Linz 09 Public Art
Irgendwo zwischen dem redensartlichen In Linz beginnt‘s und dem hoffnungsvollen Motto Linz verändert findet in genannter Stadt 2009 die Realität eines Kulturhauptstadtjahres statt – bzw., wie sinnigerweise gern geschrieben wird: „Stadt“. Einiges lief dabei erwartungsgemäß ab – so erhielt etwa der aus Zürich zugezogene Intendant neben einigem Lob auch genug Schelte: Fanden doch manche, er habe zu viel internationalen Kunstjetset eingeflogen, es gebe zu wenig aus der örtlichen Kunstszene zu sehen … Abgesehen von derlei Haarspaltereien steht jedoch außer Frage, dass das Potenzial einer solchen Großveranstaltung in der Bedachtnahme auf die Grundsubstanz Stadt besteht, in die sich Kultur einschreibt bzw. aus der sie sich generiert. Natürlich weiß man darüber hinaus um den zugrunde liegenden Mechanismus und versteht, dass das Anliegen dieses seit 1985 bestehenden Kulturprogramms der Europäischen Union eng mit Urbanmarketingstrategien zusammenhängt und über Umwegrentabilität die Wirtschaft vor Ort kräftigt, Arbeitsplätze schafft, für touristischen Mehrwert sorgt. Obendrein entspricht das Konzept einer Initiative, die sich als Schirm über eine Vielzahl von Kulturveranstaltungen präsentiert, einem Postulat der erlebnisgierigen Event-Gesellschaft: Das Begehren nach Entertainment und Kurzweil wird bedient, wie man sich auch beflissen der Notwendigkeit annimmt, das Kreativpotenzial der eigenen Stadtgesellschaft erhaben über jeden Zweifel darzustellen. Schließlich stellt ein vollmundiger Titel wie Kulturhauptstadt des Jahres mehr oder weniger unverhohlen irgendwelche Kronjuwelen in Aussicht. „[T]he label of being a creative city provides competing post-industrial cities with a second chance to reboot and reload their profiles to make them more attractive.“[1] Die Angelegenheit kann natürlich auch nach hinten losgehen: Vilnius zum Beispiel, die baltische Ko-Regentin der ober österreichischen Regionalkapitale, hat durch eine radikale Budgetkürzung und nicht ganz transparente Personalrochaden einen nicht eben glanzvollen Auftritt hingelegt. Ja, VertreterInnen aus anderen Städten sahen sich gar gezwungen, gegen den zu befürchtenden Schaden am Kulturhauptstadtprogramm in Bausch und Bogen zu protestieren. Bei aller Unerfreulichkeit, die solche organisatorisch-budgetären Patzer bedeuten, könnte doch der in Vilnius wehende Sturm im Wasserglas die Frage aufwerfen, wieviel Zukunft das Kulturhauptstadtprogramm eigentlich hat bzw. was genau an nachhaltigem Nutzen es den einzelnen Standorten bringt. Ein Großereignis wie viele andere, die in Schall und Rauch aufgehen – oder Anlass für Veränderung und Dynamisierung?
Will man die Angelegenheit aus der Perspek tive der StadtnutzerInnen wahrnehmen – und zwar gerade derjenigen, die nicht einem a priori kulturhungrigen und verni ssage verses senen Teil der Bevölkerung angehöre n –, so besteht eine besondere Chance des Kulturhauptstadtjahres in der Option einer über das gewohnte Maß hinausgehenden, zufälligen Auseinandersetzung mit niederschwellig angelegter/dargebotener Kunst: im öffentlichen Raum. Fraglos ist es eine schöne Geschichte, wenn mehr Wechselausstellungen als sonst durch die örtlichen Kulturinstitutionen touren, wenn internationale Stars geladen werden und KuratorInnen im White Cube zu Höchstform auflaufen. Doch lässt sich an der Reichhaltigkeit des Angebotes an Kunst im öffentlichen Raum (KöR) und hier zuvorderst temporär angelegten, nicht primär „dekorativen“ Projekten das kulturhauptstädtische Engagement ablesen, Kunst wirklich und im eigentlichen Sinne unter die Leute zu bringen.
