Krankheit, Armut, Dichte
Die Kartierung der Cholera und der moderne StädtebauUnzählige Karten informieren uns seit März über die Verbreitung des Coronavirus. Sie geben Auskunft über die Zahl der Infektionen, Todesfälle und Genesungen und zeigen, wie ungleich diese verteilt sind: Covid-19 expliziert die Differenzen zwischen nationalen Gesundheitssystemen ebenso wie die ungleichen Lebensbedingungen in unseren Städten. Ob und welche Konsequenzen daraus gezogen werden, bleibt abzuwarten. Die bereits von einer intensiven Datenproduktion begleiteten Choleraepidemien des 19. Jahrhunderts hatten jedenfalls langfristige Folgen: Die in den 1830er-Jahren anhebende Verdatung und Kartierung der Seuche stand mit am Beginn der Hygiene-, Wohn- und Städtebaureform. Die neuen statistischen Karten schärften den Blick für soziale Unterschiede und trugen zur Entdeckung der Übertragungswege bei. Zugleich setzten sie aber auch ein ebenso vages wie wirkmächtiges Imaginarium frei, das bauliche Dichte zum erklärten Feindbild des modernen Städtebaus werden ließ – ein auf Vorurteilen und Verkürzungen beruhendes Feindbild, das gerade reaktiviert wird.
Christa Kamleithner