» Texte / Geh deinen Weg ruhig, mitten in Lärm und Hast

Susanne Karr


Vielleicht geht es um eine Art Atempause. Ein Angebot zur Zentrierung, die Möglichkeit, ein paar Minuten eine Meta-Ebene einzunehmen. Auf der Suche nach Orten, die ausdrücklich der Auseinandersetzung mit dem Heiligen gewidmet sind. Welch großes Wort, gefährlich auch, denn alles was nicht sichtbar, greifbar ist, gibt es ja nicht, darf es nicht geben. Ein direkter Bezug auf etwas jenseits des Offensichtlichen wird oft belächelt. Für manche Menschen scheint aber das Bedürfnis nach einem Ausflug aus der Welt der Zahlen, Daten und Fakten, nach einer Besinnung, und das just im hektischen Ambiente eines internationalen Flughafens, etwas Wichtiges zu sein. Und ein Andachtsraum kann so eine Art Struktur der Besinnung anbieten. Wie kann man sich das vorstellen? Wie eine Art Kapelle, wie es sie etwa in Spitälern gibt? Wer besucht so etwas?

Seit den 1980er Jahren gibt es sie vermehrt, diese Andachtsorte. Ein seltsam altmodisches, fast schon anrüchig religiöses Wort, das kaum in den Zusammenhang mit Passkontrollen, Screening, Check-in-time etc. passen mag. Die Andachtsorte sollen Inseln sein im Meer des Hochsicherheitstraktes Flughafen. Sie sollen tatsächlich Minuten der Stille, der Einkehr, der Privatheit im Sinne des Zu-sich-selbst-Kommens anbieten können. Sie sollen das Angehörigen aller Konfessionen anbieten, und wahrscheinlich auch denen, die keiner Konfession angehören. Und wie sehen solche Räume aus? Eine Anforderung an einen „interreligiösen“ (welch abscheuliches Wort!) Gebetsraum ist ja die Verwendbarkeit für verschiedene religiöse Kulturen, ja er soll sogar Konfessionslose einladen. Also darf kein Emblem vorherrschen, am besten gar keines vorhanden sein.

Wie wird dieser Anspruch umgesetzt? Der Fotograf Andreas Duscha hat sich auf Flughäfen in Europa, Asien und Amerika umgesehen und fotografiert. Im Entree der Ausstellung im Wiener Volkskundemuseum diesen Herbst zeigte er Dias mit Wegweisern, die zu den Andachtsräumen führen, in etwa ein Zeichen, das an den hier gebräuchlichen Einbahnstraßenpfeil erinnert oder in England meist mit „Way out“ beschriftet ist. Hier mit dem lapidaren Hinweis: „Chapel“. Durch einen schwarzen Vorhang ging es in den Hauptraum, wo der Fotograf seine Forschungsergebnisse zeigte: von hinten beleuchtet im abgedunkelten Saal, ein Schweben zwischen Licht und Dunkelheit – und unbeschriftet. Es gab einen Zettel, der als Legende funktioniert, die Lage im Raum ist angegeben und dazu die Kürzel der internationalen Flughäfen.

Man konnte also ein Ratespiel spielen – wo ist der gezeigte Raum?– und einige Überraschungen dabei erleben. So etwa gehört der in seiner dezenten Geometrie und Klarheit japanisch anmutende Raum zum Flughafen Paris-Orly, und ein anderer, dessen Ornamente an Topkapı denken lassen, zum Airport Stuttgart. Einen wahrhaft unglaublichen Raum gibt es in Singapur – in der Mitte hängt eine Uhr, durch die hintere verglaste Wand sieht man in einen gefliesten Bereich. Oder ein weiteres Bild aus Singapur: Es hängt nur ein Vorhang da, wie bei einer überdimensionalen Umkleidekabine. Ganz anders das Bild vom Flughafen München: ein Baumstamm, der die gesamte Höhe des hellen Raumes durchmisst, die Erde mit dem Himmel verbindet.

Auf die Idee zu dieser Art künstlerischer Feldforschung brachte den Fotografen ein muslimischer Geschäftsreisender, der ihm von seinen Schwierigkeiten, seine Gebete zu vollziehen, wenn er unterwegs ist, berichtete. Anders als wissenschaftliche Analysen vermitteln die Bilder einen direkten Zugang, einen Eindruck, wie es aussieht, wenn man in so einen Raum hineinschaut. Und die Überlegung scheint nicht abwegig, sich beim nächsten Zwischenstop auf einer Flugreise in einen solchen Raum zu begeben – fernab vom Trubel des Flughafen-alltags.

Die Bilder schaffen ein eigenartiges Ja/Nein-Gleichgewicht auf die Frage, ob es eine eigene, quasi übergreifende Ästhetik gibt, die den unterschiedlichen Bedürfnissen entgegenkommt. Ob es Symbole in dieser symbol-reduzierten Ausstattung gibt, die verbindlich verstanden werden – etwa das Licht? Oder der Baum? Verbindungslinien von unten nach oben. Farben. Fenster.

Im begleitenden Bildband Places of Worship, befassen sich fünf Kultur- und Kunstwissenschaftlerinnen ethnografisch, soziologisch und fototheoretisch mit der Thematik. Eine Paradoxie dieser Räume ist ja ihr friedfertiges Angebot, alle unter ihre Fittiche zu nehmen – ein Bild der Harmonie, entworfen im Hochsicherheitsbereich Flughafen.

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Ausstellung
Places of Worship
Interreligiöse Gebetsräume auf Flughäfen
Österreichisches Museum für Volkskunde
17.9. bis 16.11.2008


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