In diesem Rahmen hat sich nun Linz09 auf einige bemerkenswerte Projekte eingelassen, die im öffentlichen Raum Akzente für Kommunikation, Reflektiertheit und Dynamisierung setzen. Man muss gar nicht vergleichenderweise anderswohin schielen, um dies zu bemerken. Tut man es doch, so fällt zum Beispiel auf, dass nach drei Quartalen absolvierten Kapitalendaseins der Output des in Vilnius ambitioniert angekündigten Public Spaces Humanisation Programme offenbar erst vier Drop Sculptures sind, die sich da und dort verschönernd in die Stadt eingenistet haben. Aus Graz 2003 ist derweil das Projekt der Stadtmöblierung durch Josef Trattner in Erinnerung geblieben, weil es einen Fall von Kunst im öffentlichen Raum darstellt, die so gut (im Sinne der vom Künstler erwarteten und erhofften Mitgestaltung durch die GrazerInnen) funktionierte, dass sie den nach Stadtraumschönheit strebenden Verantwortlichen bald ein Dorn im Auge war und entfernt wurde. Einen Wehmutstropfen gibt es freilich auch in Linz: So musste man Anfang April nach dem Rückzieher eines wichtigen Sponsors das KöR-Projekt Der Heilige Berg absagen, das Positionen von etwa 20 KünstlerInnen am Pöstlingberg versammelt und sich so anzunehmenderweise als ein recht imposanter Kunstparcours ausgemacht hätte. Und doch – mit den drei in der Folge näher zu besprechenden Projekten In Situ, Kulturhauptstadtteil des Monats und Der Kranke Hase bleiben Linz09 geradezu mustergültige Fälle von unprätentiöser und temporärer Kunst im öffentlichen Raum erhalten. Dass sie ganz ohne augenfällige Großkunstwerke auskommen, ist ein aufschlussreicher Nebenaspekt im Kontext einer Reflexion über zeitgemäße Strategien für die Anbringung von Kunst in dem Raum, der allen gehört.
In Situ
Die Absicht, Linz09 mit bewusster Bezugnahme auf die Geschichte dieser „Jugendstadt Hitlers“ und der späteren „Führerhauptstadt“ anzulegen, wurde von mit aller Klarheit bekundet und fand deutlichen Niederschlag in der Programmgestaltung. Eine Ausstellung über Die Kulturhauptstadt des Führers brachte – wie üblich und zu erwarten – einige Gemüter auf und erwies sich doch als Kassenschlager. In Ergänzung dazu und getreu einer Devise der unmittelbaren Konfrontation mit vielleicht unliebsamen und gern verdrängten Informationen wendet sich während des Kulturhauptstadtjahres – nämlich eben auch an Nicht-MuseumsgängerInnen und um einiges verstörender, da außerhalb des (tröstlich?) verborgenen musealen Innenraums angesiedelt – das Projekt In Situ an 65 Stellen mit auffälligen Schablonengraffiti an die PassantInnen. Die Einprägsamkeit dieser schnörkellosen Textpassagen in streng reduzierter Aufmachung (monochrom auf Asphalt) beruht nicht zuletzt auf dem zitathaften Einsetzen einer „parasitären“ Form von unerlaubter Street Art. Die Graffiti verleiten zum Hinschauen und sind so mancher/m Passantin/en wahrscheinlich diesseits der Auseinandersetzung mit ihrem Inhalt ein Dorn im ästhetisierenden Auge. An Stadtbehübschung ist In Situ nicht gelegen, sondern vielmehr am Reaktivieren von Gedächtnis durch die schwer zu übersehende Auszeichnung einer Vielzahl von Orten, die eine direkte Verbindung mit der NS-Vergangenheit im Stadtleben darstellen. Sie rekurrieren zum Teil auf die Ebene bedrückender Alltagsgeschehnisse, die eine Atmosphäre allgegenwärtiger Feindseligkeit und menschenverachtenden Aufgehetztseins widerspiegeln. „1941, Altstadt 3: Die elfjährige Pauline H. meldet ihre Nachbarn wegen Abhören eines Feindsenders. Ein Opfer der Denunziation, Josefa F., wird zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt.“, informiert eines der Graffiti in lapidarer Kürze über einen Zwischenfall, der wie aus einem Lehrbuch zur Banalität des Bösen gegriffen scheint.
