.-:i:-. Space Invasion: Mit der Stadt und ihren BewohnerInnen spielen .-:i:-.
Eher als um die unvermeidbare Frage, wem der (urbane) öffentliche Raum denn nun eigentlich gehöre, kümmert sich eine bestimmte Variante von Stadt-Kunst um jene, wie man ihn, ganz wörtlich, zu bespielen habe. Und findet damit eine Antwort, die – weil sie nicht so unglaublich ernst genommen werden will – umso eindrücklicher auftritt. Dass an den Stadt-Raum die eine oder andere Frage gestellt werden muss, liegt auf der Hand. Wo sich ein immer dichteres Menschengewimmel tummelt, ist sicherzustellen, dass die kollektiven Ortschaften nicht zur seelenlos durchquerten Transitzone verkommen und damit „gültige“ Öffentlichkeit verschwindet. Um das Fortbestehen eines politisch-operationellen öffentlichen Raumes zu gewährleisten, ist es von Nöten, das vielgestaltige menschliche Bezugsnetz der StadtnutzerInnen für eben diese erfahrbar zu machen, ihnen Distinktionspraktiken und zugleich Integrationsmodelle anzubieten, mit deren Hilfe das urbane Laboratorium nutzbar wird.
Denn die Realisierungspraktiken der Stadt resultieren unmittelbar aus den Interaktionsmodi der StadtbenutzerInnen, das Stadt-Leben hängt untrennbar mit dem gemeinsamen Agieren und Tätig-Werden zusammen. Jenseits eines Gefüges von baulicher Substanz, conditio sine qua non freilich, ist die Pluralität der Individuen, ihr bewusstes, aktives Miteinander in einem frei zugänglichen öffentlichen Raum als erste Voraussetzung von politischem Leben bedeutsam. Darum muss es als Herausforderung gesehen werden, Praktiken zu schaffen, die dieses intersubjektive Bezugsnetz von miteinander Handeln und Sprechen begreifbar machen.
Spielerische Interaktion
Dass Kunst maßgeblich dazu beitragen kann, steht außer Frage. Dass es verschiedene Strategien mit unterschiedlichen Zielsetzungen gibt, Kunst im öffentlichen Raum anzusiedeln, auch. Eine besondere, nämlich im eigentlichen Sinn verspielte und das Spiel anregende Praxis eines in Paris ansässigen Künstlers soll nun näher vorgestellt werden. Um vorzuführen nämlich, wie neue Stimmlagen innerhalb der urbanen Polyphonie zu Gehör dringen können. Am ehesten als eine Möglichkeit, die StadtbewohnerInnen in ludischen Bezug zu ihrem urbanen Habitat zu setzen, lässt sich der „reality game“-Ansatz des Stadtkünstlers Space Invader zusammenfassen. Zwar dekorieren seine Mosaike den Stadtraum auch und sind als Kleckse farbiger Keramik durchaus schön anzusehen, sie erfüllen aber im Eigentlichen eine Funktion, welche durch erhöhte Interaktionsbereitschaft auf ein Erstarken des agonistischen Spielprinzips hinausläuft. Abgesehen von der Inauguration eines neuen Stadt-Erlebens birgt das groß angelegte Projekt die Option, das Gefühl eines, siehe oben, miteinander Handelns in den urbanen Beton einzugießen. Spiel ist ja, wie die Spieltheorie bedeutet, nicht nur Ornat und Dekorum, sondern unentbehrliche Stütze des Gemeinschaftssinnes, ohne welchen Gesellschaft nicht möglich ist. Mehr als um ein Sich-Messen geht es um die Veräußerlichung sozialer Gefüge, um das Verbriefen von Kulturwerten. Wenn öffentlich ausgetragen, involviert das Spiel die größtmögliche Zahl (unwillkürlicher) MitspielerInnen. Daraus ergibt sich im Falle von Space Invader ein besonders hübsches Modell von Stadtleben: die StädterInnen als eine riesige Truppe von miteinander Spielenden, die im Handeln und Sprechen aufeinander zugehen.
