart und ist genauso wie die Gegenwart bekämpfbar. (hä?!)
Historisierung als Strategie
Die Strategie der Selbsthistorisierung basiert auf dem Bedürfnis, das Vergangene als kontinuierliche Stufe des Gegenwärtigen zu erkennen. Dabei geht es darum, die eigene gesellschaftspolitische Besonderheit, die Individualität zu erkennen und damit verbunden in Richtung Universalität zu denken. Selbsthistorisierung ja oder nein ist eine Frage der Emanzipation. Es geht dabei nicht darum, was wir alles aus der Geschichte lernen können – wir können im Allgemeinen aus der Geschichte gar nichts lernen, sondern darum, als politische Subjekte ein zusätzliches Kampfinstrument zu bekommen. Es geht darum, die Geschichte als Kampf- und Emanzipationsinstrument dem Nationalstaat zu entreißen.
MigrantInnen müssen ihre Vergangenheit historisieren, um Zugang zur ihr zu haben und sie für sich arbeiten zu lassen. Es handelt sich dabei gewissermaßen um die Annektierung der Geschichte der Mehrheitsbevölkerung (im Herkunfts- und Aufnahmeland), so dass diese ein Teil anderer Geschichte, der Geschichte der MigrantInnen wird. (Das vermeintliche Schweigen, in das sich MigrantInnen bezüglich ihrer Geschichte einwickeln, ist eine Bedingung der Machtausübung und der in ihr produzierten Gewalt.) Neu ist nicht, dass MigrantInnen soziale Kämpfe führen, sondern dass sich langsam eine Struktur aufbaut, in der diese Kämpfe Gehör und Unterstützung erfahren.
Das Misstrauen der MehrheitsarbeiterInnen gegenüber den MigrantInnen entspricht nicht einem Klassenunterschied zwischen beiden, sondern es ist das Werk normierender Mechanismen, die unsere ganze Gesellschaft durchziehen.
Der Integrationsapparat ist nicht stark. Integrationsprobleme können nur so lange als Herrschaftsinstrument aufrechterhalten werden, wie eine Trennung vom Objekt und seinem Diskurs, von den MigrantInnen selbst, besteht.
Indem die Ausschließungsgesetze (Hand in Hand mit Integrationsprogrammen) ein Volk von »Ausländern« als integralen Bestandteil des Staatsgebildes erzeugt, transformiert es die sozialen Probleme in Probleme der verstärkten Überwachung und in ein gesellschaftliches Verlangen nach Repression. So wird der politische Diskurs zu einem Ordnungsdiskurs.
Politischer Streit
Der grundlegende politische Streit ist der um die Teilnahme am Gemeinwesen. Der Kampf der MigrantInnen um Teilnahme ist eminent demokratisch, denn er dreht sich um die Aufteilung zwischen denen, die von hier sind und denen, die es nicht sind, und sie wenden sich gegen die identitätsförmige Definition des Gemeinwesens, gegen die Identifikation von Volk und Bevölkerung, deren verheerende Wirkung sie aufzeigen.
Das System der Grenzen
Nicht die Kultur, Nation, Identität und desgleichen trennt die MigrantInnen von den Mehrheitsangehörigen, sondern hier wie dort sind es die realen Machtverhältnisse, an denen sich das Verhalten und gesellschaftliche Praktiken im einzelnen ausrichten. Es ist das System der Grenzen, das in jedes Alltagsregime einsickert und auch todbringende Formen annimmt. Rebellion dagegen ereignet sich, sie ist aber ein Teil dessen, was nicht verboten werden kann ... eben nicht der Grenzen.
Was sind die MigrantInnen?
MigrantInnen sind nicht MigrantInnen. Sie sind die Abwesenheit der staatsbürgerlichen Rechte, diejenigen, die einer spezifischen Herrschaftsform unterworfen sind, die ihre Legitimation aus dieser Abwesenheit ziehen. Die Ordnung der StaatsbürgerInnen ist im Bereich »Ausländer« aufgehoben und durch eine besondere Ordnung, diejenige des Rassismus, ersetzt worden. MigrantInnen definieren sich nicht aus ihrem Opferstatus, sondern aus einer grundsätzlichen Paradoxie der nationalstaatlich definierten Demokratien.
Die Pralinen
Die »VorzeigeausländerInnen« repräsentieren alles, was einem/einer ermöglicht wird, wenn die am Universalismus anknüpfenden Forderungen des politischen Antirassismus fallen gelassen werden. Sie können sich ermächtigt fühlen, wie ihre mehrheitsösterreichischen KollegInnen zu handeln. Das ist verführerisch für viele MigrantInnen, die sich mit der Grundstruktur der Menschen »zweiter Klasse« (Etienne Balibar) abgefunden haben. Diese Position erlaubt es scheinbar, wie ein Mensch erster Klasse zu handeln, und verdeckt gleichzeitig die tatsächlichen Ausschließungsmechanismen. Mechanismen, die längst als Normalität gelten, als strukturelle Behinderung aber permanent von politischen AktivistInnen angeprangert werden. Diese Position der »VorzeigeausländerInnen« führt zur Dissolidarität der MigrantInnen untereinander. Der/die MigrantIn als politische Subjektivierung wird hier in seiner/ihrer Repräsentanz ausgelöscht. Das ist politisch sehr praktisch für alle um Übermacht kämpfenden Verwaltungs- und Polizeieinheiten. Darum vermehren sich die Positionen auf den KandidatInnenlisten der Parteien, deren Voraussetzung der »migrantische Hintergrund« ist.
Ljubomir Bratić lebt als Philosoph, Sozialwissenschaftler, Publizist, Aktivist und Flüchtlingsbetreuer in Wien.