Neoliberale Technokratie und Stadtpolitik
Zur Herrschaftsfunktion von New Public Management am Beispiel BerlinsDer Begriff der unternehmerischen Stadt gehört mittlerweile zum festen Bestandteil der kritischen Stadtforschung. Das Ende der 1980er Jahre von David Harvey geprägte Konzept beschreibt die radikale Redefinition des städtischen Raums nach ökonomischen Kriterien. (Harvey 1989) Stadtpolitik, so Neil Brenner und Susanne Heeg, wird zunehmend von Themen der wirtschaftlichen Entwicklung, industriellen Wachstums und struktureller Wettbewerbsfähigkeit dominiert. (Brenner/Heeg 1999: 104)
Dass Städte immer mehr wie Unternehmen geführt werden, betrifft jedoch nicht nur ihre externe Ausrichtung auf Wettbewerb und Wachstum. Auch die interne Reorganisation der lokalen Verwaltungen nach betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien stellt ein Kernstück der Transformation zur unternehmerischen Stadt dar. Die Einführung von Globalhaushalten, Kosten- und Leistungsrechnungen und Controlling-Maßnahmen auf der kommunalen Ebene erzeugt bei stadtpolitischen EntscheidungsträgerInnen und in den lokalen Ämtern und Behörden eine neue Handlungsrationalität und ökonomisiert die öffentlichen Institutionen in bislang ungekanntem Ausmaß. Weltweit werden diese Reformen des öffentlichen Sektors unter dem Label New Public Management implementiert.
Im Folgenden möchte ich die Funktionsweise und Wirkung von New Public Management (NPM) darstellen und sie auf ihre Herrschaftsfunktion hin diskutieren. NPM-Techniken, so meine These, sind nicht einfach nur eine an neoliberalen Sparzwängen orientierte Verwaltungsmodernisierung. Zwar erweckt die Selbstbeschreibung von NPM-Techniken bzw. der mit ihrer Ausarbeitung und Implementierung befassten Institutionen und Personen auf den ersten Blick den Anschein von Neutralität. So definiert Martin Brüggemeier, Professor für Betriebswirtschaftslehre in Berlin, New Public Management „als eine verwaltungswissenschaftlich aufgeklärte, interdisziplinär aufgeschlossene und empirisch reflektierte betriebswirtschaftliche Lehre von der effizienz- und effektivitätsorientierten Gestaltung und Steuerung der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben.“ (Brüggemeier 2001: 377) Doch hinter den neutralen Begriffen wie Modernisierung und Entbürokratisierung verbirgt sich der zutiefst politische Charakter der NPM-Techniken: Sie konstituieren eine Art neoliberale urbane Technokratie. Denn zentrale Fragen lokaler Demokratie – so etwa die Nutzung öffentlicher Räume – werden der Sphäre der politischen Aushandlung durch NPM-Techniken tendenziell entzogen und stattdessen in bürokratische Entscheidungsverfahren überführt sowie neoliberale Handlungsrationalitäten implementiert. Gerade für linke und kritische Stadtteilprojekte und -initiativen hat dies schwerwiegende Folgen. Folgend nun die Grundprinzipien des NPM zunächst allgemein, danach soll deren konkrete Wirkweise am Beispiel Berlins illustriert werden.[1] In einem dritten Schritt wird dann ausführlich auf die Herrschaftsfunktion von NPM eingegangen werden.
