Herrschende Frauen
Besprechung von »Ohne Frauen ist kein Staat zu machen« herausgegeben von Luise F. Pusch und Andrea SchweersDie Regierungsepochen von Frauen haben den jeweiligen Imperien die wahren kulturellen Blütezeiten beschert. Sie definieren sie de facto, postuliert Luise F. Pusch. Im Geschichtsunterricht in der Schule wird das so leider nicht gelehrt, und daher setzt sie, gemeinsam mit ihren Mitautorinnen mit diesem Buch das Projekt „die Gesellschaft über ihre bessere, aber vernachlässigte Hälfte aufzuklären“, fort. „Ohne Frauen ist kein Staat zu machen“ widmet sich Politikerinnen und politischen Aktivistinnen aus aller Welt.
Die alte Befürchtung Catos, Frauen wären den Männern überlegen, ließe man ihnen nur die Gelegenheit – die Macht –, findet eine hübsche Entsprechung in der Beobachtung der kulturellen Blütezeiten des alten Europa: So beauftragte und finanzierte Isabella von Spanien Kolumbus’ Entdeckungsreisen, gründete Universitäten und drängte den politischen Einfluss des Adels und der Kirche zurück. Auch das Elisabethanische Zeitalter steht für glänzende Zeiten – Shakespeare... und den Beginn des British Empire. Maria Theresia konsolidierte durch geschicktes politisches Taktieren das Habsburgerreich, auf dessen Zerfall das übrige Europa bei ihrem Regierungsantritt schon wartete. Und die gefürchtete Zarin Katharina holte Diderot nach Petersburg, gründete die Gemäldesammlung Eremitage und erweiterte das Reich.
Neben diesen prominenten historischen Namen werden auch Personen aus der jüngeren Geschichte vorgestellt, so etwa die 1998 ermordete russische Fast-Präsidentin Galina Starowojtowa. Aber auch Frauen aus anderen Teilen der Welt werden präsentiert, wie die indische Ministerpräsidentin Indira Ghandi, die guatemaltekische Menschenrechtskämpferin Rigoberta Menchú oder die kürzlich ermordete pakistanische Politikerin Benazir Bhutto. So eignet sich das Büchlein gut als eine Art Who is Who für den Horizont jenseits des Eurozentrismus inklusive seiner Herrschaftsclichés, ganz im Sinne der afroamerikanischen Freiheitskämpferin Sojourner Truth, die bereits 1851 an die Horizonterweiterung und Solidarität der weißen Frauenrechtlerinnen appellierte. Porträtiert wird auch Harriet „General“ Tubmann, die im amerikanischen Bürgerkrieg etwa 300 Sklavinnen bei der Flucht von den Südstaaten in den Norden half.
Aber auch Condoleeza Rice, Madeleine Albright, Sophie Scholl, Angela Merkel und die Marquise von Pompadour werden mit überraschenden Details vorgestellt. Über manch skurril anmutende Wahl der Waffen wird erzählt, etwa die genial einfache Strategie der Zéna M‘Dere von der Komoreninsel Mayotte: „Mit großen Gruppen aufgebrachter Frauen lauerten sie ihren Gegnern auf, bedrängten sie, zogen ihnen die Kleider aus und kitzelten sie so lange, bis diese gedemütigt das Feld räumten und zum Teil die Insel fluchtartig verließen.“ Natürlich war das nur ein Element des Freiheitskampfes der Chatouilleuses („Kitzlerinnen“) von der französischen Kolonie Mayotte, die lieber bei Frankreich bleiben wollten als „frei“, aber dafür islamisch zu werden, eine unter feministischen Gesichtspunkten jedenfalls kluge Entscheidung.
Wie vielfältig, einfallsreich und geschickt Politik von Frauen betrieben wird, darüber gibt das Buch einen ersten Überblick. Als längst überfällige Ergänzung zu Kompendien wie Menschen, die die Welt veränderten, Die Großen der Geschichte und dergleichen, die meist keinerlei Hinweise auf einflussreiche Frauen in Politik und Geschichte geben, kann es jedenfalls empfohlen werden – für genauere Recherchen muss dann zu den entsprechenden Biographien – zahlreiche Literaturhinweise werden im Buch mitgeliefert – gegriffen werden. Auf eine ausführliche Darlegung der These wird dringend gewartet! Bis dahin gilt es, den Denkanstoß in diese Richtung selbst weiterzuverfolgen.
Susanne Karr