Musée de point de vue
Aussichtspunkte sind Ansichtssache. Die ausgewiesenen Blicke in die Landschaft oder aus dieser auf die Städte sind Manifestationen von subjektiven Auswahlverfahren. Jean-Daniel Berclaz beschäftigt sich mit seinem fiktiven »Musee du Point de Vue« mit Wahrnehmungen von Landschaft im urbanen und gesellschaftlichen Kontext. Die Projekte des »Museums« sind Erkundungen und Interpretationen von räumlichen Situationen sowie Interaktionen mit diesen und Interventionen im Raum.
Aussichtspunkte sind Ansichtssache. Die ausgewiesenen Blicke in die Landschaft oder aus dieser auf die Städte sind Manifestationen von subjektiven Auswahlverfahren. Jean-Daniel Berclaz beschäftigt sich mit seinem fiktiven »Musee du Point de Vue« mit Wahrnehmungen von Landschaft im urbanen und gesellschaftlichen Kontext. Die Projekte des »Museums« sind Erkundungen und Interpretationen von räumlichen Situationen sowie Interaktionen mit diesen und Interventionen im Raum.
Les vernissages d’un Point de Vue
Den Aussichtspunkt als Hinweis auf eine ferne Kulisse sowie gleichzeitige Inszenierung seiner eigenen Verortung bearbeitet Berclaz mit einer strengen dreigeteilten Vorgehensweise. Ortssuche und Ortsbesichtigung geschehen nach subjektiven Kriterien des Künstlers und basieren auf einer Entscheidung, mehr auf differenzierten vielfältigen und emotionalen Situationen als auf einem touristischen, das heißt vermeintlich objektiven, Auswahlverfahren. Zwei Ausblicke werden schwarzweiß mit einer Panoramakamera fotografiert und bilden als abstrahierter - über die menschliche optische Wahrnehmung hinausgehender - Blick die Grundlage für die Vernissageneinladungen. Aufgrund dieser Einladung versammeln sich an diesen Standpunkten die Gäste um ein Buffet, um ihre Ansichten auszutauschen. Es ist eine »Inszenierung« von Kommunikation im Raum über Sichtweisen auf die Landschaft. Die Vernissage wird auf Film festgehalten und dient in der folgenden Ausstellung in einer Galerie als Import eines tatsächlichen musealen und lebendigen Geschehens in die Räume der KunstbetrachterInnen.
Die Landschaft wird in den Innenraum transportiert, die Lebendigkeit der Vernissage hallt als Echo in den Räumen des realen baulichen Museums. Die BesucherInnen bewegen sich zwischen zwei Leinwänden zwischen den Orten. Sie sind BesucherInnen einer Manifestation, zu der sie nicht geladen waren, und messen den dargestellten Landschaften dadurch eine neue Bedeutung zu.
Diese Vernissagen fanden bereits in Genf, Barcelona, Marseille und Innsbruck (Hafelekar und Innsteg) statt. Es sind Ereignisse des individuellen Zugangs zur Landschaft - zum Ausblick. Was bedeutet Kunst in diesem Zusammenhang? Sie bildet ein individuelles Moment, das an keinem anderen Ort in dieser Form stattfinden kann. Es ist die Konstruktion eines Ausblicks.
Jean-Daniel Berclaz' Musee du Point de Vue hat noch in weiteren Projekten die Zusammenhänge zwischen den Landschaften, urbanen Orten und deren gesellschaftlicher Wahrnehmung bearbeitet.
»Unbekannten Orten« Bedeutung zu geben und damit auf ihre reale Notwendigkeit für die sich an diesen Orten befindlichen Menschen aufzuzeigen, ist mit dem Projekt Rendez-vous ici (1999 - Einladung zu Plak'art) pointiert umgesetzt. Es wurden zwei unterschiedliche Ansichten der Stadt gewählt. Die eine repräsentiert als »kulturelles Erbe« ein historisches Gebäude, die zweite das »Ungewöhnliche«. Die Orte wurden fotografiert und zeigen den betreffenden Ausschnitt aus der Stadt, beschriftet als Einladung zum Rendezvous mit dem lakonischen Wort »- ici-«, Uhrzeit und Datum. Durch die Handschrift fühlt sich der/die Betrachterin zu diesem Treffen persönlich eingeladen. Verteilt wurden diese beschrifteten Fotografien über die Gratiszeitungen der Stadt. Ein zweites Bild von diesen zwei Orten wurde dann zum betreffenden Zeitpunkt vom identen Standpunkt aus aufgenommen.
Die Gegenüberstellung der beiden Aufnahmen, Einladung und Abbildung zur Zeit des Treffpunkts bilden eine Form der Aufmerksamkeitsproduktion. Wer hat diese Einladung auf sich bezogen und diesen »nicht besonderen« Orten damit eine Bedeutung gegeben, sie aufgesucht, weil die Einladung ja vielleicht einen selbst betreffen könnte? Die Mechanismen der Produktion von »wichtigen Orten« und somit Hierarchisierungen von Räumen wird damit erlebbar und weist auf die individuellen Räume hin, in denen sich JedeR selbst bewegt. Gleichzeitig wird damit der Alltag, der permanent in allen anderen Räumen ebenso abläuft wie in denen, wo wir uns selbst bewegen, offensichtlich. Die Stadt, die Landschaft ist - allerdings für JedeN selbst in einer anderen Form der Bedeutung - mehr als nur die von uns wahrgenommene (natur)räumliche Situation.
Das Individuelle, der persönliche Ausschnitt der Welt wird in Poste Nomade Nr.0, der ersten Ausgabe der Zeitung des Musee du Point de Vue, zelebriert. Die Zeitung mit dem Thema Station Mediterranée wurde als gelebtes Experiment - als experimentelle Reise produziert. Drei Hafenstädte (Barcelona, Marseille und Genua) wurden in sechs Tagen von Jean-Daniel Berclaz als »der nomadische Akteur« bereist. Eine automatische Kamera, welche zwischen 7 und 19 Uhr alle drei Minuten ausgelöst wurde, dokumentierte mit 240 Bildern pro Tag die Reise per Bahn, Flugzeug und Auto. Sie bilden die transitorischen Räume ab. Es sind Fotografien einer Bewegung durch die für Reise und Transport von Gütern eigens geschaffenen Infrastrukturen, durch die Orte der architektonischen Manifestation von Ereignissen: Bahnhöfe und Flughäfen. Die Abbilder des persönlichen Bewegungsraumes werden in der Zeitung zur Information der nomadisierenden Gesellschaft. Die erstarrte Bewegung durch den Raum wird zum Dokument des Ausmaßes an Bewegungsinfrastrukturen.
Als logische Fortsetzung bildete in Nr. 2 der Poste Nomade der statische Blick aus Schlafzimmerfenstern eine Sammlung individueller Aussichten vom privaten in den öffentlichen Raum.
»Je savais que je pouvais m'eloigner si je voulais« /»Ich wusste, dass ich mich entfernen konnte, wenn ich wollte« (Ausstellungstitel Kunstraum Innsbruck 2001)
www.museedupointdevue.com.fr
Erik Meinharter