Erik Meinharter


Wie würde eine Weltkarte aussehen, wenn die Anzahl der Internetanschlüsse die Flächenausdehnung der Länder bestimmte?
Eingeladen zur »Big Torino 2002« deren Thema durch Michelangelo Pistoletto mit »Big Social Game« - »let us play together at changing society« vorgegeben war, entwickelte das Team re-p (Maia Gusberti, Nik Thoenen) m.ash (Michael Aschauer) und Sepp Deinhofer eine »webbasierende Simulation mit einem partizipativen Umfeld, bei dem alle User gleichwertigen Einfluss auf das System haben«.

Basis dieses »Spiels« ist ein mathematisches Modell der siebziger Jahre. Dieses aus Regionen mit Ausgangsdaten und globalen Wechselbeziehungen bestehende Modell wurde von Fred Wile und Arnold Rabehl entwickelt. Mit erneuerten Daten aus 2000/2001 gespeist, stellt es die Zusammenhänge der Komponenten Ökonomie, Demografie, Politik und Umwelt her. Einzelne relevante Faktoren wie der Einfluss erneuerbarer Energie, oder z. B. Umweltauswirkungen auf vage Variablen wie Lebensstandard wurden absichtlich nicht eingebunden.
Neben diesem abstrakten Weltmodell werden die realen Namen der Länder und Regionen verwendet, um die Hemmschwelle der Realität zu berücksichtigen, denn welchen Einfluss hat ein realer Name in einem fiktiven System auf meine Entscheidung?
Um das »Spiel« nicht als analytische Weltbetrachtung (wie es zum Beispiel das Spiel Ökolopoly [1] Ende der achtziger Jahre war) misszuverstehen: Der Anspruch der InitiatorInnen ist kein didaktischer! Es gibt keine GewinnerInnen oder VerliererInnen bei diesem Spiel - es wird keine Lösung angestrebt, kein Erklärungsmodell für die globalen Zusammenhänge angeboten. Versuche, das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle auszugleichen, scheitern an realen Ausgangsverhältnissen. Andererseits verfolgt logicaland doch die Utopie, dass alle UserInnen gemeinsam mit abgestimmten Entscheidungen etwas bewegen können.

login und submit

Wer trifft die Entscheidungen in diesem globalen Weltmodell, das sich im Internet frei zugänglich präsentiert? Die investierte Zeit, die notwendigen Ressourcen und das notwendige Wissen schränken die »vernetzten« EntscheidungsträgerInnen ein und bestimmen sie. Die Frage »Wer regiert?« drängt sich auf. Selbst innerhalb des Netzwerkes beginnt diese Einschränkung schon bei der Aufgabe, die Informationen zu diesem Spiel weltweit über das Medium Internet zu verbreiten. Grenzen der Ressourcenverteilung finden sich auch im Netz wieder. Newsgroups sind z. B. im lateinamerikanischen und afrikanischen Raum durch ihre geringe Menge an Servern nur schwer zu finden. Die Verteilung der Information ist bereits gefiltert. Es treffen sich UserInnen, die sehr exklusive Möglichkeiten haben - neben Zugang zur entsprechenden Infrastruktur auch Zeit und Wissen.
Die Karten unter der Rubrik »Stats« verbinden hier die Realität mit der Welt von logicaland. Neben Karten zu Fläche und Bevölkerung stehen solche zur Verteilung von Internetzugängen und Servern sowie die Netzstatistiken zu Logicaland selbst.
Die Unterschiede zwischen dem geografischen Weltbild und der Verteilung der UserInnen auf der Welt sind anhand dieser Karten am augenscheinlichsten.
Daher ist die Frage nach der Entscheidungsmacht - immer ein entscheidender Faktor bei Systemsimulationen - zentral. Diese UserInnen können aber in der Simulation nicht ihr individuelles Weltbild bauen, sondern sind mit Zusammenhängen konfrontiert, welche sie erst über eine lange Zeit erforschen müssen, um sie zu verstehen. Trotz der Simplizität des Beziehungsmodells, welches verwendet wird, um die Verhältnisse zwischen den Regionen zu beschreiben, sind die Auswirkungen der getroffenen Entscheidungen nicht eindeutig nachvollziehbar. Gleichzeitig sind sie die Summe der Eingriffe aller TeilnehmerInnen innerhalb der konzipierten Spielrunde von 24 Stunden (entspricht einem Jahr innerhalb des Modells). JedeR UserIn hat nur die Möglichkeit, einmal pro Runde (eine Runde dauert 24 Stunden) abzustimmen und alle diese Einzelentscheidungen (submits) werden auf ein gemeinsames Mittel zusammengezogen. Einsame Machtphantasien werden nur minimale Verschiebungen der Verhältnisse nach sich ziehen. Beim Einstellen der Einflussfaktoren zeigen sich der derzeitige Zwischenstand und die Auswirkung der eigenen Veränderung. Wie eine »Umfrage vor der Wahl« wirkt diese eingespielte Entscheidung dann auf die weiteren Eingriffe der UserInnen zurück.
Bei fortschreitender Zeit bewegt sich das Modell auf ein Stadium zu, in dem der Bezug zu realen Verhältnissen nicht mehr hergestellt werden kann. Dieser Verlust lässt die Abstraktion solcher mathematischen Modelle offensichtlich werden. Die Inexistenz eines Zieles wird dadurch deutlich ablesbar.
Die Stärke dieses Spiels liegt in den Erkenntnissen, die es bietet: die Notwendigkeit einer Kommunikation unter den UserInnen, um Tendenzen im globalen Zusammenhang auch umzusetzen und oder zu forcieren. Die ablesbare und offensichtliche Exklusivität ihrer Gemeinschaft. Und die nicht ganz neue, aber immer wieder wichtige Erkenntnis vom Mythos der Demokratisierung durch das Netz.
Damit zielen die InitiatorInnen direkt auf die Beziehung des Individuums zu einem System und bringen Informationsvermittlung in eine entsprechende Form. Das System, auf das sich der/die UserIn allerdings bezieht, ist nur auf den ersten Blick das des Spieles; in Anbetracht der Spezialisierung der TeilnehmerInnen bildet sich eine Demaskierung des Informationssystems Internet heraus.
Nun stellt sich noch die Frage, welche Auswertung diesem Beispiel eines ziellosen Spielens folgt. Aus Version 0.1 wird Version 0.2 entwickelt. Und diese ist damit wieder im derzeitigen System der Entwicklungen verankert. Um mit Edwyn Collins zu sprechen: »It doesn't matter if I win or lose, as long as I am free to choose«

www.logicaland.net

Das Projekt [Logicaland v0.1] bekam bei der diejährigen Ars Electronica eine Auszeichnung in der Kategorie: Net vision.

Fußnoten


  1. »Ökolopoly - ein kybernetisches Umweltspiel« ist ein von Frederic Vester (Systemtheoretiker) entwickeltes Spiel, bei dem der/die Spielerin Handlungen innerhalb des politischen Spielraumes in einem Land tätigen kann und dazu angehalten ist, dieses in einer ökologisch verträglichen Weise wirtschaftlich zu entwickeln. Die Erfahrung der Steuerung vernetzter komplexer Systeme ist hier als »Lernziel« durchaus erlebbar; fragwürdig sind solche »Spiele« jedoch insofern, als sie dem/der Spielerin vorspielen, real anwendbare Lösungsansätze zu erfahren und erlernen zu können. Die simplifizierte Welt der Simulation wird auf die realen Verhältnisse umgesetzt. ↩︎


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