Susanne Karr


Unter dem Titel Beste aller Frauen werden im Jüdischen Museum Wien Porträts jüdischer Frauen gezeigt, deren Pioniergeist und Emanzipationswille gesellschaftliche Veränderungen wesentlich beeinflussten und vorantrieben. In loser Abfolge werden Persönlichkeiten aus den Bereichen Gesellschaft, Bildung und Religion anhand von Fotografien, Texten, Textilien, Salonsilber, Plakaten und Gemälden ins Licht gerückt. „Weibliche Dimensionen im Judentum“ wollen die Kuratorinnen Gabriele Kohlbauer-Fritz und Wiebke Krohn zeigen, den oft vergessenen, um nicht zu sagen verdrängten Anteil der Frauen im Judentum geltend machen. Durch einen Perspektivenwechsel zugunsten der Prämisse, dass ein weiblicher beziehungsweise männlicher Blick unterschiedliche Geschichtsauffassungen erzeugt und unterschiedliche Geschichten erzählt, soll hier ein „feminist turn“ stattfinden.

In ihrer Ausstellungsarchitektur positionieren die Architektinnen Nicole David und Natalie Neubauer die Religion als Basis und Ausgangspunkt im Zentrum, aus dem heraus Frauen soziale, wirtschaftliche und psychologische Eigenräume entwickelt haben. Von den sechs verbundenen Räumen abgesetzt findet sich ein siebenter, eigens der ersten und furchtbarsten aller Frauen, Lilith, gewidmet.Jeder Raum wird mit einem Textzitat kommentiert und als roter Faden durch die Ausstellung das immer wiederkehrende Thema der Textilität gewählt.„1942 packte mutter den kleinen fluchtkoffer (...) wir werden nicht mehr so viel brauchen (...)“: einem spukhaften Reigen gleich drehen sich die leeren Gewänder im „Kleiderflug“ über Augenhöhe der BesucherInnen. Elfriede Gerstls Installation präsentiert verlorene, zurückgelassene Kleider: Sie passten nicht in den kleinen Koffer, mit dem sie und ihre Mutter im Wien der Vierzigerjahre von einem Versteck ins nächste flohen. Der Unmut über den erzwungenen Verzicht auf Modisches, Auffallendes scheint wie eine Umhüllung der darunterliegenden Empfindungen zu sein, wie ein Gewand verdeckend und betonend zugleich.

In den folgenden Räumen werden Textilien für den sakralen Bereich gezeigt, deren Anfertigung von jeher Frauensache war. Es gab eigene Frauenräume in den Synagogen, und sogar lehrende Frauen, aber der Weg bis zur Ernennung der ersten Rabbinerin Regina Jonas, 1935 in Berlin, war ein langer. In ihrer leider nur in Auszügen ausgestellten Diplomarbeit mit dem Titel Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden? kommt sie zu dem Schluss, dass „außer Vorurteil und Ungewohntheit fast nichts“ dagegenspräche. Der elegant provokante Ton der Texte macht Lust darauf, mehr davon zu lesen, ebenso wie in den Briefen, verfasst in der feinen selbstironischen Sprache der Salon- und Kaffeehausliteratur. Klassische Rollen der jüdischen Frau, die es ermöglichten, aus der rein privaten Sphäre der Familie herauszutreten, waren jene der Wohltäterin und der Mäzenin. Der Selbstverwirklichung weiblicher Lebensentwürfe gegenüber zeigt sich die jüdische Kultur wesentlich offener zugewandt als vergleichsweise das christliche Modell. Selbstbewusst gestalteten und modernisierten jüdische Ärztinnen, Sozialarbeiterinnen und Schriftstellerinnen Gesellschaft. Bildung und Ausbildung, auch für Mädchen, forderten sie. Mit der Gründung der ersten staatlichen K.K. Fachschule für Kunststickerei in Wien 1873, später in anderen Städten des Reiches, bereitete etwa die Journalistin Emilie Bach die Grundlage für selbstständige Erwerbsarbeit von Frauen.