New Public Management
Der Begriff New Public Management bezeichnet, um es auf eine griffige Formel zu bringen, die Neuausrichtung von Verwaltungstätigkeiten gemäß betriebswirtschaftlicher Effizienzkriterien. Als Reaktion auf die (angebliche) „Finanzierungskrise des verwalteten Wohlfahrtsstaates“ (Klaus König) wurde das Konzept des New Public Management ab Mitte der 1980er Jahre weltweit entwickelt und implementiert; Vorreiterrollen hatten Großbritannien, die Vereinigten Staaten, Australien, Kanada, Neuseeland und Skandinavien. Seitdem spielen NPM-Reformen eine zentrale Rolle beim neoliberalen Ab- und Umbau sozialstaatlicher Funktionen und bei der Privatisierung öffentlicher Räume und Güter. Während die Prioritätenverschiebung bei der Investition öffentlicher Mittel hin zu wettbewerbs- und standortpolitischen Maßnahmen eine Ökonomisierung von Stadtpolitik auf der PolicyEbene darstellt – also auf eine unternehmerische Stadtpolitik im engeren Sinne –, zielen New Public Management-Reformen auf eine Ökonomisierung der öffentlichen Institutionen selbst ab, wirken also auf der Polity-Ebene. Was die konkrete Funktionsweise der Reformen angeht, lassen sich generell fünf Bereiche unterscheiden (siehe Jäggi 1996):
1. Wirkungsorientierung: Die politischen EntscheidungsträgerInnen steuern die Tätigkeit der Verwaltung nicht mehr mittels detaillierter Vorgaben hinsichtlich der finanziellen und personellen Ressourcen (Input), sondern durch die Vorgabe der zu erreichenden Leistungen (Output) und der gewünschten Wirkungen (Outcome).
2. Globalbudgets: Die zuständige politische Instanz stellt ein Gesamtbudget zur Verfügung, mit dem die Verwaltung oder einzelne Verwaltungsabteilungen die vorgegebenen Aufgaben so effizient wie möglich erfüllen müssen. Im Unterschied zur traditionellen Budgetierung enthält das Globalbudget keine zweckgebundene Zuweisung von Einzelposten sondern eine Kontraktsumme, über die die Verwaltung selbstständig verfügen kann.
3. Leistungsmessung: Die Leistungen der Verwaltung werden nach so genannten Produkten definiert und die Ergebnisse in monetären Größen messbar gemacht. Mit der Definition und Bereitstellung von Produkten wird den NutzerInnen öffentlicher Leistungen darüber hinaus ein Status als KundInnen zugewiesen, die die betreffenden Produkte konsumieren.
4. Wettbewerb: Qualität und Effizienz der Tätigkeit sollen außerdem durch die Einführung von Marktelementen, also durch den Leistungsvergleich zwischen verschiedenen Verwaltungseinheiten und/oder Privatunternehmen erreicht werden. Alternativ dazu können auch Benchmarks formuliert werden.
5. Controlling: Interne und/oder externe Gremien oder Unternehmen überprüfen regelmäßig die Leistungen der Verwaltung und deren Wirkungen nach betriebswirtschaftlichen Kriterien und schlagen, wenn nötig, Verbesserungen vor.
© Tom RoseDie Ziele der NPM-Reformen sind also eine Rationalisierung und Ökonomisierung öffentlicher Tätigkeiten, Beschränkung des öffentlichen Sektors auf Kernkompetenzen, Einsparung der Mittel für öffentliche Aufgaben, Personalkürzung, etc. Die Stadt wird intern nach dem Vorbild eines privaten Unternehmens organisiert. Zwar hat es sich mittlerweile auch unter den VertreterInnen des NPM-Ansatzes herumgesprochen, dass privatwirtschaftliche Modelle nicht unmittelbar auf den öffentlichen Sektor übertragbar sind – und zwar unabhängig davon, ob dies überhaupt wünschenswert ist oder nicht – und dass NPM-Reformen darüber hinaus selten die versprochenen Ergebnisse von Haushaltskonsolidierung und Verbesserung der öffentlichen Dienste erbringen, doch tut dies der Popularität des Ansatzes keinen Abbruch. Kein Wunder, denn NPM-Techniken sind viel mehr als nur der Versuch einer fiskalpolitischen Krisenlösung.
