
Öffentlicher Raum und Eigentum
Über ein schwieriges VerhältnisGehen wir davon aus, dass der Begriff »öffentlich nutzbarer Stadtraum« von »eigentumsrechtlichen Assoziationen befreit ist« (Selle 2010) und damit einen Stadtraum beschreibt, der vielfältigen Eigentumsrechten unterworfen sein kann, dann lohnt es sich, Teilaspekte dieser »Interdependenzen und Überlagerungen« (ebd.) heraus- gelöst zu betrachten. In diesem Beitrag werden zwei exemplarische Betrachtungsrichtungen, die das Verhältnis zwischen Eigentum und öffentlichem Raum bestimmen, diskutiert. Das Eigentum im Öffentlichen und das Öffentliche im Eigentum bilden die beiden Pole des gesellschaftlichen Diskurses über unterschiedliche Interessensphären und Besitzansprüche inklusive ihrer räumlichen Überlagerungen. Auch im juristischen Diskurs besteht hier keine Eindeutigkeit (Joite 2011) und doch können bei einer Betrachtung aus den beiden entgegengesetzten Perspektiven Erkenntnisse gewonnen werden.
PRIVATES EIGENTUM ALS ÖFFENTLICHER RAUM
Offen lädt ein Durchgang zum Nutzen eines Weges ein. An seinem Ende wird eine besonnte Sitztreppenanlage sichtbar. Einladend, doch: Ein Schild an einer Säule vermittelt ein anderes Bild: »Privatgrund. Betreten verboten«. In solchen Situationen trifft der Wunsch nach einer offenen Stadt auf einen juristischen Abwehrreflex. Kein »Betreten auf eigene Gefahr«, sondern ein klares Statement gegen eine Usance, die im städtischen Raum nicht unüblich ist. Nämlich Freiräume für die Öffentlichkeit auch über Privatgrund hinweg zu vernetzen. So besteht die Möglichkeit, mittels Flächenwidmung oder Bebauungsbestimmungen eine Durchlässigkeit für Fußgänger:innen auch innerhalb privater Grundstücke zu schaffen. In diesem Zusammenhang gibt es unterschiedliche Verhandlungstiefen. Sind bei städtebaulichen Projekten mittels Abstimmungen und Qualitätssicherungsverfahren solche Verbindungen und Durchwegungen für gewöhnlich durchzusetzen und von Projektentwickler:innen zum Teil sogar gewünscht, ist dies bei privatem Grundeigentum nur schwer vorstell- oder auch umsetzbar. Der Zaun als Abwehrmechanismus wird hier immer noch als das probate Mittel angesehen, um Wegebeziehungen und Betretungsrechte erst gar nicht diskutieren zu müssen.
Räume mit öffentlicher Wirkung im privaten Eigentum
Konflikte entstehen häufig in Räumen, die sich in privatem Eigentum befinden, ihrem Charakter nach jedoch wie öffentliche Räume wirken. Somit gerade in den oben genannten »öffentlich nutzbaren Stadträumen«, die einer privaten Eigentümerschaft unterliegen. Werden neue städtebauliche Entwicklungsprojekte mit dem Anspruch Gemeinschaft und gemeinsame Öffentlichkeit zu etablieren, projektiert, können sich Zielkonflikte ergeben. Einladende offene Freiräume innerhalb des Projekts werden von Nachbar:innen und Anrainer:innen als öffentlich wahrgenommen und dementsprechend genutzt. Nutzungskonflikte, die bei widmungswidrigem Verhalten, wie z. B. dem Ausführen von Hunden in gemeinschaftlich genutzten Freiräumen von Wohnhausanlagen, virulent werden, sind programmiert. Dies kann zu Rückzugsmaßnahmen der Eigentümer:innen und im Weiteren zur Nutzungseinschränkung führen. Ein prototypischer Raum, der sich im privaten Eigentum befindet und öffentliche Wirkung entfaltet, ist der Freiraum des Museumsquartiers in Wien. Als Unterscheidungsmerkmal ist in so einem Fall die Eigentumsstruktur eines solchen privaten Unternehmens heranzuziehen. Wird diese von der öffentlichen Hand dominiert, könnte dieser Umstand trotz des privaten, weil von der öffentlichen Hand ausgelagerten, Eigentums dazu führen, dass der Raum als eindeutig öffentlich nutzbar definiert wird (Neuböck 2020, S. 34).