Gemeinsam mit der bereits erwähnten Ausstellung Kulturhauptstadt des Führers und der weithin sichtbaren Intervention Hito Steyerls auf der Fassade eines der beiden Brückenkopfbauten am Ende des Hauptplatzes (gemeinsam mit der Nibelungenbrücke Prestigeprojekte in der Errichtung einer „Führerstadt“ nach Hitlers Geschmack) trägt In Situ unter der Autorinnenschaft von Dagmar Höss, Monika Sommer und Heidemarie Uhl zu einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit der unrühmlichen Vergangenheit von Linz bei. Und zwar einer, die nolens volens erfolgt und darum umso stärkere, durchaus gespaltene Reaktionen hervorruft. In Anbetracht der Vielzahl von Projekten zum Thema der NS-Vergangenheit seien bald Klagen über eine verabreichte „Überdosis Geschichte“ zu hören gewesen, schreibt der Historiker und Linz09-Mitarbeiter Niko Wahl und berichtet von Reaktionen auf die Arbeit von Hito Steyerl: „Zahlreiche wenig begeisterte Reaktionen der Passanten begleiteten sie bei der Realisierung. Tatsäch lich ausgesprochener Grundtenor: ‚Die Juden nerven eh schon!‘ Damit sind natürlich weniger Juden gemeint als vielmehr ein Überdruss an der Begegnung mit der Grausamkeit der Geschichte.“ Linz09 bezieht eindeutig Position zur leidigen Frage, wann man die Vergangenheit ruhen würde lassen und ob nicht genug der Buße getan sei. Aus der Anbindung der Gegenwart/Gegenwärtigkeit von einfach zugänglichen Orten an ihren historischen Gehalt und die Explizierung dieser Orte als Schauplätze von in Alltagsbanalität gründenden Grausam keiten bezieht das Projekt In Situ seine heraus ragende Eindrücklichkeit. Wie auch, nicht zuletzt, aus dem Umstand, dass es sich als „Störenfried“ getreu Prinzipien der Kommunikationsguerilla im öffentlichen Raum ansiedelt und die reduzierte Aufmachung von relativ zurückhaltend angebrachten Gedenktafeln bewusst überwindet.
Kulturhauptstadtteil des Monats
Ebenfalls im Zeichen der Kommunikation, und zwar durchaus auf der Ebene des intersubjektiven Dialoges, sowie getreu dem Ansinnen einer Aktivierung einzelner Stadtteile und der Vernetzung der BewohnerInnen funktioniert das ambitionierte, linzumfassende Projekt Kulturhauptstadtteil des Monats. Reihum werden hier ganze Viertel eingeladen, Programm zu erarbeiten und zu gestalten. Monat für Monat (von Jänner bis Oktober) steht, einem Rotationsprinzip folgend, ein anderer Stadtteil im Mittelpunkt des Geschehens. Und zwar eines Geschehens, das von den willigen City Users als wichtigsten AkteurInnen selbst erarbeitet wurde. Die Projektverantwortliche Tamara Schwarzmayr, promovierte Kulturwissenschafterin und selbst mit einschlägiger Erfahrung als KöR-Engagierte ausgestattet, resümiert die Vorbereitungsarbeiten wie folgt: „Wir nahmen für den Programmpunkt ‚Kulturhauptstadtteil des Monats‘ eine eigene Einteilung verschiedener Stadtteile bzw. von ‚gelebten Kulturensembles‘ vor, weil es in Linz nicht wirklich Stadtbezirke wie zum Beispiel in Wien gibt. Dabei und bei allen folgenden Schritten war es uns wichtig, so eng wie möglich mit den StadtteilbewohnerInnen zusammenzuarbeiten.“
