Intimität und Metropole
Besprechung von »Intimate Metropolis. Urban Subjects in the Modern City« herausgegeben von Vittoria Di Palma, Diana Periton und Marina LathouriAuf den ersten Blick erscheint die Paarung der beiden Begriffe intimate und metropolis widersprüchlich, einander ausschließend. Die Geschichte der modernen Stadt ist aufs engste mit der Geschichte der Entwicklung und Durchsetzung von Öffentlichkeiten und der Aushandlung partikularer Interessen von TeilÖffentlichkeiten verbunden. Zumeist wird die Geschichte von Stadt als öffentliche Geschichte konstruiert. Das Intime ist physisch, das, was nahe an die einzelnen Körper herankommt, mit der Haut in Berührung gerät. Das Intime ist aber auch mental, psychisch, das, was nahe geht, am Herzen liegt. Das Intime ist jedoch, wie die drei Herausgeberinnen Vittoria Di Palma, Diana Periton und Marina Lathouri in ihrer Einleitung betonen, nicht an das Individuum geknüpft, sondern durchaus als etwas Gemeinsames zu begreifen, das man mit einigen wenigen anderen in naher Gemeinschaft teilt. eine Intima oder ein Intimus ist ein enge Freundin, ein Vertrauter. Vertrauen, nahes Wissen, Wissen, das nahe an die anderen herankommt, ist jene Kategorie der Intersubjektivität, die in der Geschichte der modernen Stadt zu kurz kommt, da sie dort angesiedelt ist, wo die Grenzziehungen schwammig, die Distinktionen diffus werden und die Präzision daher analytisch in einer kritischen Auseinandersetzung gefordert ist, die Genauigkeit nicht zugunsten der Unschärfe aufzugeben und genau diese Unschärfen herauszuarbeiten und nicht wieder in die herkömmlichen Dichotomiefallen zu tappen.
In dieser Aufsprengung binärer Logiken ist die Paarung von Intimität und Metropole eine überaus spannende, da sie die herkömmliche Dichotomie zwischen dem Öffentlichen und dem Privaten hintergeht und ein Drittes als Kategorie der Verhältnisse in der Entstehung des Städtischen entwirft. Die Intimität führt eine intersubjektive Kategorie des Urbanen ein, die sich als neue und kritische Bewegung zwischen die Pole privat und öffentlich einmischt. Begonnen hat diese Untersuchung der intimen Metropole mit einer Konferenz, die im Oktober des Jahres 2003 an der Architectural Association in London stattgefunden hat. Die Konferenz hatte den Titel The Intimate Metropolis: Domesticating the City, Infiltrating the Room und wurde in einer ersten Auswahl in den AA Files 51 veröffentlicht.
Das Intime als Bewegung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, dem Individuellen und dem Kollektiven verbindet die einzelnen Beiträge, die sich in ihrer Ausrichtung mit unterschiedlichen Aspekten der Metropolenwerdung auseinandersetzen. es sind nicht so sehr neue Genres oder neue Orte der Untersuchung des Urbanen, die uns in diesen Essays begegnen, als vielmehr intime Nahaufnahmen des jeweils Untersuchten, dem sich in einer mikroskopischen Analyse angenähert wird. Wiewohl die gewählten Gegenstände der Untersuchung in vielen Fällen den LeserInnen von stadtspezifischer Literatur mehr als vertraut erscheinen mögen, seien es »Häuser, Apartment Blocks, Straßen oder Spielplätze«, seien es »Gemälde, Photographien, Filme oder Pläne«, sei es der Beginn der Statistik, die vielstrapazierte mythische Figur des Flaneurs oder Google earth, so ist es eben der Fokus des Intimen, der den wissenschaftlichen Neuigkeitsgrad ausmacht.
Diana Periton untersucht in Urban Life am Beispiel von Paris, wie die Suche nach statistischen Regelmäßigkeiten neue urbane Typen definierte und somit hervorbrachte. Hugh Campbell geht in Heads: Philip- Lorca di Corcia and the Paradox of Urban Portraiture dem komplexen Konflikt zwischen dem ästhetischen Recht auf intime Beobachtung der sich unbeobachtet fühlenden städtischen Subjekte durch die Kamera im Genre der Straßenphotographie und dem Recht der Subjekte, ihr eigenes Bild als intimes zu wahren und nicht veröffentlicht zu werden, nach. Kathryn Brown stellt Kaffeehäuser in Paris als jene Orte vor, an denen Frauen in der Öffentlichkeit als Leserinnen wahrgenommen wurden und sich zugleich durch die Lektüre den männlichen Blicken der Flaneure entzogen. Charles Rice untersucht die männliche urbane Typologie von Rentier, Sammler, Flaneur und Cinephilem.
Helene Furján stellt John Soanes Model House als Grand Tour vor, als Vehikel des Ausstellens und Vorzeigens der hybriden Nutzungen zwischen Zuhause, Museum, Architekturbüro und Ort der Entwurfslehre. In ähnlicher Weise untersucht Amy Catania Kulper die hybriden Verbindungen zwischen privat und öffentlich am Beispiel von Raumtypologien wie dem Salon, dem Kaffeehaus, dem Kaufhaus, dem Garten, der Ausstellung oder dem Theater, deren Verwendung für Victor Hortas Entwurf eines privaten Hauses für einen Universitätsprofessor, des Hôtel Tassel, entscheidend war. Katharina Borsi geht in Drawing and Dispute: The Strategies of the Berlin Block den Auswirkungen der vorherrschenden Berliner Raumtypologie der modernen Stadt auf das Großstadtleben der Familie nach. Martina Lathouri setzt sich mit den visuellen Strategien der cIAM Kongresse auseinander, um das Intime als bestimmenden Faktor der Formalisierung zwischen Wohnen und Produktionsweisen herauszuschälen. Karin Jaschke analysiert in City Is House and House Is City: Aldo van Eyck, Piet Bom and the Architecture of Homecoming die Maßstäblichkeiten der Auswirkungen des Wohnens auf den Plan der Stadt . Roy Kozlovsky untersucht die Bedeutung des Kinderspiels für die Planung von Nachkriegsstädten. Christopher Hight stellt unter dem Titel Pervasive Intimacy die Unité d‘Habitation von Le Corbusier dem Golden Lane Project von Alison und Peter Smithson gegenüber.
Das letzte Kapitel wagt die größten Maßstabssprünge. Vittoria Di Palma geht in Zoom: Google Earth and Global Intimacy den augenscheinlichen, aber auch verstörenden Nivellierungen in einem fast nahtlos anmutenden, ununterbrochenen Bildstrom nach, den anderen immer näher rückenden Annäherungen, womit sich der Kreis zur Repräsentation der Statistik des ersten Beitrags von Diana Periton auf visuelle Weise schließt. Das Intime erweist sich als fruchtbare Kategorie der Untersuchung und eröffnet neue Perspektiven auf den immer wieder neu erprobten Entwurf des Selbstumgangs von StädterInnen mit dem Gebauten in der Stadt und den Bildern von Stadt.
Elke Krasny ist Kuratorin, Stadtforscherin und Professorin für Kunst und Bildung an der Akademie der bildenden Künste Wien.