Die unbekannte Karriere der Moderne-Architektin Elizabeth Scheu Close
Besprechung von »Elizabeth Scheu Close – A Life in Modern Architecture« von Jane King HessionJane King Hession
Elizabeth Scheu Close –
A Life in Modern Architecture
Minneapolis/London: University of Minnesota Press, 2020
256 Seiten, ca. 35 Euro
One of the largest oeuvres by an Austrian Modern architect happens to be almost unknown in Austria – how is that possible?
Eines der umfassendsten Gesamtwerke, das ein österreichischer Architekt der Moderne im Zeitraum von 1938–1991 aufweisen kann, ist in Österreich unbekannt – wie ist das möglich? Nun, es ist möglich, weil man diese architekturschaffende Person im Deutschen gendern sollte, denn diese ist eine Frau. Man kennt Rudolf Schindler, Richard Neutra und Victor Gruen, aber eine Architektin? Elizabeth Scheu Close, nie gehört! Es ist eine spannende Geschichte, wie man im 20. Jahrhundert als Wienerin in der Architektur der Moderne in den USA reüssieren konnte, in der früheren Heimat jedoch nicht wahrgenommen wurde. Noch dazu, wenn man in einem von Adolf Loos geplanten Haus aufgewachsen ist!
Die renommierte amerikanische Architekturhistorikerin Jane King Hession hat in ihrem jüngst erschienenen Buch, Elizabeth Scheu Close – A Life in Modern Architecture die einmalige Geschichte einer mutigen jungen Frau aus Österreich erzählt, die 1932 zum Studium in die USA auswanderte und die erste und bedeutendste Architektin in Minnesota wurde. In dem Bildband werden erstmals das reichhaltige Œuvre und nachhaltige Wirken der Architektin, die über 50 Jahre lang aktiv war, umfassend dargestellt, ein repräsentativer Querschnitt durch ein Werk von 456 aufgelisteten Projekten. Ebenso hat Jane Hession ein sensibles biografisches Portrait verfasst, hatte sie doch noch Gelegenheit gehabt, mit Lisl, wie sie zeitlebens genannt wurde, persönliche Gespräche zu führen.
Elisabeth (später Elizabeth) Scheu, geboren 1912, ist in der Larochegasse 3 in Wien Hietzing aufgewachsen und war – im doppelten Sinne – stark durch ihr Elternhaus geprägt. Es waren ihre aufgeschlossenen Eltern gewesen, die Schriftstellerin und Verlegerin Helene Scheu-Riesz (1880–1970) und der Anwalt Gustav Scheu (1875–1935), die Adolf Loos mit der Planung ihres Hauses beauftragt hatten, das 1913 von Familie Scheu bezogen wurde. Elisabeth lebte bis zu ihrem zwanzigsten Lebensjahr in dieser Architektur-Ikone, womit ihr das Leben in der Moderne quasi in die Wiege gelegt worden war. Je älter sie wurde, desto mehr begriff sie die Wirkungsmacht von Architektur, wie diese nicht nur zum Quell von Inspiration, sondern auch von Provokation werden kann, so wie sie das beim Haus Scheu erlebte.
Gegen Ende ihrer Schulzeit wusste Elisabeth Scheu, dass sie Architektin werden wollte, bereits damals fokussiert auf die aufkeimende Moderne. Die Prägung in einem Loos-Haus aufgewachsen zu sein hatte entschieden dazu beigetragen, nebst der Ermunterung durch die Eltern einen ihren Talenten entsprechenden Beruf anzustreben. Beides waren außergewöhnliche Faktoren einer weiblichen Biographie im bürgerlichen Wien der Zwischenkriegszeit.
