Peter Hinterkörner


»Wir protestieren gegen den Skandal um das Festspielhaus Salzburg«, steht in großen Lettern auf dem orangefarbenen Plakat[1]. Die Leute von der neugegründeten IG Architektur nehmen ihr »Going Public« schon sehr ernst. Das beschwingte Fest, das dieses offizielle Hinaustreten in die Öffentlichkeit begleitet, soll eben nicht verschleiern, dass man etwas zu sagen hat - und dies in Zukunft nicht mehr nur im vertrauten Freundeskreis, der an diesem Frühlingsabend Ende April sozusagen vervielfacht den Großteil des Publikums ausmacht, sondern ganz offiziell und in allen zur Verfügung stehenden Medien. Folgerichtig ist die Party nicht nur ausgelassener Ausdruck der Freude über bisher geleistete Arbeit, nicht nur beeindruckende Bühne für das - buchstäblich theatralische - Vortragen der Ziele und Forderungen, sondern eben auch Plattform des Protests und der klaren Stellungnahme.

Die Entstehungsgeschichte

Die »österreichweite Interessensgemeinschaft Architekturschaffender« wurde im Frühling 2001 ins Leben gerufen. Initialzündung war eine Anfrage des neuen Planungsstadtrates nach einer Liste junger ArchitektInnen, die von der Ansprechperson in einen über Internet verbreiteten Aufruf umgewandelt wurde - und so eine wahre Lawine an Rückmeldungen lostrat. Das reichhaltige, der Öffentlichkeit und den politisch verantwortlichen Stellen jedoch zumeist unbekannte Potenzial an kreativen und tatendurstigen Planungsgruppen wurde damit deutlich offenbart. Wichtig scheint im nachhinein jedoch nicht nur die Bekanntmachung »nach außen«, also hinaus aus der »Szene« gewesen zu sein, sondern auch das plötzlich durch nackte Zahlen dokumentierte Gefühl, Teil einer großen und mit denselben Problemen kämpfenden und dieselben Ziele anstrebenden Gruppe zu sein. Bisher hatte man sich zumeist im Freundeskreis über das Leben mit (und oft genug ohne!) Arbeit ausgetauscht oder bei einem Bier über veraltete Strukturen und Ungerechtigkeiten gewettert; es hatte auch schon so etwas wie lose Interessenszusammenschlüsse gegeben, wie etwa die Gruppe »bypass«, die sich für einen besseren Berufszugang und effektivere Öffentlichkeitsarbeit für junge ArchitektInnen eingesetzt hatte. Doch man war mehr oder weniger immer »unter sich« geblieben. Irgendetwas war nun anders; vielleicht war es die schiere Zahl von über hundert Teams, die dem Aufruf gefolgt waren; wahrscheinlich auch das zeitliche Zusammentreffen mit plötzlich gehäuft auftretenden Publikationen über grobe Unregelmäßigkeiten im Verlauf einiger Wettbewerbsentscheidungen und dem kollektiven Gefühl, sich nicht länger mit ohnmächtigem Schweigen und zynischer Kritik zufrieden geben zu wollen. In den anfänglichen Treffen, die viele der TeilnehmerInnen des Aufrufs im Cafe Mollard im sechsten Wiener Gemeindebezirk zusammenführte, kam ganz deutlich zutage, dass eine beträchtliche Anzahl an jungen Architekturschaffenden mit denselben Problemen zu kämpfen hatte, dieselben Ziele hatte - und vor allem die Tatkraft derer, die