Kreativität als postfordistischer Imperativ
Besprechung von »Kritik der Kreativität« herausgegeben von Gerald Raunig und Ulf WuggenigDer vorliegende Band versammelt eine bunte Auswahl an Essays, die versuchen, aus historischer, philosophischer oder empirischer Sichtweise eine allgemeine Kritik der Kreativität zu skizzieren. Im Zentrum steht die historische und theoretische Kontextualisierung des Begriffs „Kreativität“, der in der Tradition einer „Genieästhetik“ steht, und aus dem sich heute ein postfordistischer „kreativer Imperativ“ ableiten lässt, der bestimmte Praktiken und Lebensbedingungen zur Folge hat.
Auch in Österreich sind etwa die „Creative Industries“ in aller Munde, nicht zuletzt seit Franz Morak sie ins Zentrum seiner Kulturpolitik stellte. Jüngst proklamierte Österreichs Bundeskanzler Alfred Gusenbauer in der ORF-Sendung „Treffpunkt Kultur“, dass das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert der Kreativität werden würde. Auch religiöse Gruppen haben unter dem Stichwort „Kreationismus“ Anteil an dem allgemeinen Kreativitäts-Hype.
Mit dem Begriff Kreativität wird heute sehr oft eine Schnittstelle zwischen Ökonomie und Kultur bezeichnet (die „Kultur“ ersetzt auch immer häufiger die „Kunst“), wobei auch versucht wird, Positionen, die einmal in einem Spannungsverhältnis gestanden haben, miteinander zu versöhnen. Avantgardistische Modelle werden so verwässert, widerständische Positionen entschärft, da ihre Innovationen gleichzeitig einen gewünschten Mehrwert kreieren, der für das allgemeine Wachstum unabdingbar geworden ist. Kunst und Kultur dienen als Zugpferde und Impulsgeber für wirtschaftliche Entwicklung und verlieren im gleichen Moment ihre Autonomie und kritische Kapazität. Das sind keine neuen Erkenntnisse, aber der Band kann als Aktualisierung verstanden werden, die zwischen älteren Theorien, wie etwa Adornos „Kulturindustrie“ und gegenwärtigen Phänomenen wie der „Digitale Bohème“ eine Brücke schlägt.
KulturproduzentInnen befinden sich heute in einem Spannungsverhältnis zwischen Unabhängigkeit und einer marktkonformen Rolle. In den Essays wird implizit oder explizit die Aufforderung an KulturproduzentInnen formuliert, sich kritisch mit der eigenen Rolle in einer liberalisierten Marktwirtschaft auseinanderzusetzen, die dem Individuum zunehmend Flexibilität abverlangt, während das soziale Netz rückgebaut wird.
Denn der „kreative Imperativ“ kann in vielen Fällen nicht alleine als Werkzeug eines Massenbetrugs betrachtet werden, sondern auch als Hintergrund massenhaften Selbstbetrugs, da viele KulturproduzentInnen in der Hoffnung auf Unabhängigkeit und Selbstbestimmung durch ihr kreatives Potenzial oft prekäre ökonomische Bedingungen in Kauf nehmen (Stichwort: Selbstprekarisierung). Derartige Strukturen und Zusammenhänge werden einerseits in ein Theoriegebäude gestellt, in dem es zu Wiederbegegnungen mit Adorno (Kulturindustrie), Foucault (Biopolitik) oder Deleuze kommt, andererseits auch an aktuellen Fallbeispielen abgearbeitet. Auf diese Weise entsteht ein lebendiger Diskurs.
Andre Krammer ist selbstständiger Architekt und Urbanist in Wien.