Frauen sind keine Flaneure
Besprechung von »Stadt – Raum – Geschlecht« herausgegeben von Monika Imboden, Franziska Meister und Daniel KurzMonika Imboden, Franziska Meister, Daniel Kurz (Hg.)
Stadt-Raum-Geschlecht
Beiträge zur Erforschung urbaner Lebensräume im 19. und 20. Jahrhundert
Image/ Politik. Städtisches Handeln. Kritik der unternehmerischen Stadt.
Zürich, 2000
Der vorliegende Band vereint Referate, die anlässlich der interdisziplinären Tagung »Stadt – Raum – Geschlecht« 1999 am Schweizer Vierwaldstättersee stattfand. Die Tagung war der Versuch »eine Plattform zur theoretischen wie methodischen Auseinandersetzung mit den Kategorien Raum und Geschlecht in Bezug auf die Stadt zu bieten.« Teilgenommen haben WissenschaftlerInnen aus den Fachbereichen Architektur, Stadt- und Raumplanung, Geschichte, Sozial- und Filmwissenschaften. »Die zentralen Fragen des vorliegenden Bandes kreisen um geschlechterspezifische Aspekte von Raumwahrnehmung, Raumproduktion, Raumnutzung und Raumaneignung«, kündigt die Einleitung an.
Das Buch enthält vier Teile. Nach einem einleitenden Teil versuchen die AutorInnen des zweiten Teils der Annahme folgend, dass Geschlechterbilder den Raum prägen, zeitspezifischen Geschlechtervorstellungen auf die Spur zu kommen. Im dritten Teil geht es um die Potenziale von halböffentlichen Räumen und die Chancen, die sie bieten, traditionelle Geschlechterbilder aufzuweichen. Der abschließende Teil widmet sich konkreten AkteurInnen und ihrem Verhalten im privaten, öffentlichen und halböffentlichen Raum.
Bruno Fritzsche, Professor für Geschichte an der Uni Zürich, umreißt in seinem Einleitungstext die Fragestellungen und bemerkt, dass »das Thema der sozialen Segregation als Ausdruck der schichtspezifischen Struktur der Industriegesellschaft große Aufmerksamkeit gefunden hat und in zahllosen Untersuchungen eingeflossen ist,« während »die Beziehung von Raum und Geschlecht in der Stadtgeschichte noch wenig thematisiert worden« ist. Barbara Zibell, Professorin für Stadt- und Regionalplanung, an der TU Berlin sieht den Beginn der uns heute vertrauten Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern mit der immer stärkeren Differenzierung der Arbeitsteilung in den Städten der Industriegesellschaft. Weibliche Arbeit wurde gegenüber männlicher Arbeit zunehmend isoliert. Als strukturelles Merkmal, das sich durch alle städtischen Gesellschaften zieht, sieht sie »die Unterscheidung nach der Teilhabe und Teilnahme an den Ressourcen der Gesellschaft und damit an der (Definitions- und Gestaltungs-)Macht von räumlichen (und zeitlichen) Strukturen«. Um die Präsenz und Teilhabe von Frauen an den Entscheidungen über die Entwicklung von Stadt und Raum zu erhöhen, führt nach Zibell kein Weg an der »egalitären Aufteilung von Erwerbs- und Versorgungsarbeit« vorbei. Die Makrostrukturen der Stadt sind männlich, die Mikrostrukturen weiblich geprägt. Der gerne zitierte benjaminsche Flaneur, der sich, ohne zeitliche und räumliche Grenzen beachten zu müssen, durch die Stadt bewegt, ist eine typisch männliche Figur. Frauen durchqueren den öffentlichen Raum in der Regel zielorientiert und zügig als Konsumentin und Passantin. »Eine ziel- und zwecklose Inanspruchnahme des öffentlichen Raumes steht ihnen traditionell nicht zu; wenn sie sich aufhalten, müssen sie einen offensichtlichen Grund dafür haben.«
Äußerst lesenswert ist der Beitrag von Eva Warth, die an der Universität Utrecht Film- und Fernsehwissenschaft unterrichtet. Sie analysiert die Konstruktion von Raum und Geschlecht im Film der Weimarer Zeit und im Nationalsozialismus. War in frühen Stadtbeschreibungen noch ein gespaltenes Frauenbild verbreitet, in dem die »unbegrenzte, unbewältigte Natur (...) mit dem wilden Anteil des Weiblichen, das begrenzte, zivilisierte und eroberte Territorium – z.B. die Stadt – mit seinem domestizierten Anteil verglichen wurde (...), kehrt beim Übergang von der Stadt zur Großstadt dieser wilde Anteil wieder ins Innere der Stadt zurück« (Warth zitiert Sigrid Weigel). Typische Ergebnisse der Verknüpfung von Stadt und Frau ist das Bild der »Hure Babylon«, der Metapher für die lockende Verführerin, die Verbindung von Masse mit der Vorstellung einer exzessiven, bedrohlichen Weiblichkeit und die Vorstellung des Maschinenmenschen als Frau. Die im 19. Jh. entwickelte weibliche Maschinenmetaphorik (Angst vor der übermächtigen Maschine wurde mit Angst vor der weiblichen Sexualität verknüpft) und die Stadt als urbanes Getriebe werden aufeinander bezogen. Eine der beliebtesten Konstellationen in den von Warth beschriebenen Filmen ist die urbane Femme fatale, die den armen Naturburschen in die Stadt und somit sein Unglück lockt.
Weitere Themen sind u.a. die Topografie der Geschlechter von Skulpturen in Zürich, die Rolle von Shopping Malls als Zwischenraum zwischen öffentlich und privat, die alkoholfreien Wirtschaften des Zürcher Frauenvereins, die geschlechtsspezifischen Raum- und Nutzungskonzepte von Badeanstalten, Bedürfnisanstalten als Treffpunkt homosexueller Männer oder die Aneignung von Raum mit und ohne physischer Präsenz am Beispiel von Prostituierten und Freiern im Zürcher Niederdorf 1870-1920.
Monika Imboden, Franziska Meister, Daniel Kurz (Hg.)
Stadt-Raum-Geschlecht
Beiträge zur Erforschung urbaner Lebensräume im 19. und 20. Jahrhundert
Image/ Politik. Städtisches Handeln. Kritik der unternehmerischen Stadt.
Zürich, 2000
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.