noch nicht allzu oft zum Zug gekommen waren. Die Entscheidung, einen Verein zu gründen, der diese gesammelten Anliegen vertreten und an die Öffentlichkeit bringen sollte, war daher ein logischer, in Anbetracht der angestauten Energien ein fast unausweichlicher Schritt. In der Folge hieß es nun also ganz pragmatische Schritte der »Geburtshilfe« zu setzen: Eine eigens dafür eingesetzte Arbeitsgruppe sorgte sowohl für die Etablierung von Vereinsstatuten als auch für den Aufbau einer inneren Organisations- und Entscheidungsstruktur. Prägend war dabei das diskursive Element der ersten Treffen; auch die Tatsache, dass die meisten IG-Mitglieder als Teams arbeiteten und Entscheidungsfindung als Abstimmung von Einzelinteressen erfolgte, ließ eine stark basisdemokratische Struktur entstehen. Zentrales Element der IG Architektur ist das Plenum, also die monatlich stattfindende, öffentliche Vollversammlung der Mitglieder. Hier werden alle Beschlüsse mit einfacher Mehrheit gefasst, hier werden auch der Sprecher bzw. die Sprecherin gewählt, die sozusagen die »Stimme« der IG sind und deren Anliegen in die Öffentlichkeit tragen. Aus den drängenden Problemen und Themen, die man anfangs gemeinsam diskutiert hatte, wie Berufsberechtigung und -zugang, Wettbewerbswesen oder Öffentlichkeitsarbeit, entstanden Arbeitsgruppen, die nun flexibel und themenbezogen arbeiten und dem Plenum regelmäßig berichten. Das große übergeordnete Thema der Monate zwischen den ersten Gehversuchen des Projektes und dem Going Public als selbstbewusste Gruppierung junger PlanerInnen war die eigene Positionierung, das eigene Auftreten - vom Namen über die Homepage bis zum Verfassen eines Manifestes. Man hat sich Zeit gelassen dafür, hat den Meinungsbildungsprozess breit angelegt - und eine sehr nüchterne Bezeichnung für die Gruppe gewählt, der sich in wohltuendem Kontrast von den teilweise überschäumend fantasievollen, manchmal in halsbrecherischer Orthografie verfassten Namensungetümen diverser (zumeist junger) Architekturgruppen unterscheidet. Interessensgemeinschaft Architektur. Eine Portion Seriosität darf ruhig sein. Und man wollte »bewusst an die Tradition der bereits existierenden IG in Österreich anknüpfen«, wie es in der Presseaussendung heißt. Damit wurde die Latte hochgelegt, denn die »IG Autorinnen Autoren« oder die »IG Bildende Kunst« treten quasi als Standesvertretung ihrer Berufsgruppe auf, während es für ArchitektInnen ja eigentlich eine Kammer gibt. Aber die IG versteht sich keinesfalls als Gegen-Kammer, auch nicht als exklusive Vertretung speziell »junger« ArchitektInnen, vielmehr als programmatische Ergänzung im weiten Feld der Architektur. Die IG möchte Themen aufgreifen, die die Kammer links liegen lässt; auf Menschen zugehen, die von der Kammer nicht vertreten werden - also besonders Studierende und junge AbsolventInnen. Auch das sagt der Name aus: es geht nicht um Architekturschaffende, sondern um Architektur. Besser gesagt um die Zukunft der Architektur.