Der Fall Berlin
In Berlin setzten die Vorbereitungen zur Einführung von NPM-Techniken Mitte der 1980er Jahre ein.[2] „Ausgehend von den Ergebnissen einer Enquete-Kommission zur Neuordnung der Finanzstruktur im Land Berlin aus dem Jahr 1984 wurde vom Land Berlin ein Gutachten in Auftrag gegeben, mit dem entsprechende Modelle zur Neuordnung erarbeitet werden sollten.“ (Fischer 1999: 3f.) Neben der Einführung einer Kosten- und Leistungsrechnung (KLR) wurden die Budgetierung und das betriebswirtschaftliche Controlling der Haushalte der Senats- und der Bezirksverwaltungen vorgeschlagen – also alle zentralen Elemente des NPM-Ansatzes. „Hauptziele im Gesamtprojekt sind eine Erhöhung der Wirtschaftlichkeit des Verwaltungshandelns und eine Schärfung des Kostenbewußtseins,“ so die Senatsverwaltung Berlin in einer Reformkonzeption aus dem Jahr 1995. (Senatsverwaltung 1995:3)
Nach einer ersten Phase der Erarbeitung konkreter Modelle, begann die Umstrukturierung der öffentlichen Verwaltungen ab 1994/1995 unter dem Etikett der Verwaltungsmodernisierung. Die Berliner Verwaltungen stellten erstmals systematisch Betriebswirte ein. Diese sollten die Implementierung der KLR und die betriebswirtschaftliche Controlling-Funktion in den Verwaltungen übernehmen. Auf Grundlage der KLR wurde dann die bis dahin übliche kamerale Finanzmittelzuweisung – das heißt die zweckgebundene Zuweisung der Haushaltsmittel auf der Grundlage von Erfahrungswerten – sukzessive durch die Zuweisung einer Globalsumme ersetzt. Eine zentrale Rolle spielte dabei die Definition von insgesamt etwa 1500 Produkten, die eine output- und outcome-orientierte Steuerung der Verwaltung ermöglichen sollen (Senatsverwaltung 1995: 7). Dr. Margrit Köhler, Leiterin des Steuerungsdienstes im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, erklärt im Interview die Funktionsweise der KLR und der Budgetbemessung auf Ebene der Bezirksverwaltungen:
„1994/1995 wurde damit angefangen, dass für die Bezirke Produkte definiert wurden. (...) Ein Produkt ist zum Beispiel, was ich an kulturellen Leistungen im Bezirk anbiete. Kulturberatung zum Beispiel. (...) Da muss ja jetzt entschieden werden, wie viel Geld stecken wir in dieses Produkt und mit Hilfe der Kostenrechnung werden jetzt die Kosten für dieses Produkt erfasst. (...) Wenn ich für ein Produkt arbeite, dann erfasse ich die Zeit, die ich dafür aufbringe. Und zwar prozentual. Also ich habe heute einen halben Tag für das Produkt xy gearbeitet. Dann wird das notiert. Und das erfolgt sozusagen über einen Monat, dass jede Kraft eigentlich notiert, für welche Produkte sie innerhalb eines Monats gearbeitet hat. Und am Monatsende steht dann fest: 10 Prozent für dieses Produkt, 15 Prozent für jenes. Und dann gibt es auch noch so genannte NPT – das ist eine nicht-produktbezogene Tätigkeit. (...) Oder wenn ein Mitarbeiter nur ein einziges Produkt bearbeitet, dann kommt die gesamte Zeit, auch die nicht-produktbezogene Tätigkeit, (...) die Krankheitszeit und die Urlaubszeit kommt auf das Produkt. Das Produkt muss das mittragen. Weil ja wie in einem Unternehmen... da müssen ja auch alle Kosten auf die Produkte der Unternehmen kommen, und über den Preis auf dem Markt wird dann das Geld wieder hereingeholt. Und so ist das bei uns auch.“[3]
In regelmäßigen zeitlichen Abständen legen alle Bezirke ihre Kosten- und Leistungsrechnungen dem Land vor. Nun kann die wirtschaftliche Effizienz der Bezirke im direkten Vergleich abgelesen werden: Für jedes Produkt (und jeden Bezirk) wird dargestellt, wie hoch die realen (Personal)Kosten waren, um das Produkt über einen bestimmten Zeitraum für jeweils 1000 EinwohnerInnen bereitzustellen.