Space Invader, der, sein Name sagt alles, auf die extraterrestrischen Eindringlinge der ersten Videospielstunde als Gestaltungselemente zurückgreift, platziert seit gut sieben Jahren Mosaikunikate im öffentlichen Raum seiner Heimatstadt Paris, daneben aber auch in global cities wie London, New York, Los Angeles, Tokio und Hong Kong.[1] Diese rigoros durchnummerierten Elemente setzen sich aus monochromen Quadraten zusammen, welche den Pixeln der Computergrafik entsprechen und letztlich eine Armada aus Space Invaders bilden, die ausgezogen sind, den Stadtraum in Beschlag zu nehmen: urbane Invasion also, und zwar – weil diese Kunstpraxis äußerst transportabel und mobil ist – weltumspannend und damit dem Phänomen einer globalen Metropolenvernetzung entsprechend. Wenngleich Invader durchaus als street artist gelten könnte, besteht er doch darauf, ein Künstler tout court zu sein; einer, der sich aus Land Art und Situationismus inspiriert und nur a posteriori mit Sprayern und Taggern in Verbindung geriet. „Mein Leben ist eng mit Kunst verbunden, ich nehme es nur auf diese Art wahr, und das ist es, was mich zu den Space Invaders gebracht hat. Die Space Invaders ließen mich dann die Graffiti-Szene und –Kultur entdecken."[2] Das Gebot zu bewahrender Anonymität freilich hat er mit letzterer gemeinsam, wenngleich er sich neben seinem unausgesetzten Monumentalprojekt der Space Invasion seit einer ersten Schau in der Pariser Galerie Magda Danysz 2003 auch zum Innenraumkünstler mausert, der allerdings sein primäres Wirkungsfeld unausgesetzt im kollektiv genutzten Außenraum sieht.[3]: Indem er zusehends als Galeriekünstler auftritt, lässt sich aber wohl der Zeitpunkt absehen, an dem er seine Identität lüftet und das ihm schon seit Langem bereit gestellte konvertierbare symbolische Kapital wahrzunehmen beginnt. In Paris sind die Kunst und die Kunstfigur von Invader gern gesehen, ein Lieblingskind der hippen Kunst- und Stadtszene fast schon, und mit dem Aufheben des Anonymats hätte er keine repressiven Sanktionen zu befürchten.
Flanieren gegen die prozac city
Eine Stadtkunst wie die von Space Invader, welche auf langsam erwachende Neugierde setzt und sich nicht mit einem Mal zur Gänze erfassen lässt, sperrt sich gegen ein glossy Stadtkonzept der Postmoderne, welches auf die leicht verdauliche event city oder, in den Worten Giandomenico Amendolas, prozac city abzielt: „Die Stadt hat sich die Aufgabe aufgeladen, die Welt gemäß dem Kanon der zeitgenössischen medialen Kommunikation sichtbar zu machen; alles muss zugänglich, gleichzeitig, fesselnd sein. Die neue postmoderne Stadt bringt sich als Faktor und Spielwiese der Wiederverzauberung der postmodernen Gesellschaft ein.“[4]: Dass allerdings hiermit die Gefahr eines drohenden Öffentlichkeitsverlustes einher geht, weil alles eben nur scheinbar zugänglich und kommunizierbar und publik ist, ist kein Geheimnis. Eine urbanistische und künstlerische Praxis wie die beschriebene veranlasst unweigerlich die Flanierenden, sich gegen das Unmittelbarkeitsprinzip aufzulehnen, die eigene Kuriosität wieder zu entdecken und ganz bewusst in jenen Raum hinaus zu treten, den sie mit den anderen teilen. Im Grunde ist es bloß eine Frage der Zeit, bis die/der mittelmäßig aufmerksame BewohnerIn einer „befallenen“ Stadt[5]: auf die Idee gebracht wird, dass hier eine Einladung zu einem eigenwilligen Stadt-Parcours ausgesprochen wird. Es kann also losgezogen werden, mit Stadtplan und Stift in der Tasche womöglich, auf dass die ausfindig gemachten Koordinaten der Stadtinvasion als Anhaltspunkte eines flächendeckenden reality game minutiös verzeichnet werden mögen.
Invader selbst betont den kartografischen Impetus, der sich aus seiner Arbeit ergibt: Einerseits muss vor der Anbringung der einzelnen Mosaike die jeweilige Umgebung ausgekundschaftet und erfasst werden, andererseits hat er natürlich auch persönliches Interesse an der Dokumentation seines groß angelegten Projektes. „Die Karten erlauben mir, eine Verbindung zwischen dem unendlich Kleinen (das Pixel, der Space Invader) und dem unendlich Großen (die Stadt, der Planet) herzustellen. Sie repräsentieren auch die Idee des Umherirrens."[6]: Ganz dérive also. Auch für die BetrachterInnen seiner Kunst, die ähnlich SchatzsucherInnen den Stadtraum kreuz und quer abgrasen. Nicht nur das ästhetische Empfinden in der unmittelbaren Perzeption der Mosaike ist ausschlaggebend, sondern das Ausfindig-Machen und die Dekodierung im Umraum angesichts eines Balanceakts zwischen Sichtbarkeit und Unauffälligkeit.
Foto: P. LanthalerSymbolische Besetzung von Räumen
Dass street art immer möglichen Eingriffen oder gar Zerstörungsversuchen ausgesetzt ist, weil sie als unrechtmäßiger Eingriff in das von öffentlicher Hand gestaltete Stadtbild wahrgenommen werden mag, liegt in der Natur der Sache. Das Risiko potenzieller Entfernung ist allerdings Teil des Spielgedankens, der in street art insgesamt ausgemacht werden kann und das ganze Unterfangen recht aufregend gestaltet. Die Herausforderung besteht darin – und das gilt für jede invasionsähnlich funktionierende Stadtkunst –, diesseits der Sichtbarkeitsgrenze zu bleiben, ohne sich dabei allzu sehr zu exponieren. Solche Projekte weisen darüber hinaus das Charakteristikum auf, nicht punktuell wirken zu wollen, sondern erst bei Betrachtung ihres vollen – eingangs kaum vermuteten – Ausmaßes die angestrebte Wirkung zu erlangen.
