Susanne Karr


Der Zeit ihre Kunst – der Kunst ihre Freiheit! Gemäß dem Gründungsmotto des Hauses veranstaltet die Wiener Secession Gesprächsabende und Vorträge, die sich mit der Frage Welche Freiheit? befassen. Wann ist Kunst frei? Kann sie es sein, und wenn ja, unter welchen Bedingungen? War sie es jemals? Ist eine Gesellschaftsform wie die heutige förderlich, oder verhindert sie freien künstlerischen Ausdruck? Und: Soll Kunst überhaupt frei sein? Wovon?

Die Auswahl der GesprächspartnerInnen war vom Bestreben geleitet, eine möglichst große Bandbreite an Theorie und Praxis des zeitgenössischen Kunstbetriebes zu repräsentieren und auch Widersprüchliches aufeinandertreffen zu lassen. Der bewusst offene Titel Welche Freiheit? veranlasst weiterzufragen: Freiheit wofür? Um Kunst zu schaffen, uneingeschränkt, ohne Gefälligkeiten und Anbiederung. Tatsächlich? Braucht es Freiheit überhaupt? Wie frei ist denn eine Kunst, die auf dem „Markt“ bestehen will? Gibt es überhaupt reale Chancen, ohne Zugeständnisse an den Zeitgeist wahrgenommen zu werden? Freiheit – wovon? Von Zensur, von Gewissensbissen, Rücksichtnahmen, zeitgeistigen Imperativen, politischen Ansprüchen. Von Rollenzuschreibungen, die Lebens- und Erfahrungswege determinieren wollen.

Frei fühlt sich etwa die Performance- und Videokünstlerin Johanna Kirsch, wenn sie sich den Klischees und Erwartungshaltungen erfolgreich entzieht und widersetzt. Durch den Einsatz von Comicfiguren wie etwa dem großen bösen Wolf, den sie sich einfach dazuzeichnet, wenn sie Gesellschaft braucht, macht sie Gebrauch von künstlerischer Freiheit. Indem sie die Funktion von bestimmten Bildern oder Klischees parodiert – etwa dem des Roadmovie, das für ein Paradigma von Freiheit steht –, schafft sie sich neue Räume. Immer spielen in ihren Überlegungen die psychologischen Weichenstellungen eine wichtige Rolle, die Fragestellung: Was hält mich davon ab, etwas zu tun? Das typische Beispiel: „Hast Du denn da keine Angst, alleine als Frau ... (durch den Kontinent zu reisen etwa)?“ Die Durchführung des Planes, etwa einer Reise, die bewusste Konfrontation mit der an sie solcherart herangetragenen Angst ist so möglicherweise gleichzeitig der Befreiungsakt von ihr. Wichtig ist der Künstlerin auch die Sprach-Gewalt, die sie bereits in solchen Formulierungen erblickt. Ganz offensichtlich gibt es eben auch diese geschlechtsspezifische Nuance der Freiheit. Die individuelle Definition von Freiheit stellt, wiewohl ganz anders, auch der derzeit in New York tätige Kurator Joao Riba­s ins Zentrum seiner Ausführungen: Er entwickelt Freiheit kunstgeschichtlich aus dem Subjektbegriff der Renaissance. Dort, wo das „Originalgenie“ erscheint, das sich von der reinen Auftragskunst emanzipiert und zum künstlerischen Subjekt avanciert, dort kann man von Freiheit sprechen. Um ganz andere Aspekte geht es Victor Misiano, ebenfalls Kurator, aber in der Moskauer Kunstszene. Er erzählt, wie nach der Auflösung des Kommunismus mit seinen strengen Richtlinien die neue Freiheit im Moskau der 1990er Jahre erlebt wurde: Das alte System war weg, der neue Imperator noch nicht da. Die Menschen waren endlich frei, zu konsumieren, denn der Markt war offen, sie hatten Zugriff, sich nach Lust und Laune endlich an allem zu erfreuen, was früher schwer oder gar nicht zu bekommen war. Und doch, gerade hier, war es den Menschen kaum möglich, sich der Freiheit zu bedienen. Misiano folgt in seiner Schilderung dem Paradox, dass Inseln der Freiheit entstehen, wenn Freiheit gefährdet ist, er spricht von den Nischen, in denen Freiheit immer praktiziert wurde, in der Kunst, im politischen Dissidententum, in der Philosophie.

