Graz 2004
Hermann Candussi im InterviewWenn man Kultur und städtische Entwicklungen zusammendenkt, fällt einem bald das Konzept der Europäischen Kulturhauptstadt ein, mit deren Hilfe einzelne Städte mit dem Argument Kultur an beträchtliche EU-Förderungen gelangen können. Über den Zeitraum eines Jahres werden neben Events aller Art oftmals auch Investitionen in Infrastruktur getätigt, die lange überfällig waren. Graz rüstet schon für 2003, wenn erstmals eine österreichische Stadt Kulturhauptstadt sein wird, unter anderem mit einem aufwändig gestalteten, zweimonatlich erscheinenden Magazin.
Wenn man Kultur und städtische Entwicklungen zusammendenkt, fällt einem bald das Konzept der Europäischen Kulturhauptstadt ein, mit deren Hilfe einzelne Städte mit dem Argument Kultur an beträchtliche EU-Förderungen gelangen können. Über den Zeitraum eines Jahres werden neben Events aller Art oftmals auch Investitionen in Infrastruktur getätigt, die lange überfällig waren. Graz rüstet schon für 2003, wenn erstmals eine österreichische Stadt Kulturhauptstadt sein wird, unter anderem mit einem aufwändig gestalteten, zweimonatlich erscheinenden Magazin (Im Internet unter <www.graz03.at/link>). Der Grazer Kulturbetrieb ist zum jetzigen Zeitpunkt beinahe flächendeckend in irgendeiner Form eingebunden, zumeist in Form von gestellten und noch nicht entschiedenen Projektanträgen. Inhaltliche Einsprüche sind aufgrund des unfertigen Programms noch schwer möglich, dennoch gibt es bereits von verschiedenen Seiten Kritik, meist jedoch hinter vorgehaltener Hand. Wir baten Hermann Candussi – grüner Gemeinderat in Graz – uns seine Einwände in einem E-Mail-Interview darzulegen.
dérive: Sie gelten als Kritiker der Vorgangsweise rund um das Projekt Graz 2003. Können Sie Ihre Vorbehalte kurz darstellen?
Hermann Candussi: »Mangelnde Transparenz der Entscheidungsprozesse« wäre die passende Überschrift zu meinem Unbehagen mit dem Kulturhauptstadtjahr, und dazu lässt sich eine Reihe prägnanter Beispiele aufzählen: Es beginnt mit der quasi freihändig getroffenen Entscheidung zur Besetzung der Intendanz und setzt sich fort mit immer deutlicher werdenden strukturellen Mängeln innerhalb von 2003, die mit dem vorzeitigen Abschied des Geschäftsführers Gerbert Schweighofer kulminierten. Dazu ist das Auftreten der »Firma« graz2003 gegenüber einzelnen kulturellen Grundversorgern durchaus hinterfragenswert. Ein gutes Bild vom Selbstverständnis der Intendantur zeichnet da der aktuelle »Domain-Streit« zwischen graz2003 und dem Medienprojekt von Jürgen Kapeller und Martin Krusche (eindrucksvoll nachzulesen unter <www.kultur.at/kunst/2003/>). Aktuell bestärkt werden meine Vorbehalte durch die gegenwärtig feststellbare freiwillige Verabschiedung der Politik aus manchen ihrer ureigensten Kompetenzbereiche.
dérive: Was bedeutet es für Graz, 2003 Europäische Kulturhauptstadt zu sein, welche Chancen bringt das für die Stadt mit sich, wer profitiert davon und wer sind die »Opfer«? Woher kommt das Geld für Graz 2003?
Hermann Candussi: Unleugbar gäbe und gibt es eine Reihe von Chancen, die 2003 für »die Stadt« bietet. Es sollte bloß rechtzeitig klar werden, wen oder was man als »die Stadt« bezeichnet, für die man den größtmöglichen Nutzen anstrebt. Hier gab es in der Anlaufzeit auch die größten Missverständnisse. Gingen viele Grazer KünstlerInnen und KulturvermittlerInnen lange davon aus, dass die Präsentation der in Graz schlummernd bis hellwach vorrätigen Ressourcen Kernaufgabe eines Kulturhauptstadtjahres wäre, wird immer klarer, dass Quoten bringende Aspekte in den Vordergrund rücken. Sicher gibt es auch Programmpunkte, die auf nachhaltige Verbesserung bestehender Situationen abzielen – im Vordergrund steht aber sicher eine tourismuskompatible Kulturschiene, die bereits jetzt einigermaßen professionell auf sich aufmerksam macht. Allein die Verteilung der Mittel (von etwa 700 Millionen Schilling, beigesteuert von Stadt, Land und Bund, geht rund die Hälfte in die Öffentlichkeitsarbeit!!) spricht eine deutliche Sprache über den eigentlichen Zweck des Unternehmens Kulturhauptstadt. Wer bei dieser Konzeption unter die Räder kommt, wird erst dann klar sein, wenn alle tatsächlich beteiligten VeranstalterInnen und KünstlerInnen ihre Verträge mit 2003 abgeschlossen haben. So wie die Situation an mich herangetragen wird, ist die Zahl derer, die noch immer auf konkrete Zu- oder Absagen seitens des allein entscheidenden Intendanten warten sehr groß.
dérive: In welchem Kontext möchte sich Graz behaupten? Gibt es einen Standortwettbewerb, in dem Graz gezielt auf Kultur setzt?
