Grenzgänger und Brückenbauer
Nachruf Daniel AschwandenDer Performance-Künstler und Urbanist Daniel Aschwanden ist Anfang Juli nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben.
Eines Tages stand er in der dérive-Redaktion. Er wolle Hallo sagen und uns kennen lernen. Groß und sehnig, mit warmen, wachen Augen und Lachfalten im Gesicht, bildete er eine ebenso interessante wie imposante Erscheinung. Wir waren uns davor nicht begegnet, hatten wenig bis gar keine Berührungspunkte zur Wiener Tanz- und Performance-Szene. Doch Daniel Aschwanden kannte keine Szenegrenzen. Er war Grenzgänger und Brückenbauer und verstand sein künstlerisches Werk immer auch als gesellschaftspolitisch. Mit seinen Arbeiten wollte er aufrütteln, zum Denken anregen, zu Veränderung beitragen. Darin waren wir von dérive uns mit ihm einig.
1959 im Schweizer Kanton Graubünden geboren, übersiedelte er Anfang der 1980er Jahre nach Wien und etablierte sich als Performancekünstler mit sozialer Verantwortung und aktivistischem Potenzial. Daniel Aschwandens Arbeiten waren nie Nabelschau, sondern kreisten im Großen wie im Kleinen um gesellschaftlich relevante Fragestellungen.
1988 gründete er mit dem Festival Tanzsprache im Wiener WUK ein vielbeachtetes Tanz- und Performance-Festival der freien Szene, das er bis 1994 leitete. Für das inklusive Projekt Bilderwerfer, in dem Performer*innen und Tänzer*innen mit und ohne Handicap entlang des Credos Wider den perfekten Körper! zusammenarbeiteten, wurden er und seine Kolleg*innen mit einem Staatspreis des Bundesministeriums für Kunst ausgezeichnet.
Er war maßgeblich an der Schaffung des Tanzquartiers Wien beteiligt, ebenso wie an den Anfängen des Kabelwerks als alternativer Ort für künstlerisches Experiment, und engagierte sich zuletzt in der Plattform Wiener Perspektive.
Mit der unübersehbaren Urbanisierung der Welt wandte sich auch Daniel Aschwanden ab den 2000er Jahren dem Stadtraum zu und erforschte in seinen Arbeiten die massiven Veränderungen mit den Mitteln seiner Körper-Kunst. Er arbeitete sich tief in urbanistische Theorien ein und entwickelte in Asien, Afrika und Europa künstlerische Performances, Stadtspaziergänge, Mappings zwischen real und digital gemeinsam mit Musiker*innen und bildenden Künstler*innen.
Ab 2010 begleitete er die Entwicklung der Seestadt Aspern und pochte darauf, dass die künstlerische Auseinandersetzung mit Stadtentwicklung mehr sei als ein Marketing-Instrument für Stadtplanungsabteilungen und Immobilienentwickler*innen. Viele Jahre durchstreifte er täglich diesen Stadtteil in the making und erstellte auf seinen Streifzügen mit großer Wahrscheinlichkeit die bis dato größte Fotodokumentation der Wiener Seestadt im Werden.
Die Seestadt Aspern war es auch, die für unsere erste Zusammenarbeit beim urbanize!-Festival 2013 den Zielpunkt abgab: Mit seiner multimedialen Tour Parcour IV: Kunst des Kartenlesens inszenierte Daniel Aschwanden den gleichnamigen Text von Thomas Ballhausen als vierstündige, performative Stadtwanderung vom Karlsplatz, dem Zentrum der Stadt, an die Peripherie. Entlang der U2 wurde die Stadt zur Bühne und er selbst, Mitwirkende, Bewohner*innen und Publikum zu Darsteller*innen. Projektionen und Klangkompositionen der Kollaborationspartner*innen Conny Zenk und Mat Hurtll schafften ortsspezifische Interventionen in Form virtueller Bild- und Klangräume. Gastauftritte entlang der Stadtwanderung gaben der Spoken-Word-Poet Mr. Black (Accra), der bildende Künstler Serge Clottey (Accra), die Elektronikmusiker Soviet Pop (Peking) und Bewohner*innen der Donaustadt. Ganze acht Aufführungen gestaltete Daniel Aschwanden während der zehn Festivaltage und wer sich dieser großen Stadterkundung anschloss, wurde Teil eines großen Zusammenfließens zwischen realem und virtuellem Raum, zwischen Wien, Accra und Peking, zwischen Geplantem und Unerwartetem und den vielen lokalen Universen entlang der U2 als neue Entwicklungsader der Stadt.
Dieser ersten und noch immer nachdrücklich im Gedächtnis verhafteten Zusammenarbeit folgen viele weitere im Rahmen der folgenden urbanize!-Festivals:
2014 rückte der Performance-Workshop Bastard Crowding das Selfie als paradigmatischen Akt der Selbstinszenierung und Selbstüberwachung und seine Protagonist*innen als Kulturproduzent*innen in den Mittelpunkt. Daniel Aschwanden und die Medienkünstlerin Conny Zenk luden zur Untersuchung der Gadget-Gesellschaft und ihrer Praktiken in den öffentlichen Raum.
2015 luden Aschwanden/Zenk schließlich erneut zur multimedialen Erkundung von Zentrum und Peripherie, diesmal mittels Fahrrad: Die nächtliche Stadterkundung Art-Ride X machte die Stadt zur Bühne und die Bewohner*innen zu Performer*innen. Drei Stunden lang vermittelte die rauschende Fahrt zwischen Zentrum und Peripherie mit künstlerischen Interventionen und Begegnungen mit Wiener*innen unterschiedlichster Herkunft entlang der Strecke eine Vorstellung vom Œuvre Stadt.
Diese Stadterkundungen im Rahmen des urbanize!-Festivals standen für vieles im künstlerischen Schaffen von Daniel Aschwanden: Mit tiefgehender und ernsthafter Auseinandersetzung blickte er hinter die Kulissen und ging den Dingen auf den Grund. Er wollte überraschen und überrascht werden, das Schöne und Ungewöhnliche im Alltag erkunden, dem Ungeplanten Raum geben, dem Menschsein möglichst nahe rücken. Genau so wie er in der Verschiedenheit das Gemeinsame entdeckte, so feierte er die Unterschiedlichkeit mit Neugier und Akzeptanz. Wir werden ihn und seine künstlerischen Auseinandersetzungen mit der Stadt vermissen.
dérive
Elke Rauth ist Obfrau von dérive - Verein für Stadtforschung und Leiterin von urbanize! Int. Festival für urbane Erkundungen.