Zur Errechnung der vom Land an die Bezirke vergebenen Haushalte wird für jedes Produkt ein Ranking erstellt: Der Bezirk, der seinen KundInnen – also den Bürgern und Bürgerinnen, die die betreffende öffentliche Leistung in Anspruch nehmen – das Produkt am günstigsten anbieten konnte, nimmt den obersten Rang ein; der Bezirk, der am teuersten produziert hat, den letzten. Nun werden die mittleren beiden Ränge addiert, bei zwölf Bezirken in Berlin also der sechste und siebte Rang, und durch zwei geteilt. Die so errechnete Summe wird als Median bezeichnet. Der Median gilt als Richtwert für die angemessenen Kosten zur Bereitstellung des jeweiligen Produkts und stellt die Grundlage für die Errechnung und Zuweisung der Globalhaushalte an die Bezirke dar. Über ihre Haushalte wiederum können die Bezirke dann selbstständig verfügen. Cornelia Reinauer, Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, erklärt im Interview:
„Die Bezirke haben ja jetzt tatsächlich die Kosten- und Leistungsrechnung. Also das heißt seit zehn Jahre bilden wir jetzt ab: Was kosten zum Beispiel unsere Gebäude in der Unterhaltung. Und wir kriegen ja jetzt Gelder danach zugewiesen. Wie teuer sind wir mit unserem Personal, und und und... da ist ein Riesendruck entwickelt worden. (...) Wir können jetzt tatsächlich mit einem unheimlichen bürokratischen Aufwand über zehn Jahre sagen, was das jetzt in unterschiedlichen Bezirken kostet. Und dann gibt es einen so genannten Median. Und wenn Sie da drunter oder drüber liegen, dann ist klar: Wenn Sie drunter liegen, dann wirtschaften Sie gut. Dann gehen Sie mit ihren Ressourcen gut um. Und wenn Sie drüber liegen, dann müssen Sie gucken, woran liegt’s? Liegt’s am Personal, liegt’s an den Gebäuden?“[4]
Die KLR soll jedoch nicht nur eine in monetären Größen ausgedrückte Vergleichbarkeit der Leistungen der Bezirke untereinander ermöglichen, sondern wirkt auch als das zentrale Instrument für die finanzielle Maßregelung der Bezirke durch das Land Berlin: Hat ein Bezirk in einer Produktgruppe unnötige Verluste erwirtschaftet, dann werden diese Kosten zur Strafe von seinem Budget abgezogen. Dies betrifft zum Beispiel kalkulatorische Zinsen und Unterhaltungskosten für nicht genutzte öffentliche Grundstücke und Gebäude, so genannte budgetunwirksame Kosten. Im Fall der kalkulatorischen Zinsen für ein Grundstück etwa wird veranschlagt, dass das im Grundstück festgelegte Vermögen potenziell einen bestimmten Zins erwirtschaften könnte. Wenn das Gelände ungenutzt bleibt, geht diese (potenzielle) Einnahme verloren. Die betreffende Summe geht als Kostenpunkt in die KLR ein und wird bei der Budgetvergabe vom errechneten Haushalt abgezogen. Der Bezirk wird also für sein ineffizientes Wirtschaften durch Mittelkürzung bestraft. Als Ausweg bleibt die schnelle Veräußerung ungenutzter öffentlicher Räume über den Liegenschaftsfonds – was allerdings den endgültigen Verlust der politischen Verfügungsgewalt über die betreffenden Räume zur Folge hat.