Elisabeth Scheu begann ihr Architekturstudium an der Technischen Hochschule in Wien 1930 – zehn Jahre, nachdem Frauen zum Studium zugelassen worden waren, immer noch eine Herausforderung. Die männerdominierte Fakultät legte den Kolleginnen konsequent Steine in den Weg. »Die wollten dort einfach keine Frauen«, erinnerte sich Elizabeth Scheu Close. Dies war einer der Gründe, dass sie für sich in Österreich keine Zukunft sah, der andere war der verstärkte Antisemitismus; Helene Scheu-Riesz war zwar als Quäkerin aktiv, aber sie entstammte einer jüdischen Familie. Im Jahr 1932 bestieg Elisabeth Scheu ein Schiff nach New York, um am MIT – Massachusetts Institute of Technology in Boston ihr Architekturstudium fortzusetzen und niemand konnte damals ahnen, dass sie in den USA bleiben und ihr Lebensmittelpunkt Minnesota werden würde.
Nach ihrem Studienabschluss 1935 arbeitete sie drei Jahre lang in Architekturbüros in Philadelphia und Minneapolis, bevor sie 1938 gemeinsam mit Winston Close (1906–1997), ihrem Studienkollegen am MIT und späteren Mann in Minneapolis ein Büro explizit für moderne Architektur eröffnete. Die beiden setzten diesen Plan auch um und hinterließen ein breit gefächertes, nachhaltiges Werk.
Der erste Planungsauftrag sollte ein erschwingliches Haus für drei junge Universitätsprofessoren sein, das diese als Wohngemeinschaft bewohnen wollten, eine Bauaufgabe, bei welcher Close & Scheu Architects, wie sie ihr Büro bis zu ihrer Hochzeit nannten, ihren Innovationsgeist beweisen konnten: Ein Haus mit Flachdach, um überflüssige Kubatur zu sparen. Der boxy style war für Minnesota nicht nur wegen seiner schneereichen Winter eine Besonderheit, sondern wegen der reduzierten Form eine Provokation, wurde es doch in der Wiederverkäuflichkeit in Frage gestellt. So erging es Elizabeth Scheu Close ähnlich wie Loos – visionäre Architektur war ein Grund zur Anfeindung. Das Holzhaus, das immer noch steht, besticht in seinem Selbstverständnis einer unaufgeregten Moderne, die ihre Wiener Spuren nicht leugnen kann.
Während des Zweiten Weltkriegs ließen
Elizabeth and Winston Close, Architects ihre Befugnis ruhen und Scheu Close arbeitete für die Page & Hill Defense Company, die vorfabrizierte Häuser für Kriegsheimkehrer errichtete. Sie war bis in die späten 1950er Jahre für diese Firma als Architektin tätig, mehr als tausend Einfamilienhäuser wurden nach ihren Plänen errichtet. 1946 wurde Winston Close zum leitenden Architekten der Campusplanung in Minneapolis bestellt, während Scheu Close alleinverantwortlich das Büro führte. Die Bauaufgaben waren ab dann vielfältig, von zahlreichen Einzelhäusern und Wohnbauten, über Spitäler bis zu Firmengebäuden, oder dem Wettbewerb für das Franklin D. Roosevelt Memorial in Washington im Jahr 1960. Elizabeth Scheu Close war in den USA eine der ersten Frauen in der Branche und hatte die Chance, moderne Architektur im größeren Maßstab umzusetzen. Außergewöhnlich dabei ist die ungebrochene Karriere von 1936 bis 1991, während Europa durch den Nationalsozialismus dem Antimodernismus unterworfen wurde.
2002 wurde sie vom AIA – American Institute of Architects für ihr Lebenswerk geehrt, »das von wesentlicher Bedeutung für das Architekturgeschehen in Minnesota war und dessen Baukultur mitbestimmt hat.« Jane Hessions Verdienst ist es, ein Stück amerikanischer Architekturgeschichte erforscht und eine Strömung der Moderne österreichischer Provenienz in einem großartigen Buch öffentlich gemacht zu haben hat.
Architektin, Architekturpublizistin, Kuratorin.