Hermann Candussi: Diese Frage sollte man besser manchen Damen und Herren der Stadtregierung stellen ... Für mich ist es tatsächlich einigermaßen unklar, in welchem Wettbewerb Graz sich hier selbst sieht. Ist es die traditionelle Rivalität mit Linz, ist es das Bedürfnis, endlich aus dem touristischen Schatten von Salzburg oder Innsbruck zu steigen? Manchen Grazer Stadtpolitikern rutscht ja neuerdings wirklich immer wieder das Wort »Bilbao« über die Lippen. Das verheißt nichts Gutes – vor allem nicht für die Erwartungen ans Kunsthaus.
dérive: Es scheint, als ob die Kulturpolitik für ein Jahr die Hoheit über stadtpolitische Entscheidungen hätte. Wie ist diese Entwicklung generell zu beurteilen?
Hermann Candussi: Nicht die Kulturpolitik, sondern die Intendanz von 2003. Das, was ich eingangs kurz angedeutet habe, also der freiwillige Rückzug der Politik aus ihren eigentlichen Aufgabenbereichen, wird am Beispiel der Acconci-Insel besonders deutlich. Völlig unabhängig davon, wie man zum konkreten Projekt steht, wird hier mit dem Begriff des IntendantInnenprinzips auf hochinteressante Art Politik gemacht: Wolfgang Lorenz erklärt, die Insel nur für das Jahr 2003 zu bauen; zum Beweis hat er allfällige Abbruchkosten bereits budgetiert. Unisono erklären hohe VertreterInnen der Stadtregierung die temporäre Insel zu einem »Programmpunkt« innerhalb der Kompetenz des Intendanten. Ebenso unisono erklären dieselben hohen VerteterInnen der Stadtregierung, dass es aus ihrer Sicht schwer vorstellbar wäre, die Insel tatsächlich zu Neujahr 2004 zu versenken. Es ist doch erstaunlich, wie einfach sich hier die politischen Entscheidungsträger aus ihrer Verantwortung verabschieden. Wir können nun bereits davon ausgehen, dass die Insel nicht nur gebaut wird, sondern dass es sie auch länger geben wird. Und das, ohne dass in den zuständigen politischen Entscheidungsgremien jemals über die städtebauliche Funktion der Insel beraten, geschweige denn über ein Nachnutzungskonzept beziehungsweise über die Abedeckung von Folgekosten abgestimmt wurde. Dies wird der Gemeinderat dann gezwungenermaßen nachholen, wenn es ohnedies kein Zurück mehr gibt, weil die Insel mittels »normativer Kraft des Faktischen« schon im Bau ist. Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich bin ein Verfechter des IntendantInnenprinzips, solange es sich auf inhaltliche und programmatische Belange beruft. Ich halte aber aus demokratiepolitischen Überlegungen nichts von einem Intendanten in der Rolle des zehnten Stadtrats oder gar als Oberbürgermeister für ein Jahr.
dérive: Das Konzept EU-Kulturhauptstadt bedeutet die Schaffung nachhaltiger infrastruktureller Voraussetzungen über einmalige oder jedenfalls zeitlich begrenzte kulturelle Events. Welche Auswirkungen wird das auf die Situation (zum Beispiel das Kulturbudget) in den Folgejahren haben? Werden Förderungen für Kunst- und Kultureinrichtungen, die nicht in das Kulturhauptstadtprogramm eingebunden sind, geringer ausfallen oder gestrichen werden?
Hermann Candussi: Meines Erachtens wäre es aus der Sicht der Stadt nicht unklug gewesen, vorab mit dem Intendanten in einen öffentlichen Diskurs über die Ziele von »graz2003« für Graz 2004 einzusteigen. Denn es gab zwar eine Bewerbungsschrift, in der die kulturpolitischen Besonderheiten in der Funktion als Tor nach Südosteuropa und die Verdienste von Graz speziell um die Menschenrechte und den Dialog der Religionen dargestellt wurden, die Zieldefinition hat aber öffentlich nie stattgefunden. Da wären einige Denkansätze interessant gewesen: beispielsweise die Frage, ob es nicht Aufgabe von »graz2003« sein könnte, strukturelle und inhaltliche Defizite des Kulturbetriebes nachhaltig zu reduzieren. Denkbar wäre es auch gewesen, radikaler an die Sache heranzugehen und zu sagen: Machen wir ein Jahr volles Programm, evaluieren wir es dann und vereinbaren, dass 2004 die Karten im Subventionsverteilungsspiel völlig neu gemischt werden. Damit hätte man die Chance gehabt, aus manchen alten Gleisen herauszukommen. In Wirklichkeit hat es weder diese noch eine andere öffentliche Diskussion über die Ziele von 2003 gegeben. Genauso wenig hat man rechtzeitig daran gedacht, Schnittstellen zwischen 2003 und dem für den »Normalbetrieb« zuständigen Kulturamt aufzubauen. Wie man im Kulturamt mit den vermutlich massiv veränderten Rahmenbedingungen nach 2003 umgeht, weiß glaube ich heute noch niemand. Man hört nur allerorten »das Aufsteigen der Grausbirnen vor 2004«. Einen kleinen Vorgeschmack darauf könnte es bereits durch das Grazer Budget für 2002 geben. Nachdem schon im Vorjahr die Subventionen nahezu flächendeckend um 20% reduziert wurden, droht diesmal eine Kürzung um weitere 15%. Wie viele Institutionen somit Gefahr laufen, »graz2003« gar nicht mehr aktiv zu erleben, ist noch offen.
Hermann Candussi
dérive – Verein für Stadtforschung