Die Bedeutung einer solchen Unternehmung – bei der künstlerischen Praxis von Invader parallel zu neu inaugurierten innerstädtischen Wahrnehmungs- und Bewegungsmustern – liegt jedenfalls darin, den StadtbewohnerInnen eine Option anzubieten, mit ihrem Umraum und allen Menschen, die ihn besiedeln, in eine neue, qualitativ hochwertige Beziehung zu treten. Schließlich geht es, wie Regina Bittner völlig richtig heraus streicht, um „neue Modi der Integration in die Stadt mittels der symbolischen Besetzung von Räumen, einer Besetzung, die angesichts der zunehmenden Enträumlichung sozialer Beziehungen nur umso dringender geboten ist.“[7]: Den StadtbenutzerInnen den öffentlichen Raum zurück geben als etwas bewusst Erfahrbares, Bestaunbares, Gangbares; ihnen einen Ort der Manifestation und Interaktion zur Verfügung stellen und eine Plattform, die die Pluralität der Individuen erfahrbar macht.
Foto: Daniel KaltIm Falle der space invasion könnte dies so funktionieren, dass die Menschen in Staunen vor dem einen oder anderen Invader-Mosaik aneinander geraten, sie auf ihre unvollständigen Kartenfragmente verweisen und darob in einen Diskurs geraten, der im öffentlichen Raum neue Öffentlichkeit schafft und verdeutlicht, dass auch die Straßen der eigenen Stadt nicht nur forsch und hektischen Schrittes abgelaufen werden müssen, sondern dass abseits der breit getretenen Spurrinnen noch ein paar denkbare Realisierungen von urbaner Zusammenkunft möglich sind. Oder, im Sinne politischer Theorien: Eine Gewährleistung, dass weiterhin gehandelt und gesprochen werde im öffentlichen Raum, der damit Austragungsort eines zwischenmenschlichen Beziehungsnetzes bleibt und seine Relevanz als Politikum nicht verliert. Es darf nämlich ruhig ein bisschen spielerisch zugehen auf den Straßen der Städte, um die überindividualistische Gesellschaft auszutricksen. So bietet sich der öffentliche Raum als Alternative zur Isolation der/s Einzelnen an und stellt sich damit letztlich als wahrhaft zwischen-menschlich heraus.
Daniel Kalt ist Kulturwissenschaftler, freiberuflicher Journalist und Übersetzer und lebt in Paris.
Fußnoten
Vor kurzem ist im Übrigen auch die österreichische Kapitale zu so illustren invasorischen Ehren gelangt, da Invader einen Monat lang Artist in Residence im Wiener Museumsquartier war. Wie der Künstler im E-Mail-Interview ankündigt, werde es sich wohl um eine groß angelegte Intervention handeln, da der für eine Invasion ordentlichen Ausmaßes üblicherweise notwendige Zeitraum von etwa 14 Tagen sogar überschritten werde. street art und city hopping kann Invader darüber hinaus ohnehin nicht mehr voneinander trennen: „Das Eine ohne das Andere ist für mich nicht mehr denkbar“ ↩︎
Interview von 2004 mit Pierre-Évariste Douaire auf www.paris-art.com/interv_detail-1876.html (Übersetzung durch den Autor) ↩︎
2005 folgten Einzelausstellungen in der renommiert Pariser Galerie Patricia Dorfmann sowie in der Galerie Sixspace in Los Angeles. In diesem Rahmen entwickelte er einen eigenen –ismus, den so genannten Rubikcubism nämlich, für den er das Quadrat in die dritte Dimension bringt und auf Rubic's Magic Cubes zurückgreift, die er zu Skulpturen auf-, an- und ineinander montiert ↩︎
Giandomenico Amendola, La Ciudad Postmoderna. Magia y miedo de la metrópolis contemporánea. Madrid, Celeste, 2000, S. 136 (Übersetzung durch den Autor) ↩︎
Paris – als die Heimatstadt des Künstlers und seine dauernde Spielwiese – bringt es auf beachtliche 519 Invaders (Stand Dezember 2005). Andere Städte weisen naturgemäß eine geringere Dichte auf, da Invader dort nur als Kunst- und Spiel-Tourist tätig werden kann. Immerhin: Los Angeles 123 Invaders. New York 85 Invaders. Tokio 75 Invaders. Bei den elf für Berlin ausgewiesenen „Störenfrieden“ muss man wohl ein wenig Glück haben, um auf sie zu stoßen. Vgl. für diese Information die sehenswerte und auch amüsante – weil ihrerseits keineswegs unverspielte – Seite www.space-invaders.com ↩︎
Space Invader im zitierten Interview ↩︎
Regina Bittner, Die Stadt als Event, in: dies. [Hg.], Die Stadt als Event, Frankfurt am Main – New York, Campus Verlag, 2002, S. 23 ↩︎
Daniel Kalt lebt als Kulturwissenschaftler, freiberuflicher Journalist und Übersetzer in Paris.