Dr. Margit Köhler erklärt im Interview: „Das ist der Ausgangspunkt für die Budgetierung, für die Zuweisung. (...) Wenn ich sehr viele Gebäude habe, habe ich auch sehr viele budgetunwirksame Kosten. Und dadurch werde ich gedrückt, mich auf möglichst engem Raum zu bewegen. (...) Der Bezirk wird damit praktisch gezwungen, dass er überflüssige Gebäude abgibt. Ansonsten habe ich Budgetverluste. Das ist also eine ganz wichtige Position.“[5]
Auf diese Weise wird ein Verwertungsdruck erzeugt, der ungenutzte öffentliche Liegenschaften einem unmittelbaren Privatisierungsdruck unterwirft. Ein Paradebeispiel dafür bietet das Haus Bethanien. Das ehemalige Krankenhaus im Osten Kreuzbergs schloss im Jahr 1970 seine Türen. Kurz danach wurde das ehemalige Schwesternwohnheim des Bethanien unter dem Namen Georg-von-Rauch-Haus besetzt. Die Rockgruppe Ton Steine Scherben schildert in ihrem Lied „Rauch-Haus-Song“ die gewaltsame Räumung durch die Polizei aus Sicht der BesetzerInnen. Doch der Abriss des Gebäudes wurde von Bürgerinitiativen verhindert. In den folgenden Jahren gründeten sich in dem Gebäudekomplex mehr als 25 soziale und kulturelle Einrichtungen. Über viele Jahre hinweg befand sich im Bethanien die einzige auf türkischsprachige Literatur spezialisierte Bibliothek Berlins. Heute steht das ehemalige Krankenhaus ganz oben auf der Privatisierungsliste der Bezirksregierung – angeblich auf Grund der hohen Haushaltskosten. Doch bestehen diese bei genauerem Hinsehen zu 70 Prozent aus den so genannten budgetunwirksamen oder kalkulatorischen Kosten. Nicht zuletzt auf Grund der Besetzung des Bethanien durch das Wohn- und Stadtteilprojekt Yorckstraße im Mai 2005 konnten die aktuellen Privatisierungspläne des Bezirks zumindest vorerst durchkreuzt und das öffentliche Gebäude vor dem Verkauf an einen privaten Investor bewahrt werden.[6]
Neoliberale Technokratie
Am konkreten Beispiel der Verwaltungsreformen im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird die Wirkweise von NPM-Techniken sehr gut deutlich. Mit der Einführung des Globalhaushaltes hat der Bezirk zunächst ein hohes Maß an Autonomie erhalten. Die PolitikerInnen und VerwaltungsmitarbeiterInnen können selbstständig entscheiden, wie viele Mittel für welche Maßnahmen aufgewendet werden sollen. Aber: Sie agieren dabei unter den Bedingungen einer permanenten Mittelverknappung. „Die Gesamtsumme für die Bezirke wird von Jahr zu Jahr gekürzt. Sie wissen ja wie die finanzielle Situation des Landes Berlin ist.“[7] Anstatt jedoch gegen den rigiden Sparkurs des Senats zu protestieren, macht sich der Bezirk die Sparpolitik zu Eigen. Denn Autonomie in der Haushaltsplanung heißt auch, mit dem eigenen Budget effizient und sparsam zu wirtschaften. In der Wahrnehmung des Bezirks kommen die Sparauflagen nicht von oben, sondern müssen selbstverantwortlich entschieden und durchgeführt werden. Die Verknappung der Haushalte auf Landesebene gibt sich dabei den Schein von wissenschaftlicher Neutralität und logischer Stringenz. Denn über die notwendigen Mittel wird nicht etwa explizit politisch entschieden, sondern die Haushalte werden über die Feststellung eines Medians mathematisch errechnet. Mit diesem Verfahren wird zugleich sichergestellt, dass die Globalhaushalte der Bezirke kontinuierlich verknappt werden – ein Dilemma, das sich die MitarbeiterInnen in den Bezirksregierungen und kommunalen Verwaltungen offenbar überhaupt nicht bewusst machen: Haushaltet der Bezirk schlecht und liegt mit seinen Ausgaben über dem errechneten Median, so werden ihm budgetunwirksame Kosten vom Haushalt abgezogen. Hat er dagegen gut gewirtschaftet und bleibt bei der Bereitstellung der Produkte unter dem Median, so sinkt auch der errechnete Mittelwert zur Finanzierung der Produkte und der Bezirk trägt sogar noch zur Verknappung des nächsten Haushalts aller Bezirke bei.