Dies kämpferische Element wird auch im Traum der Freiheit, nur ein paar Häuser weiter, im Theater an der Wien, verhandelt. Das Ensemble moderntimes mit dem Jazztrompeter Franz Hackl und Tobias Moretti hat eine musikdramatischen Collage ausgearbeitet: Am Beispiel des revolutionären „Befreiers“ Napoleon, der zum Unterdrücker und Kerkermeister mutiert, wird hier die Dialektik der Freiheit zum Thema: Texte zum Krieg, zur Revolution, die vor ihren eigenen Protagonisten nicht Halt macht. Freiheit, im Gewand revolutionärer Ideale, die nur unter Einsatz von Waffen errungen werden kann. Wie Tirol auf die napoleonischen Freiheitsversprechen reagierte, ist bekannt – man wollte davon frei bleiben. Was ist von einer Freiheit zu halten, die nur mit Gewalt gebracht werden kann, und von einer, die nur gewaltsam aufrecht erhalten werden kann?

Auf Freiheit im allgemeinen Kunstbetrieb lässt sich die Verhandlung des Themas gut übertragen: in der Fragestellung nach dem martialischen Element, dem Dominanz- und Gewaltaspekt. Die individuell zugestandene Freiheit wird durch das Gegenüber eingeschränkt, Selbstverwirklichung darf so weit gehen, dass andere dadurch nicht „verletzt“ werden. In Bezug auf Kunst wird diese Schranke immer wieder verhandelt, angegriffen, oft auch ganz bewusst provokant oder platt instrumentalisiert. Wie weit geht dieser Schutz des anderen? Ist Verantwortung ein anderes Wort dafür? Die langweilige Rücksichtnahme alleine kann es nicht sein.

Ist plakative Kunst immer schlechte Kunst? Oder im Gegenteil gute? In Wolfgang Ullrichs Vortrag über Jonathan Meese wird das Element der Inszenierung zentral. Die Situation der (Narren-)Freiheit wird nur simuliert. Ganz deutlich etwa in der Karriere des Jonathan Meese und seines „Regisseurs“, des Fotografen Jan Bauer, der ihn in verschiedenen Posen ablichtet. Der freie Künstler ist hier genau so frei wie eine demokratische Wahl, die unendliche Gelder in ihrem Vorfeld voraussetzt, demokratisch sein kann. Ohne ihre Inszenierung, ihr Image, verschwindet sie aus dem Wahrnehmungsbereich. Im Wahlkampf für die „Diktatur der Kunst“ (Meeses Mission) wird mit diesen Mitteln aber gerade gespielt, durch Doppelung, Übersteigerung gelangt er über Infantilität und Selbstbezüglichkeit hinaus ins freie Feld der Ironie – und diese Entkoppelung von Kunst und Offenbarungsanspruch sei durchaus wünschenswert. Ironie in der Verehrung sei gefragt, dann sei Fanatismus von vornherein ausgeschlossen.

Die Frage nach der Freiheit der Kunst wirft zurück auf die Frage, was Kunst denn überhaupt sei, und ist ebenso unmöglich zu beantworten. Es gibt und gab in den Gesprächen verschiedene Annäherungen, auch völlig unterschiedliche Ansprüche. Die Debatte ist eine unendliche, und sie wird fortgesetzt. Wer Freude am Denken und Argumentieren in Sachen Kunst hat und wer damit rechnet, wieder keine Antwort zu bekommen, dem sei also der eine oder andere Montagabend in der Secession empfohlen.

Bisherige GesprächspartnerInnen waren: Mladen Stilinovic & Charles Esche, Shooshie Sulaiman, Tino Sehgal, Maria Galindo/Mujeres Creando, Slawomir Sierakowski

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Welche Freiheit?
KünstlerInnengespräche und Vorträge
Secession, Friedrichstraße 12, 1010 Wien
Nächster Termin:
6. April 2009, 19 Uhr
Marlene Haring
Informationen zur Reihe:
http://www.secession.at


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