Die aufmerksame Auseinandersetzung mit unumstößlichen Gegebenheiten und die Entwicklung eines Kunstkonzepts, ausgehend von urbanen Realitäten, stellen gewichtige Faktoren für das Gelingen dieses Kulturstadtturnus dar. Die Stadt als großes Ganzes in steter Entwicklung zu erfassen und zugleich dazu beizutragen, dass über die Grenzen einzelner Stadtteile hinaus Neugier für anderswo ablaufende Prozesse und Vorkommnisse erweckt wird, sind maßgebliche Ausgangspunkte. In diesem Sinne könnte – was natürlich das Idealszenario für ein Kulturhauptstadtjahr ist – Linz09 langfristig weiterwirken und für den Beginn eines möglichen Zusammenrückens der Stadtviertel zu neuer Kompaktheit stehen. „Wichtig war uns, mit den Kulturhauptstadtteilen eine stadtumfassende Dynamik zu erzeugen und den Dialog zwischen den AnrainerInnen anzuregen. Durch das großflächige Abdecken der Stadt hoffen wir auf einen nachhaltigen Effekt des Programms auch für die LinzerInnen selbst“, so Schwarzmayr.
Die Ausrichtung der einzelnen Veranstaltungen variiert je nach InitiatorInnen und Interesse stark – allen gemein ist aber offensichtlich das Bemühen um eine Dynamisierung und Aktivierung von (kreativ-künstlerischen Seiten im) Stadtleben. Dadurch bieten sich für die/den Einzelne/n Gelegenheiten, aus dem routinemäßigen Trott auszubrechen und – in „unspektakulärer“, also nicht auf medienwirksame Effekte abzielender Weise – Neues zu erleben. Ausstellungsprojekte im öffentlichen Raum sind ebenso Teil des Kulturhauptstadtteil-Curriculums wie Gemeinschaftsaktivitäten, Konzerte und Interventionen mit Titeln, die neugierig stimmen: Was genau ein „Seepferdchen an der Donau“ macht und welches Programm sich daraus entwickeln kann (Beitrag für August von Urfahr-Zentrum Pöstlingberg: Wie kommt ein Seepferdchen an die Donau?); was passiert, wenn ein Stadtteil „bunt wäscht“ (die Neue Heimat lud im Juli zur Waschkultur ein); oder was man sich unter einer „Wanderbank“ samt dazu gehörigem „Banküber fall“ vorzustellen hat (herauszufinden in Ebelsberg im Oktober) – in den reihum zu Protagonisten werdenden Stadtteilen lässt es sich noch bis in den Herbst hinein herausfinden.
Auch für eine fließende Weitergabe des ehren werten Hauptstadtteil-Titels ist im Rahmen des Projektes gesorgt, denn der sogenannte KunstPalast – ein umgebauter Wohnwagen – ist einmal im Monat zur Stelle, wenn die hochoffizielle Übergabe zeremonie in Szene gesetzt werden will. Über diese Funktion hinaus dient der Kunst Palast als mobiler Ausstellungs- und Veranstaltungsraum mit partizipativem Charakter, der allen wagemutigen (Hobby)Kulturschaffenden für die Ausrichtung von Veranstaltungen, Konzerten etc. zur Verfügung steht. Inmitten all der Mobilität und Wandelbarkeit, die die ehrgeizigen Kulturhauptstadtteile versprühen, hat man sich für die Schaffung eines (temporären) archimedischen Punktes entschieden, an dem die stadtanimierenden Hebel ansetzen.
