
Mensch, Natur, Klimagerechtigkeit
Besprechung der Ausstellung » Imagine Climate Dignity« im Künstlerhaus WienAls die Waldbrände Anfang 2025 auch jene Teile von Los Angeles vernichteten, in denen die Prominenz zuhause war, schauten die Medien intensiv auf das Geschehen. Aus der anonymen Menge jener, deren Häuser den Flammen zum Opfer fielen, wurden einzelne herausgehoben, ihr Verlust benannt, ihr Schicksal geteilt. Dass gerade der Lebensstil superreicher Menschen überproportional Ressourcen verbraucht und ihre Swimming Pools und bewässerten Rasenflächen jene Trockenheit forcieren, die am Ende fatale Auswirkungen auf alle hat, blieb in den Berichten meist unerwähnt.
Wenn eine Kunstausstellung fragt, was wäre, wenn es ›Climate Dignity‹ im Sinne eines breiten Verständnisses von Klimagerechtigkeit gäbe, revidiert sich diese Perspektive jedoch und blickt auf alle die Erde Bewohnenden sowie die individuelle Verantwortung für unseren geteilten Lebensraum. Dann geht es um das Recht, in einer Welt zu leben, in der elementare Lebensgrundlagen durch den menschenverursachten Klimawandel nicht verletzt werden und alle aufgefordert sind, ihr Verhalten entsprechend zu verändern.
Die von Simon Mraz und Barbara Höller kuratierte Ausstellung versammelt Werke, die im Rahmen eines Open Calls für in Österreich lebende und arbeitende Künstler:innen entstanden sind. Gesucht waren Konzepte für Werke zum ambitionierten Thema ›Klima-Würde‹ mit Bezug auf die Destinationen der österreichischen Auslandskultur. Jetzt stehen im Künstlerhaus Arbeiten zur Megametropole Kairo neben solchen über europäische Plastikmüllexporte in die Türkei oder das Sterben der Korallenriffe. Viele der eingeladenen Künstler:innen haben sich lokale Partner:innen gesucht, als Kollektiv recherchiert und eine visuelle Sprache gesucht, die appellativ ist, ohne sich im Aktionistischen zu verlieren.
›Partnership‹ und ›Friendship‹ haben Jelena Micié, mirko nikolié und Pokret Trdava in großen Lettern aus Flussschlamm an die Wand geschrieben und die Begriffe wieder durchgestrichen. Denn wenn es um das serbische Smederevo am Südufer der Donau geht, sind Partnerschaft und Freundschaft nicht mehr als ideologisch aufgeladene Worthülsen. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ein Zentrum der Stahlindustrie, wurde das Werk ursprünglich von der österreichischen Staats-Eisenbahn-Gesellschaft finanziert, später dann selbst verwaltet und 2001 privatisiert. Mittlerweile betreibt es ein chinesischer Stahlgigant als ›strategischer Partner‹, der Teil einer von der serbischen Regierung als ›eiserne Freundschaft‹ bezeichneten Allianz ist. Tatsächlich spiegelt diese vor allem den geopolitischen Wettstreit um Ressourcen zwischen der EU und China. Die Emissionen des Stahlwerks, das für große Teile der lokalen Bevölkerung Arbeitgeber ist, sind enorm: mit Schwermetallen belasteter Feinstaub verpestet die Luft, der giftige Rotschlamm des Eisenerzes landet im nahegelegenen Kanal. Auf dem Areal vor dem Schriftzug haben die Künstler:innen kleine Stücke dieses Eisenerzes rasterförmig ausgelegt: ein konzeptuell anmutendes Feld, das die Umweltzerstörung auf anschauliche Maße herunterskaliert.
Kay Walkoviak, Andreas Wesle und Natalia Domínguez Rangel suchen hingegen Bilder dafür, wie ein Leben aller in Würde aussehen könnte – wie es auch der als Wunschszenario angelegte Ausstellungstitel suggeriert. In der abgeschiedenen Natur im japanischen Yakushima haben sie ein Video gedreht, das menschliche Körper im Raum zeigt, scheinbar in Symbiose mit ihrer Umgebung, dem Wasser, den Wäldern, dem Licht. Minimale, entschleunigte Choreografien, in denen jemand auf Blättern ruht oder ins Wasser taucht, illustrieren die buddhistische Vorstellung eines lebendigen Beziehungsgeflechts, das immer wieder neue Konstellationen des Zusammenlebens evoziert.