Das Manifest

Wie diese Zukunft aussehen könnte, das ist Inhalt des Manifestes, welches die Eckpfeiler der inhaltlichen Positionierung der IG zusammenfasst und zugleich Arbeitsprogramm ist. Entscheidend scheint, dass sich die IG mit diesem Programm gleichsam emanzipiert hat von einer reinen Protest und Empörungsbewegung gegen unfaire Methoden und Ungleichbehandlung. Das Manifest ist positiv formuliert, sagt aus, wofür die Mitglieder stehen. Als »Solidargemeinschaft« arbeiten die Mitglieder der IG auf eine Verbesserung der berufsbezogenen Rahmenbedingungen hin. Hier fließen also die »Gründungsanliegen« ein, wie eine Liberalisierung des Berufszuganges (Stichworte: Praxisnachweis, Ziviltechnikerprüfung), Kammerreform (Stichwort: Kammerumlagen, Pensionsversicherung), Verbesserung des Wettbewerbswesens und der Vergaberichtlinien. Gleichzeitig wird unter Solidarität eine gewisse ethische Grundeinstellung postuliert, die von gegenseitiger Unterstützung, Respekt und Fairness im Wettbewerb spricht. Apropos Wettbewerb: Grundsätzlich sieht man bei der IG keine wirkliche Alternative zu offenen Konkurrenzen. Es wird jedoch stark dafür plädiert, in Zukunft auch die Grundlagen- und Vorbereitungsarbeit als Teil ordentlich honorierter ArchitektInnentätigkeit zu betrachten. So könnte man erreichen, dass Problemstellungen schon im vorhinein unkonventionell beleuchtet werden und WettbewerbsteilnehmerInnen nicht zu reinen Erfüllungsgehilfen amtlicher Regulierungen degradiert werden. Als »Netzwerk« baut man auch auf der internen Solidarität auf und versucht, die vorhandenen Wissensressourcen der Mitglieder zugänglich und nutzbar zu machen. Das nächste große Projekt der IG Architektur wird die Schaffung einer Datenbank sein. Auch die Ergebnisse der Recherchen der Arbeitsgruppen sollen in Form von Positionspapieren nicht nur die Haltung der IG zu unterschiedlichen Fragen nach außen transportieren, sondern jedem einzelnen Mitglied Zugang zu wichtigen Informationen verschaffen. Schließlich definiert sich die IG Architektur als »Impulsplattform« für Diskussionen und Statements zu »aktuellen sozialen, gestalterischen, städtebaulichen und künstlerischen Fragen der Zeit«. Die IG will sich nicht nur mit den unmittelbaren Problemen der Profession beschäftigen, sondern auch zu Fragen unserer Gesellschaft Stellung nehmen; nicht nur auf Gegebenheiten reagieren, sondern von sich aus aktiv werden. Sehr stark drängt man auf eine Erweiterung des (zumindest in Österreich) sehr müden und auf technische und ästhetische Fragen reduzierten architektonischen Diskurses. Vor allem soziale und gesellschaftspolitische Implikationen der gebauten Umwelt gelangen in den Blickpunkt des Interesses. Ein Beispiel für ein diesbezügliches Thema, so Doris Burtscher, stellvertretende Sprecherin, sei die in den letzten Wochen entstandene Diskussion über private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum: Hier wird das Konzept der Öffentlichkeit in Frage gestellt. Die Ausweitung des »Shopping-Mall-Syndroms« widerspricht der Idee der Straße als uneingeschränkt zugänglichem Raum. Dabei drängt sich natürlich die Frage nach der Stimme der IG auf: denn für die »aktuelle Präsenz in den Medien« bedarf es schneller Entscheidungen, die den basisdemokratischen Ansatz und die - trotz gemeinsamer Anliegen - heterogene Zusammensetzung der IG in Frage stellen könnten. Die IG scheint pragmatisch genug zu sein, eine (medial) notwendige Zuspitzung auf eine Person (der/die Sprecherin) zuzulassen, die auch mit einem Vertrauensvorschuss ausgestattet ist. Die Berichte der einzelnen Arbeitsgruppen und Diskussionen im Plenum sollen das inhaltliche Fundament bilden, auf dem ein schnelles Statement aufbauen kann. Überdies, so Maja Lorbek, Gründungsmitglied der IG, sieht sich die »Internet-Generation« durchaus in der Lage, strittige Fragen sehr schnell abzuklären. Das Netzwerk der IG habe schließlich auch beim »Festspielhaus-Protest« anlässlich des Gründungsfestes, der innerhalb weniger Stunden akkordiert wurde, gut funktioniert. Die Zukunft wird zeigen, ob es der IG gelingt, sich als »Player« der veröffentlichten Meinung zu positionieren, ob sie auch selbst öffentliche Diskussionen lostreten können wird.