© Luke GattusoDie mit einem unglaublichen bürokratischen Aufwand durchgeführte akribische Erfassung der Arbeitszeiten und Personalkosten, die zur Bereitstellung der einzelnen Produkte aufgewendet werden, erzeugt bei den politischen EntscheidungsträgerInnen und bei den VerwaltungsmitarbeiterInnen einen grundlegenden Bewusstseinswandel. Die an monetären Größen gemessene Rationalität und Effizienz von Verwaltungshandeln wird in das Alltagsbewusstsein der MitarbeiterInnen eingelassen. Dr. Margit Köhler, die in Friedrichshain-Kreuzberg die Implementierung der KLR verantwortlich geleitet hat, erzählt im Interview, dass es „schon eine Riesenumstellung (war), als wir mit der Kostenrechnung angefangen haben und dann jeder die Arbeitszeit erfassen und aufschreiben musste. Und dann auch alle Kosten, die anfallen, nach Möglichkeit Produkten zuzuordnen. Das hat schon ein großes Umdenken und erstmal auch große Unruhe verursacht. Inzwischen ist das völlig normal. (...) Es haben eben wirklich auch Veränderungen in den Denkprozessen und im ganzen Bewusstsein stattgefunden.“[7]
Bei Michel Foucault wird genau dieser Effekt im Rahmen der Studien zur Gouvernementalität als eine Einlassung von Kontroll- und Herrschaftsmechanismen in die Subjekte selbst beschrieben. (siehe: Bröckling/Krasmann/Lemke 2000; Foucault 2000; Foucault 1994) Gerade weil die Kontrolle nicht von außen, sondern als Selbstkontrolle durch die MitarbeiterInnen eingerichtet ist, wird die Unterwerfung der eigenen Tätigkeit unter betriebswirtschaftliche Kriterien nicht mehr als Fremdbestimmung sondern als eigenverantwortliches und quasi-natürliches Handeln wahrgenommen.
Vor allem hat der Verwertungsdruck katastrophale Folgen für nicht-kommerzielle Projekte und Maßnahmen, die einen öffentlichen Raum nutzen möchten. Denn wer sich nicht rechnet wird tendenziell ausgeschlossen oder bei der Vergabe öffentlicher Räume zumindest benachteiligt. Dies ist nicht etwa Gegenstand öffentlicher und politischer Aushandlung, sondern ergibt sich logisch aus den durch die NPM-Techniken erzeugten finanzpolitischen Handlungsrationalitäten. Wenn etwa der Unterhalt und die kalkulatorischen Zinsen für ungenutzte öffentliche Gebäude dem Bezirk vom Haushalt abgezogen werden und dieser in der Folge sein Raumkontingent auf ein Minimum verknappt, stehen schon allein deswegen zahlenmäßig weniger öffentliche Räume zur Verfügung. Für die noch vorhandenen öffentlichen Liegenschaften wird der Zugang eng an betriebswirtschaftliche Kriterien geknüpft. Dies wird am Beispiel des Haus Bethanien sehr gut deutlich. Hier stellt sich die Frage: Kann der Nutzer oder die Nutzerin die Unterhaltskosten aufbringen? Ist er oder sie finanziell in der Lage, auch den vom Bezirk zu erwirtschaftenden Mietzins aufzubringen?
Über die scheinbar neutralen ökonomischen Kriterien, die zunächst einmal alle potenziellen NutzerInnen betreffen, setzen sich indirekt auch politische Präferenzen durch, die gerade linke und kritische Stadtteilprojekte strukturell ausschließen. Denn Marktfähigkeit ist in der Regel auch mit einem Minimum an politischem Konformismus verbunden. Projekte, die nicht-kommerziell operieren oder sich der kapitalistischen Verwertungslogik gar ausdrücklich entziehen wollen, verkaufen sich eben schlecht – oder gar nicht – und sind bei einer an NPM-Kriterien gebundenen Nutzung öffentlicher Ressourcen dementsprechend deutlich benachteiligt.
© B.G. LewandowskiSchlussbemerkung
Im Berliner Beispiel kann sich der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg auf der Grundlage der mit den NPM-Reformen implementierten Kriterien und Verfahren gegen die Vergabe eines öffentlichen Raums an Stadtteilgruppen und Basisinitiativen entscheiden, ohne dies explizit politisch begründen zu müssen. Streng genommen ergibt sich die Entscheidung automatisch bei der Befolgung der durch die NPM-Techniken vermittelten Logik. Polemisch und etwas überspitzt lässt sich sagen, dass sich die Entscheidung über die Vergabe eines öffentlichen Raums am Median errechnen lässt. Dass die ökonomische Entscheidung in der Tat eine zutiefst politische Entscheidung ist, mag vielen Beteiligten vielleicht gar nicht bewusst sein. New Public Management ist also nicht so sehr eine Verwaltungs- sondern vielmehr eine Herrschaftstechnik. Die Perfidität von NPM liegt dabei vor allem im erzieherischen Charakter: Im Sinne Foucaults wird ökonomische Handlungsrationalität direkt in die Subjekte eingelassen. NPM hat darüber hinaus einen hoch ideologischen Charakter, denn es spiegelt Neutralität, Sachzwänge und wissenschaftliche Stringenz vor, wo tatsächlich zutiefst politische und kontingente Entscheidungsprozesse in Interessen- und Klassenkonflikten ablaufen: So wird Stadtpolitik zur unternehmerischen Technokratie.
