»Hereinspaziert meine Herrschaften«
Besprechung von »Felix Salten: Wurstelprater. Ein Schlüsseltext zur Wiener Moderne« herausgegeben von Siegfried Mattl, Klaus Müller-Richter und Werner Michael SchwarzSiegfried Mattl, Klaus Müller-Richter, Werner Michael Schwarz (Hgg.)
Felix Salten: Wurstelprater. Ein Schlüsseltext zur Wiener Moderne. Mit Originalaufnahmen von Emil Mayer
Wien: Promedia, 2004
256 S., 20,50 Euro
Eine Forschungsgruppe bestehend aus HistorikerInnen, Film- und LiteraturwissenschaftlerInnen aus Berkeley, Tübingen und Wien (IFK) führt seit 1998 (seit 2002 zusätzlich mit WissenschaftlerInnen der Harvard University) jährlich Konferenzen durch, in deren Zentrum die transdisziplinäre Auseinandersetzung mit Denkfiguren der Modernität in literarischen Texten, Filmen und Theorien liegt. Felix Saltens und Emil Mayers Buch Wurstelprater aus dem Jahr 1911 war dabei von Beginn an ein Grundlagentext.
Wurstelprater wurde nun im Originallayout mit den Fotos von Emil Mayer ergänzt durch zahlreiche Texte von WissenschaftlerInnen der erwähnten Forschungsgruppe wieder veröffentlicht. Der 1869 geborene Schriftsteller Felix Salten hinterließ ein äußerst umfangreiches und vielschichtiges, nach wie vor unaufgearbeitetes Werk. Dazu gehören Erzählungen, Romane, Novellen, Essays, Zeitungsartikel, Opernlibretti, Theaterstücke u.v.m. Am bekanntesten sind wohl seine anonym verfasste Lebensgeschichte von »Josefine Mutzenbacher« und das Buch über das junge Reh »Bambi«. (Mehr dazu in Sabine Müllers Text Dabei könnten sie doch deutsch reden! Von Praterausrufern, Sprechstellern und »jüdelnden Hasen«.)
Felix Salten führt den/die Leser/in vom Praterstern – ohne das Riesenrad auch nur zu erwähnen – wie Siegfried Mattel und Werner Michael Schwarz sowie Sabine Müller in ihren Beiträgen feststellen – »hinunter zu den Buden« in den Wurstelprater. Salten spaziert von einer Bude zur nächsten, schildert die Ausrufer, die zahlreichen für heutige Verhältnisse höchst unspektakulären Attraktionen und stellt uns Typen wie den »Fallot«, den »Trinker« oder den »Strizzi« vor. Illustriert ist der Text durch zahlreiche Fotos von Emil Mayer, wobei unbekannt ist, wie die Zusammenarbeit der beiden konkret ausgesehen hat. Das Buch selbst gibt darüber wenig Aufschluss, da manchmal weniger die Bilder den Text illustrieren als der Text die Bilder beschreibt. Selbst offene Widersprüche zwischen der Aussage des Bildes und des Textes kommen vor, wie Klaus Müller-Richter in seinem Beitrag Phantasmorgien des Praters feststellt.
Interessant an Saltens des Praters ist der perspektivische Blick und die selektive Wahrnehmung. Der Wurstelprater wird als fast isolierter Teil des Praters gesehen, der eine eigene abgeschlossene Welt darstellt. Zudem blendet Salten auch innerhalb des Geländes des Wurstelpraters all jene Attraktionen aus, »die auch den ,Wurstelprater‘ zu einem Experimentierfeld moderner Vergnügungen, Erfahrungen und Verhaltensweisen gemacht haben« (Mattel, Schwarz). Es scheint, als wollte sich Salten mit seiner Darstellung eine Welt erhalten, die es so fast nicht mehr gab. Für ihn war der Wurstelprater ein Ort für all die »Einfachen und Niedrigen«. Aristokraten, die in den Wurstelprater kommen, um sich »eine Hetz« zu machen, wirft er vor, Volk zu spielen. Die Buden gehören den Leuten, denen die Augen leuchten, wenn sie bei der Schießbude die Flinte zur Hand nehmen, und nicht denen, die sowieso in eigenen Wäldern auf die Jagd gehen können. Mattel und Schwarz, die dieser Aufmerksamkeit für das einfache Volk einen durchaus »demokratischen Zug« zubilligen, stellen hier jedoch gleichzeitig einen »Binnenexotismus und –kolonialismus« fest und sehen »unverkennbar die Züge eines älteren europäischen Topos, des ,edlen Wilden‘, dessen Naivität, Kindlichkeit und Natürlichkeit seine paradiesische Herkunft noch erahnen lassen und dessen ,Verwelken‘ zugleich die Wirkungen der europäischen Zivilisation bloßlegt«. Diese Art des »Stadt-Exotismus« fand unter Saltens ZeitgenossInnen offenbar eine durchaus erfreute Leserschaft. Diese ist weniger an einer »differenzierten und zeitgemäßen Auseinandersetzung mit der großstädtischen Gesellschaft interessiert, sondern mehr an der Aufrechterhaltung der Fiktion eine polaren Welt von Beobachtern und Beobachteten, von Wissenden und Unwissenden, Lesenden und Schauenden, Bürgern und ,Volk‘« (Mattel, Schwarz). Der Nachweis der These, dass Saltens Zuneigung zum »einfachen Volk« daher rührt, dass dieses mit den im Liberalismus sozialisierten jüdischen Intellektuellen eine »gemeinsame Unzugehörigkeit« verbindet, gelingt Mattel und Schwarz nicht ganz überzeugend. Hier noch nicht erwähnte Texte im Buch thematisieren den Prater und seine (spiel-)filmischen Repräsentationen (Robert Buchschwenter), The Visual Practices of Felix Salten´s Wurstelprater in the Context of Literary Volksprater Representations (Robert B. McFarland), The Ethnic Migrant in the Metropolis (Kristin Kopp), die Darstellung von Zwerge(n) und Riesen in Felix Saltens Wurstelprater und vergleichbaren Publikationen (Moritz Baßler). Biographische Daten und ein unvollständiges Werkverzeichnis von Salten und Mayer hat Gabriele Reinharter zusammengestellt.
Siegfried Mattl, Klaus Müller-Richter, Werner Michael Schwarz (Hgg.)
Felix Salten: Wurstelprater. Ein Schlüsseltext zur Wiener Moderne. Mit Originalaufnahmen von Emil Mayer
Wien: Promedia, 2004
256 S., 20,50 Euro
Christoph Laimer ist Chefredakteur von dérive.