Noch halbwegs intakte Landschaftsräume liefern auch für Selbi Jumayeva, Alisa Verbina und Olha Vinichenko Ansätze für ein dringlich gebotenes Umdenken. Sie zeigen die Interdependenz von Vögeln und Menschen anhand des vom Aussterben bedrohten Steppenkiebitz, der in der kasachischen Steppe brütet – dort, wo das aus nomadischen Weidepraktiken resultierende kurze Gras ihm Nistplätze bietet. Die Künstlerinnen verbinden in ihrer Installation Ornithologie, Volkskunst, Video und Performance und stellen tradiertes Wissen neben globale Forschung: gestickte Kartografien der Flugrouten von Vögeln treffen auf GPS Tracker, während im Schwarzweiß eines Videos eine Frau zu traditioneller Musik durch die kasachische Steppe schreitet.
Mehrheitlich steht bei Imagine Climate Dignity jedoch der sichtbare Antagonismus zwischen Mensch und Natur im Zentrum. Wolfgang Lehrner und Mladen Miljanovic etwa untersuchen die dialektische Beziehung zwischen Erhitzung und öffentlichem Raum anhand von Sarajevo. Acht Monitore zeigen Impressionen aus der baumlosen, versiegelten Stadt mit ihren omnipräsenten Klimaanlagen. Die an die Fassaden der Wohnblocks geschraubten Kühlgeräte gehen einher mit einer verödenden Innenstadt, weil der Rückzug in die eigenen vier Wände das Öffentliche erodieren lässt.
Und dann ist da noch die Metaebene. Andreas Duscha interessierte sich für jenen Blumenschmuck, der Klimakonferenzen und politische Treffen dekorativ untermalt. In den Kompositionen aus Blumen, deren Kombination in der Natur so nicht vorkommt, spiegelt sich die artifizielle Inszenierung von Veranstaltungen, deren Abschlusskommuniqué oft schon im Vorfeld feststeht. Der Künstler recherchierte in Pressearchiven, reinszenierte ausgewählte Bouquets und fotografierte diese: stille Zeugen von Debatten, die häufig ohne reale Konsequenzen bleiben. Letzteres berührt auch die Frage, die über den vielen aktuellen Ausstellungen zum Thema schwebt: Was kann die Kunst zum dringlichen Thema Klimagerechtigkeit beitragen, und wie verhält sie selbst sich angesichts eines Weniger, eines Verzichts? Imagine Climate Dignity protestiert, recherchiert, träumt manchmal von einer anderen Welt und schafft es durch diese Vielfalt der Perspektiven, konkrete Handlungsfelder zumindest aufscheinen zu lassen.
Imagine Climate Dignity
Künstlerhaus, 1. März bis 9. Juni 2025
Kurator:innen: Simon Mraz und Barbara Höller
Künstler:innen: Nicoleta Auersperg, Anca Benera & Arnold Estefán, Sabine Bitter, Pavel Brăila, Ahmet Civelek, Luiza Crosman, Natalia Domínguez Rangel, Andreas Duscha, Nicola Fornoni, Nicolas Freytag, Nikolaus Gansterer, Mariella Greil, Christoph Höschele, Nona Inescu, Victor Jaschke, Selbi Jumayeva, Mathias Kessler, Kinga Kiełczyńska, Ada Kobusiewicz, Peter Kozek, Wolfgang Lehrner, Ernst Logar, Alberto Lomas, Huda Lutfi, Do Mayer, Jelena Micić, Radenko Milak, Mladen Miljanović, Werner Moebius, mirko nikolić, Bianca Pedrina, Oliver Ressler, Sylvia Scheidl, Claudia Schioppa, Lucie Strecker, Studio Takamatsu, Leo Trotsenko, Pokret Tvrđava, Alisa Verbina, VestAndPage, Javier Viana, Olha Vinichenko, Kay Walkowiak, Christoph Weber, Helmut Weber, Andreas Wesle
Vanessa Joan Müller ist Kuratorin, Kunsthistorikerin und Autorin.