Henrik Lebuhn ist Politologe und lebt in Berlin und San Francisco. Studium der Politikwissenschaft und des öffentlichen Rechts in Hamburg, Mexiko City, Berlin und Berkeley. Mitglied des Wiener Büro-Kombinats (wbk) und Redaktionsmitglied der Prokla - Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft. Lehrbeauftragter für Urban Studies am San Francisco Art Institute.
Fußnote
Der vorliegende Artikel basiert auf einer empirischen Fallstudie über den Konflikt um ein soziales Zentrum im Berliner Stadtteil Friedrichshain-Kreuzberg. Die hier zitierten Interviews habe ich 2004 im Rahmen meiner Feldforschung in Berlin erhoben. Siehe auch meine Dissertation über Privatisierungskonflikte in Berlin und Los Angeles (in Vorbereitung). ↩︎
Einen guten Überblick über die Implementierung und die Funktionsweise der NPM-Reformen in Berlin bieten: Senatsverwaltung Berlin (1995): Kostenrechnung in der Berliner Verwaltung (Konzeption), 15. Dezember 1995; sowie: Senatsverwaltung Berlin (2004): Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung in der Berliner Hauptverwaltung, Jahresabschlussbericht 2003 vom 7. Mai 2004. ↩︎
Projektinterview mit Dr. Margrit Köhler, Leiterin des Steuerungsdienstes im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, 8. Oktober 2004. ↩︎
Projektinterview mit Cornelia Reinauer (PDS), Bezirksbürgermeisterin Friedrichshain-Kreuzberg, 22. September 2004. ↩︎
Projektinterview mit Dr. Margrit Köhler, Leiterin des Steuerungsdienstes im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, 8. Oktober 2004. ↩︎
Für mehr Information zur Besetzung des Bethanien siehe http://www.yorck59.net ↩︎
Projektinterview mit Dr. Margrit Köhler, Leiterin des Steuerungsdienstes im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg, 8. Oktober 2004. ↩︎
Henrik Lebuhn ist Politologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie der Humboldt Universität Berlin
Brenner, Neil & Heeg, Susanne (1999): Lokale Politik und Stadtentwicklung nach dem Fordismus: Möglichkeiten und Beschränkungen. In: Kurswechsel 2, S. 103-119.
Bröckling, Ulrich, Krasmann, Susanne & Lemke, Thomas (Hgg.) (2000): Gouvernementalität der Gegenwart: Studien zur Ökonomisierung des Sozialen. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Brüggemeier, Martin (2001): Public Management. In: Hanft Anke (Hg.), Grundbegriffe des Hochschulmanagements. Neuwied: Luchterhand, S. 377-383.
Fischer (1999): Einführung der Kosten- und Leistungsrechnung in der Berliner Verwaltung. Vortrag auf dem Bundeskongress Netzwerk Reform am 23. Juni 1999, Berlin: Senatsverwaltung für Finanzen, 1999.
Foucault, Michel (2000): Die Gouvernementalität. In: Bröckling, Krasmann, Lemke (Hgg.), a.a.O., S. 41-71.
Foucault, Michel (1994): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses. Frankfurt/M.: Suhrkamp.
Harvey, David (1989): From Managerialism to Entrepreneurialism: The Tranformation in Urban Governance in Late Capitalism. In: Geografiska Annaler 1, S. 3-18.
Jäggi, Max (1996): Amtlich verordnete Magersucht - New Public Management: Ein Modebegriff und seine Folgen. In: Weltwoche, 51.
Senatsverwaltung (1995): Kostenrechnung in der Berliner Verwaltung (Konzeption).