Kooperation in der Krise
Das Gängeviertel in Hamburg als Reallabor zur Koproduktion urbaner ResilienzHamburg, 22. August 2009. Rund 200 KünstlerInnen und AktivistInnen besetzen das Gängeviertel, ein denkmalgeschütztes Ensemble aus zwölf leerstehenden Gebäuden in der Hamburger Innenstadt. Zuvor war es nach zehnjährigem Leerstand von der Freien und Hansestadt Hamburg (FHH) an einen Investor verkauft worden, der es entwickeln sollte. Für rund 50 Millionen Euro sollten Wohnungen, Büros und Gewerbeflächen entstehen, wofür die FHH den Abriss von großen Teilen der Bausubstanz genehmigte. Doch diese »neoliberale Erneuerungsstrategie« (Breckner 2016, S. 192) scheiterte. Der Investor geriet in Folge der um sich greifenden Finanzkrise ab 2009 in Zahlungsschwierigkeiten. Diese Situation nutzten die AktivistInnen um mit der Besetzung gegen den geplanten Abriss zu protestieren. In diesem Zuge kritisierten sie auch die Stadtentwicklungspolitik des Hamburger Senats, denn sie sahen darin die zentrale Ursache für eine weitgehende Verödung der Innenstadt und für die Gentrifizierung von Wohnquartieren. Vor allem die Verdrängung von KünstlerInnen und Kulturschaffenden bei gleichzeitiger Selbstdarstellung der FHH als kreative und tolerante Stadt standen in der Kritik. Viele der BesetzerInnen waren selbst von steigenden Mietpreisen oder Verdrängung in Folge von Projektentwicklungen betroffen. Daher forderten sie die Entwicklung des Gängeviertels als selbstorganisiertes Quartier für künstlerische Nutzungen mit günstigen Mieten. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, wurde die Besetzungsaktion künstlerisch inszeniert und stadtweit mit dem Slogan Komm in die Gänge beworben (Gängeviertel e.V. 2012, S. 45ff.).
Michael Ziehl arbeitet als Urbanist und Stadtforscher in Hamburg.