Ewige Außenseiter?
Der Kremser Stadtteil Lerchenfeld als stigmatisierter RaumWenn man neu ist in einer Stadt, gibt es nichts Nützlicheres als gute Tipps von Einheimischen. Wo kann ich günstig einkaufen? Mit welcher Linie komme ich am schnellsten ins Zentrum? In welchen Stadtteil soll ich ziehen? Zöge man nach Berlin, würde die Antwort auf die letzte Frage wohl lauten: »Auf keinen Fall nach Marzahn!« In Paris würde man etwas Ähnliches wahrscheinlich über Clichy-sous-Bois hören, in Amsterdam über Slotervaart oder in London über Hackney. All diese Stadtteile werden gemeinhin als »Problemviertel« bezeichnet, was sie allerdings auch zu möglichen Zonen für künftige Gentrifizierungsprozesse macht, da der rent-gap besonders hoch ausfallen könnte, wenn eine Aufwertung initiiert wird. Wie aber kommt es überhaupt, dass manche Stadtviertel als positiv, schön und lebenswert beschrieben und erlebt werden, während andere mit ihrem schlechten Ruf zu kämpfen haben? Liegen Zuschreibungen tatsächlich realen Gegebenheiten zu Grunde oder handelt es sich vielmehr um kontinuierlich reproduzierte Vorurteile? Mit seinem schlechten Ruf zu kämpfen hat in Österreich jedenfalls auch der Stadtteil Krems-Lerchenfeld. Am Beispiel dieses »Problemviertels« lässt sich deutlich machen, welch mannigfaltige, ineinander verwobene Kausalitäten dem Ruf eines Stadtviertels zugrunde liegen können[1].
Das Merkmal »schlechter Ruf« bzw. »schlechte Adresse« wird immer wieder als Vorwand benutzt, um Sozialwohnungen abzureißen und die BewohnerInnen abzusiedeln, um ihre Lage dadurch vermeintlich zu verbessern, was natürlich meist nicht funktioniert. Dieser Vorgehensweise liegt eine Verkehrung von Ursache und Wirkung zugrunde. Nicht der Wohnort ist für Armut und Diskriminierung verantwortlich, Armut und Diskriminierung sind für den Wohnort verantwortlich. Auf diese Debatte wird im folgenden Text nur am Rande eingegangen. Für einen aktuellen Beitrag zum Thema siehe Slater, Tom (2013): »Your Life Chances Affect Where You Live: A Critique of the ›Cottage Industry‹ of Neighbourhood Effects Research«. In International Journal of Urban and Regional Research, Jahrgang 37, Heft 2, S. 367–387, März 2013. ↩︎
Anne Erwand