Während der Sommermonate fungierte Bellevue. Das gelbe Haus *im Landschafts *park auf der Murtalautobahnüberbrückung als offene Projektzentrale, wo Menschen zusammenkamen, um miteinander zu kochen, fernzusehen, an Talkshows teilzunehmen, Workshops zu besuchen – und anderes mehr. Ein miniatürliches Residency-Programm sorgte obendrein für Anbindung an die Kunstavantgarde. „Bellevue wird den Menschen gerade deshalb in Erinnerung bleiben, weil es temporär ist“, gibt sich Tamara Schwarzmayr von der Bedeutung temporärer Strukturen überzeugt. „Der Sommer 2009 wird im Nachhinein auch der sein, als sich die Leute im gelben Haus getroffen haben, um an Veranstaltungen teilzunehmen, sich mit anderen LinzerInnen oder Auswärtigen zu unterhalten oder einfach nur, um sich dort aufzuhalten oder etwas zu essen.“ Dass Monumentsein und temporärer Charakter einander nicht nur nicht ausschließen, sondern in äußerst fruchtbarer Verbindung stehen können, führt schließlich auch die wohlwollende Erinnerung an add on am Wiener Wallensteinplatz vor Augen, 2006 verantwortet von den Bellevue-RealisatorInnen Peter Fattinger, Veronika Orso und Michael Rieper. Hier wie dort generiert das Befristet sein einer bestimmten Erlebnismöglichkeit umso begeisterteren Zuspruch. Bellevue und die Kulturhauptstadtteile ergeben in perfekter Komplementarität ein geradezu mustergültiges Beispiel für unprätentiöse und couragierte Initiativen künstlerisch-kreativer Natur im öffentlichen Raum ab.
Dagmar HössDer kranke Hase
Wer (wie der Verfasser dieser Zeilen) mit Linzer Selbstverständlichkeiten nicht auf du und du ist, dem sei vorab Folgendes näher gebracht: Eine gar entzückende Sehenswürdigkeit der Stadt ist die sogenannte Grottenbahn, in die man (vorzugsweise) Kinder zum Zwecke erbaulichen Nachmittags amüsements verfrachtet. Geisterbahnähnlich tuckern sie dort an allerlei Zwerglein in drolligen Situationen vorbei. Protagonist einer dieser Szenen ist ein kranker Hase, der von besagten Zwergen gesund gepflegt wird. Wer mit dem Grottenparcours vertraut ist und während des Kulturhauptstadtjahres mit der Bahn fährt, erlebt eine Überraschung. Der kranke Hase ist ausgebüchst und hat als Stellvertreterin seine rosa Schweste r zurückgelassen. Bis zum Schließen der Grotten bahn Ende Oktober macht er nun den öffentlichen Raum unsicher und hinterlässt Spuren, die stets dieselbe Frage aufwerfen: Wieviel Verrücktheit verträgt Provinz? „Der kranke Hase ist ein Sympathieträger, den viele LinzerInnen kennen. Wir haben diese reale Märchenfigur transformiert und daraus eine Fantasiefigur gemacht, die zwar eine zeichnerische und illustrative Umsetzung findet, aber nicht als Maskottchen durch die Stadt geht. Die Figur wird genährt von den teilnehmenden KünstlerInnen und den Reaktionen der Menschen. Das war auch das Spannende für uns, nämlich zu sehen, wie sich ein Gesamtprojekt mit verschiedenen Ebenen inklusive Kunstinitiativen und Kommunikationsangeboten anlegen lässt“, berichtet Beate Reithmayr über den Hintergrund des Projekts Der kranke Hase. Verrückt nach Linz, das sie gemeinsam mit Su sanne Blaimschein für den Kunstraum Goethestraße koordiniert.