Die Zusammenhänge zwischen Bildung, wirtschaftlicher Abhängigkeit und Ausbeutung untersuchte Bertha Pappenheim, deren Persönlichkeitsprofil weitaus mehr umfasste als die „hysterische“ Phase, deren Erkundung Breuer und Freud zur Grundlage ihrer Theorien machten. Sie selbst hatte an der Entwicklung der „Redekur“, wie sie die Anfänge der Psychoanalyse weniger hochtrabend nannte, wesentlichen Anteil und überwand ihre Neurosen schließlich aus eigenem Antrieb. Das jüngste Ausstellungsstück bezieht sich auf den sensationslüsternen Blick auf die Geschichte der „Anna O.“: auf einer Geburtstagstorte für Freud wird mit kleinen Figürchen die Hypnose-Induktion Breuers dargestellt – übrigens die Hauptmethode der Behandlung. Heute ist Pappenheims Hysterie-Geschichte bekannter als ihre Verdienste als Sozialarbeiterin und Feministin. Nach ihrer Genesung zog sie nach Frankfurt und leitete ab 1895 ein Waisenhaus. Sie beschäftigte sich mit Frauen-Schicksalen und gründete 1907 im Zuge dessen ein Heim für „gefallene Mädchen“. Sie enthüllte das Tabuthema Mädchenhandel und Prostitution auf ihren Vortragsreisen und appellierte an die Freier, sich ihrer Verantwortung zu stellen. Erschreckend, aber ihre Analysen haben nichts an ihrer Aktualität verloren. Ihr Mut und ihr Engagement machen sie zur echten Pionierin.

Auch Marie Pappenheim-Frischaufs Biographie zeichnet sich durch Vielseitigkeit aus. Sie studierte Medizin. Sie schrieb Gedichte, die in der Fackel veröffentlicht wurden. Arnold Schönberg bat sie daraufhin um ein Libretto, das er auch erhielt. Trotz dieser Erfolge legte sie das Hauptaugenmerk auf ihre medizinische Tätigkeit. Ärztin und zeitlebens politisch aktiv, gründete sie mit Wilhelm Reich 1928 die Sozialistische Gesellschaft für Sexualberatung und Sexualforschung. Im November wird es eine Ausstellung zu Wilhelm Reich im Jüdischen Museum geben, in der ein ausführliches Porträt seiner Kollegin nicht wird fehlen dürfen.

Unverhohlen in der Konnotation präsentiert sich auch Lilith: Der Mythos erzählt von ihr als der ersten Frau Adams, die nicht willens war, sich sexuell unterzuordnen und ihn verließ. Nicht einmal drei von Gott gesandte Engel konnten sie zur Rückkehr überreden, woraufhin sie zur kindermordenden Dämonin degradiert wurde. Sie fiel in Ungnade mangels ihrer Bereitschaft sich zu unterwerfen. Was bedeutet die Ächtung einer selbstbestimmten weiblichen Sexualität für eine Gesellschaft? Aufschlussreich auch, dass die Verführbarkeit der gefügigeren Nachfolgerin Eva auf alle Zeit hin den Geburtsschmerz als Strafe nach sich zieht. In dieser Ordnung der Dinge hat die weibliche Schöpferinnenkraft entweder als destruktiv – wie nach der Dämonisierung der Lilith – oder als schmerzhaft – wie nach der Bestrafung Evas – zu gelten. Gegen das Wüten der Lilith wurden Kimpetbrivl, kunstvolle Amulette für Wöchnerinnen und neugeborene Kinder, angefertigt. Naturgemäß gilt Lilith unter Feministinnen als Galionsfigur und wurde zur Namensgeberin eines jüdisch-feministischen Magazins, das seit 1976 in Amerika publiziert wird. Grafisch ansprechend, unterhaltsam und mit viel Hintergrundwissen ausgestattet, empfiehlt sich der Ausstellungskatalog zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema.

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Ausstellung
Beste aller Frauen –
Weibliche Dimensionen im Judentum
Jüdisches Museum Wien
Palais Eskeles, Dorotheergasse, 1010 Wien
16. Mai bis 18. November 2007


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