Veränderung des Berufsbildes

Doch auch ihre Mitglieder selbst will die IG zum Thema machen: Schließlich steht über allen Anliegen das Postulat einer Veränderung des Berufsbildes - nach innen und nach außen. Hier versucht die IG einen schwierigen Spagat: Einerseits will man das Bild, welches die Öffentlichkeit hat, korrigieren, indem man Architektur »bodenständiger«, alltäglicher macht, von »Dienstleistung«, Effizienz und Qualitätssteigerung spricht; andererseits wird ein erweitertes Berufsfeld propagiert, das die Beschäftigung mit Soziologie genauso umfasst wie (gesellschafts-)politisches Denken und Handeln. Das Anliegen einer Erweiterung der Tätigkeitsfelder der Architektur soll jedoch nicht die Verdrängung anderer Disziplinen bedeuten. Vielmehr betonen die Mitglieder der IG ihren Willen zu verstärkter interdisziplinärer Team-Arbeit, die die Architektin/den Architekten als Themen-Koordinator sieht. Leicht vorstellbar, dass diese klaren Positionen Widerspruch hervorrufen werden. Nicht zuletzt auch durch die Auslassungen, etwa dem Stellenwert und der Definition von Kunst in der Architektur oder der Rolle von Ökologie und Technologie. Hier werden im Manifest der IG nur Fährten ausgelegt, die wohl auch intern noch öfter aufgenommen werden müssen. Schließlich ist es bei solch breitgefächerten Anliegen schwer nachvollziehbar, auf welche Weise »die Sensibilisierung der Gesellschaft für Planungskultur« funktionieren und »die soziale und kulturelle Relevanz des architektonischen und städtebaulichen Schaffens« bewusst gemacht werden soll. Die IG Architektur hat ein spannendes, ereignisreiches Jahr hinter sich; ein Jahr, in dem endlich eine Gemeinschaft für die vielen »heimatlosen« Architekturschaffenden gegründet wurde; ein Jahr, in dem Organisationsstrukturen gefunden und erste Arbeitsgruppen eingesetzt wurden; ein Jahr, in dem ein Manifest verfasst wurde, das die IG Architektur inhaltlich identifiziert. Das offizielle Hinaustreten ins Licht der Öffentlichkeit war sozusagen ein fliegender Start, die Arbeit geht unermüdlich weiter. Die IG hat einen Platz in den Medien gefunden. InteressentInnen aus den Bundesländern werfen Fragen zur Erweiterbarkeit der IG und zur Praxis der basisdemokratischen Struktur auf. Das Ergebnis der Architektenkammer-Wahl Anfang Juni wird möglicherweise Veränderungen in der Kammerpolitik nach sich ziehen. Und man darf schon gespannt sein, wo die IG Architektur in Zukunft ihre orangen Liegestühle aufstellt, um ein Thema aktionistisch zu »besetzen«.

Informationen: www.ig-architektur.at

Grundlage dieses Beitrages waren Gespräche mit den IG-Mitgliedern Doris Burtscher, Mona El Khafif, Maja Lorbek und Thomas Emmer, für deren Geduld und Enthusiasmus ich mich bedanke.

Fußnoten


  1. Beim Wettbewerb für die Neugestaltung des kleinen Festspielhauses Salzburg wurde der Juryentscheid (9:0 für das Projekt Hermann & Valentiny und Wimmer Zaic) vom zweitplatzierten Wilhelm Holzbauer wegen angeblicher Kostenüberschreitung juristisch beeinsprucht. Nach einer externen Kostenprüfung wurde schließlich die Auftragsvergabe an das Siegerteam aufgehoben. Einstweilen hat das Festspielkuratorium die oben genannten Architekten gebeten, eine mögliche Zusammenarbeit zu prüfen. Für Mitte Juli wird eine Entscheidung über die Beauftragung kolportiert. ↩︎


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