Um die Figur rechtzeitig im Bewusstsein der LinzerInnen zu verankern bzw. Neugier zu wecken, wurde bereits Ende 2008 mit Stickern das Projekt „angeteasert“. Seit Anfang 2009 und unausgesetzt stehen außerdem Graffitischablonen mit Hasenlogo und -slogans zur Verfügung, die besonders von Jugendlichen gerne genutzt werden. Auch hier erweisen sich also Methoden der Kommunikationsguerilla als effizient im Sinne des Kunstraums Goethestraße. Immerhin sammelt man dort Erfahrungen mit Kunst und Interventionen im öffentlichen Raum schon seit 2007, als man das Programm City of Respect in Angriff nahm (in das sich auch Der kranke Hase einschreibt). Als eine der ersten Eingeladenen präsentierte dort die Britin Lottie Child ihre Praxis des Street Training im Sinne einer (spontanen) Mobilisierung von Subjekten im öffentlichen Raum – eine Praxis, die auch Spuren in der für Linz09 konzipierten Veranstaltungsreihe hinterlässt. So stehen etwa 100 Hasenköpfe allen Interessierten zur Verfügung, die sich maskiert in den öffentlichen Raum begeben möchten, um dort Selbstverständlichkeiten zu ver-rücken und für ein wenig Befremden zu sorgen. Das Ganze gibt es auch in „gelenkter“ Version, etwa wenn Thomas Pohl während der Klangwolke in einer konzertierten Intervention auf der Straße mit freiwilligen TeilnehmerInnen als Die Störenden auftrat. Als Expositur des Kunstraums (und Hasenmaskenverteilstelle) dient während der Projektmonate ein Baumhaus im Volksgarten, verantwortet von den jungen Architekten Gunar Wilhelm und Tobias Hagleitner. Rund um diese temporäre Struktur, die als Veranstaltungszentrum und Treffpunkt für viele Aktionen im Umfeld von Der kranke Hase dient, entspinnt sich reges (und verrücktes) Stadtleben. „Das Projekt ist aus dem Bedürfnis entstanden, dass wir vom Kunstraum Goethestraße auch soziale Fragen in der Stadt thematisieren wollen, weil wir an der Schnittstelle von Kunst und Psychosozialem arbeiten“, so Susanne Blaimschein.
Silvia BartosZusätzlich zu Interventionen und Workshops, die hier ihren Ausgang nehmen, und Ausstellungen im Kunstraum selbst kommt es während Linz09 auch zu temporären Installationen an anderen Orten der Stadt. Eine der ersten Initiativen war die Anbringung von adaptierten/umgebauten Umkleidekabinen für Kabinen. Modulare Fertigskulpturen für Städte von Anja Vormann und Gunnar Friel an vier verschiedenen Orten. Diese Elemente waren nur sehr subtil als Teil eines Kunstprojektes markiert und sorgten für Staunen und Verunsicherung über möglichen Sinn und Nutzen. Gleich anderen für Der kranke Hase konzipierten Kunstaktionen und Ausstellungen (sprechende Tiere am Pfarrplatz oder eine Geld spuckende Money Fountain in einem Einkaufszentrum, beides von Tea Mäkipää) geht es hier darum, Ordnungssysteme in Frage zu stellen und für ein bisschen Lockerheit im öffentlichen Raum zu sorgen. Letzteres dürfte auch im Sinne des fünf Meter hohen Styroporzwergs von hubraum sein, der ab Mitte September gemeinsam mit dem kranken Hasen den Stadtraum als Vertreter wahren Blow-Up-Heldentums unsicher macht.
Während sich – aus meteorologischen Gründen – das außenraumkompatible Kulturhauptstadtjahr auf sein Ende zubewegt, steht also eines fest: Ein launiger Ausklang ist wagemutigen Linz09erInnen sicher – wenn sie nur den Schritt vor die Haustür wagen.
Ein Hinweis zum Schluss: Sowohl das Baumhaus als auch die Kabinen des kranken Hasen suchen nach dem Ende des Kulturhauptstadtjahres PatInnen, die sie dem öffentlichen Raum erhalten. InteressentInnen sind aufgefordert, sich an office@kunstraum.at zu wenden.
Fußnoten
Hilary Tsui (2008): Art Interventions as Alternative Place-Making. In: dérive – Zeitschrift für Stadtforschung, Heft 33, Oktober 2008 ↩︎
Daniel Kalt lebt als Kulturwissenschaftler, freiberuflicher Journalist und Übersetzer in Paris.