Geraldton goes Wajarri
Kunstinsert von Pia LanzingerPia Lanzinger (Berlin) ist auch in Österreich keine Unbekannte. So hat sie hier diverse Kunstprojekte im öffentlichen Raum realisiert, wie Greifen Sie zum Telefon: Erlauf ist dran (KÖR Niederösterreich, 2000), Playstation Vienna (Künstlerhaus Wien, 2002/03), Ein Stück vom besten Österreich. (Made in USA). Folge II (Salzburg, 2005), Global Village 4560 (Festival der Regionen, 2007) oder zuletzt 2013 in Graz Prendre la Parole. Dabei greift die Künstlerin meist brisante politische und soziale Themen auf, die sie in direktem Austausch und in kollaborativer Praxis mit der Bevölkerung auf verschiedenste Weise zur Darstellung bringt. In Geraldton goes Wajarri (Westaustralien, 2015) bildet die marginalisierte Sprache Wajarri ihren Ansatzpunkt. Auch wenn es sich dabei um die am häufigsten gesprochene Aboriginalsprache des Mittleren Westens handelt, so wird sie gerade noch von 50 Menschen fließend gesprochen. Während ihrer Arbeitsaufenthalte lud die Künstlerin die BewohnerInnen von Geraldton ein, Pate für je ein Wajarri-Wort zu werden, und dieses dann in den alltäglichen Sprachgebrauch einfließen zu lassen. T-Shirts mit den aufgedruckten Wajarri-Wörtern (vorne) und der englischen Übersetzung (hinten), die durch ihre Farbe zusätzlich verschiedene thematische Wortgruppen anzeigen, bilden dabei ein unterstützendes Mittel und fungieren als kommunikatives Signal im öffentlichen Raum. Die Adopt-a-Word-Kampagne und eine Reihe von öffentlichen Events generieren ein öffentliches und lebendiges Spracharchiv und recyceln ein kulturelles Reservoir in Geraldton und darüber hinaus. Das Projekt entstand im Rahmen von spaced 2, Perth, und wurde mit Unterstützung der Wajarri Yamaji People, des Western Australian Museums, Pollinators und der City of Greater Geraldton realisiert. Geraldton goes Wajarri ist nicht nur ein aktuelles Beispiel der langjährigen künstlerischen Praxis, in der Pia Lanzinger partizipative Praktiken verfolgt und defizitäre Bedingungen des Alltagslebens thematisiert. Vielmehr sind das Aussterben von Sprachen und die anhaltenden Repressionen gegen die ursprüngliche Bevölkerung Australiens, die hier exemplarisch fokussiert werden, auch ein Symptom für unsere aktuelle gesellschaftliche Befindlichkeit. Nicht nur sprachliche Minderheiten sondern auch viele andere kulturelle Werte fallen dem Normierungsdruck und im kapitalistischen Alltag notwendigen Anpassungsleistungen zum Opfer. Das Aussterben, gegen das Pia Lanzinger hier anhand einer Sprache ankämpft, stellt also gleichzeitig die Frage nach den vielen anderen Quellen sozialen Reichtums, die verschwinden oder unterdrückt werden. Das Projekt Geraldton goes Wajarri ist deshalb von mehrfacher Bedeutung und es ist langfristig angelegt. So versucht die Künstlerin mit ihren MitstreiterInnen und PatInnen das Projekt weiterzuführen und Wajarri als allgemeines Symbol des Widerstands zu etablieren. Ein guter Anfang ist jedenfalls getan. In diesem Sinne: Adopt a Wajarri word! Ende dieses Jahres erscheint eine umfangreiche Publikation über Pia Lanzingers Arbeiten mit Texten u. a. von Angus Cameron, Christiane Keim, Anne Kersten, Annelie Lütgens, Dirck Möllmann, Katharina Schlieben und Jan Verwoert im Verlag für moderne Kunst – dérive freut sich bereits.
Weitere Infos unter: http://www.geraldton-goes-wajarri.com und http://www.pialanzinger.de.
Barbara Holub ist Künstlerin und Mitglied von transparadiso, einer Platform für Architektur, Urbanismus und Kunst.
Paul Rajakovics ist Urbanist, lebt und arbeitet in Wien.
Pia Lanzinger ist Künstlerin, sie lebt und arbeitet in Berlin.