Gender und die Erforschung des ländlichen Raumes
Besprechung von »Gender and Rural Geography. Identity, Sexuality and Power in the Countryside« von Jo LittleJo Little
Gender and Rural Geography. Identity, Sexuality and Power in the Countryside
Harlow u.a.: Prentice Hall 2002
214 S., ca. 37.- Euro
Jo Little ist Senior Lecturer für Geographie an der Universität im südenglischen Exeter und eine der profilierten englischen AutorInnen der rural studies. In ihrem neuen Buch diskutiert sie die Beziehungen zwischen gender, verstanden als sozialem, nicht biologischem Geschlecht und Ländlichkeit (english: rurality). Im angelsächsischen Raum, so Little, seien feministische Theorie, Geschlechterbeziehungen und Sexualität (mittlerweile) zentrale Anliegen geographischer Forschung, eine Einschätzung die für den deutschen Sprachraum nicht zutrifft. Die Entwicklung feministischer Perspektiven und das Studium der Geschlechterbeziehungen fand in der Geographie jedoch, so Little, sehr ungleichmäßig statt. Die theoretische und die empirische Arbeit zu Gender neige dazu, sich auf die Sozial- und die Kulturgeographie zu konzentrieren. Noch augenscheinlicher ist der Bezug zur städtischen Räumen. Littles Buch stellt dagegen ländliche Räume und ihre spezifischen Vorstellungen von »Männlichkeit« und »Weiblichkeit« in den Mittelpunkt und liefert dadurch einen Beitrag sowohl zur ländlichen Geographie wie zu den gender studies. Überraschend ist, dass Little nicht auf die aktuelle Debatte um die Auflösung ländlicher Räume eingeht und »ländliche Räume« als Räume mit speziellen Vergesellschaftsmodi ansieht.
Little gibt zuerst einen kurzen Rückblick auf die Geschichte feministisch-geografischer Forschung und der zu ländlichen Räumen. Aus der Zusammenschau von feministischer und ländlicher Geographie entwickelt sie Impulse für die Erforschung ländlicher Arbeitsmärkte, ländlicher Gemeinschaften und der neuen Formen von »rural governance«. In erster Linie ist das Buch jedoch ein Lehrbuch, das in vorteilhaft eingerichteten Kapiteln verschiedene Bereiche ländlichen Lebens durchdekliniert: »Natur«, Landschaft, communities, Erwerbstätigkeit und Arbeitsmarkt, Macht und Regierungshandeln, Sexualität und Repräsentation.
Im Kapitel über new rural governance weist sie darauf hin, dass Geschlechter- immer auch Machtbeziehungen sind, Macht vergeschlechtlicht ist. In der Forschung werde Macht aber vorrangig als urbanes Phänomen wahrgenommen, was dazu führe, dass Untersuchungen über die spezifischen Formen staatlicher Regulierung im ländlichen Raum samt ihren geschlechtlichen Implikationen fehlten. Zum Beispiel komme das Rollenmodell »ländliche Frau« als persönlich benennbares Subjekt in der nationalen Medien-Öffentlichkeit nicht vor, während »ländlichen« »Frauen« gemeinhin die Normalitätsattribute gehäuft zugeschrieben würden (women who are ´different´ are not truly ´rural´, S. 179). Little geht aber davon aus, dass die neuen Formen der Governance mehr auf Frauen abstellen und so die Norm der Frau als Ehefrau und Mutter zunehmend in Frage stellen werden. Die neoliberale Ökonomisierung des Politischen führe aber auch zu einer Stärkung »männlicher« Praktiken.
Zum Schluß wirft Little einen Blick auf das bisher Erreichte. Sie konstatiert einen erkennbaren Fortschritt im Verständnis der vielfältigen Beziehungen zwischen Gender und Geographie als auch in dem der Unterschiede zwischen Männern und Frauen in ihrem Leben im Raum. Sie stellt jedoch selbstkritisch fest, dass gender studies auch in der Forschung zu ländlichen Räumen weniger Geschlechterbeziehungen als vor allem ein Geschlecht untersuchen, das »weibliche«. Geschlechterkonstruktionen von »Männern« würden kaum und »abweichende« Identitäten (d.h. vor allem lesbische und schwule) zu wenig ins Visier genommen. Little fordert mehr Forschung über (ländliche) Maskulinität, und zwar nicht als Beschäftigung mit Schwulen, sondern um hegemoniale Männlichkeit und ländliche Gesellschaft in ihren Verschränkungen zu untersuchen. Sie reflektiert die Werkzeuge der rural gender studies, vor allem die vermehrte Nutzung ethnografischer Methoden und problematisiert die Forschungssituation feministischer rural geography, die in der Regel darin besteht, dass eine weiße Mittelschichtsforscherin weiße Bewohnerinnen des ländlichen Raumes aus der Mittelschicht mit dem ambivalenten Motiv untersucht, ihnen zu helfen.
Littles Buch zeigt eindringlich, dass eine vergleichbare deutschsprachige feministische, geographische oder gar agrarsoziologische Forschung nicht existiert. Dies hat seine Ursache in der gesunkenen Bedeutung von Landwirtschaft und ländlichen Räumen in den letzten Jahrzehnten und in der Weigerung der in Frage kommenden geographischen und soziologischen Subdisziplinen sich neuen Methoden, Theorien und Fragestellungen zu öffnen. Littles Buch gibt nicht die Antwort auf alle Fragen, es stellt vielmehr den Kanon an Fragen zusammen, die derzeit bearbeitet werden oder noch auf ihre Bearbeitung warten. Die deutschsprachige Forschung steht hier noch ganz am Anfang.
Jo Little
Gender and Rural Geography. Identity, Sexuality and Power in the Countryside
Harlow u.a.: Prentice Hall 2002
214 S., ca. 37.- Euro
Bernd Hüttner ist Politikwissenschaftler und Referent für Geschichtspolitik bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.