Die Intention als Grundannahme
Der Zweck des jeweiligen Raums für die Eigentümer:in – die Intention – kann als Basis für die Bewertung dienen, ob dieser als öffentlich nutzbar definiert werden kann. Ist es beispielsweise die Intention, an einem bestimmten Ort eine hohe Frequenz an Besucher:innen zu erzielen, Menschen dafür zu gewinnen, einen Raum zu betreten und zu nutzen, so kann sich eine Zulässigkeit öffentlicher Aktivitäten ergeben. Dadurch könnte das Versammlungsrecht gewährleistet und Versammlungen in bestimmten Fällen geduldet werden müssen, da es sich hier um Grundrechtskollisionen handelt (Joite 2011, S. 104). Es wird somit sichtbar, dass der Begriff des Eigentums bei öffentlich zugänglichen Räumen direkt mit der Intention der Anbieter:innen dieser Räume in Verbindung gebracht werden kann. Dies erklärt dann die oben erwähnten Verbotsschilder, welche zwar eindeutig dem räumlichen Angebot widersprechen, aber klar die abweisende Intention des Eigentümers vermitteln.
DAS EIGENTUM IM ÖFFENTLICHEN RAUM
Zwischennutzungen und zeitliche Begrenzung
In der Literatur und in Diskussionen wird oft über die Privatisierung des öffentlichen Raums gesprochen und geschrieben. Meist wird die Inbesitznahme des Raums für kommerzielle Zwecke kritisiert. Doch der öffentliche Raum ist ein Raum der Verhandlung und Koproduktion. Eine Stadt kann Vorgaben entwickeln, wie es beispielsweise die Stadt Wien im Fachkonzept Öffentlicher Raum (Stadtentwicklung Wien MA 18 2018, S. 25) mit einer Forderung nach Orten konsumfreien Aufenthalts macht. Möglich ist auch die Erleichterung einer (temporären) nicht-kommerziellen Nutzung des öffentlichen Raums für Veranstaltungen gemeinnütziger Vereine, z. B. durch Gebührenerlass. Aufgrund der steigenden Nachfrage unterliegen Gastgärten immer stärkeren Regulierungen. Doch es sind nicht alleine diese klar sichtbaren Symptome einer kommerziellen Nutzung öffentlichen Raums, die auf private Eigentümer:innen hinweisen. Auch
die klare Zonierung der Straße in der StVO (Straßenverkehrsordnung) bildet einen Grundstein der Verteilung des öffentlichen Raums, der hinterfragt werden sollte (Jotz 2017).
In den letzten Jahren ist der Raum für den ruhenden Verkehr verstärkt in den Fokus des Aushandlungsprozesses geraten. Immerhin handelt es sich in diesem Fall um im öffentlichen Raum abgestelltes Privateigentum. Kleine, aber erfolgreiche Veränderungen der Straßenräume von Transferräumen hin zu Freiräumen für Begegnungen wurden und werden vermehrt umgesetzt. Wie der so gewonnene Raum genutzt werden kann und soll, gilt es auszuhandeln. Eine weitere, überwiegend kommerzielle Nutzung, wie im Fall von Gastgärten, ist jedenfalls kritisch zu hinterfragen.
Ein sich wandelnder Begriff in Zeiten der Uneindeutigkeit
Der öffentlich nutzbare Stadtraum muss gegen den privaten Raum – das raumgreifende Eigentum – verteidigt werden. Das sollte jedoch nicht als reaktiver Prozess geschehen, sondern als aktiver Schritt, um solche Räume nachhaltig und rechtzeitig vor Einzelinteressen zu sichern. Das Tempelhofer Feld ist ein Beispiel dafür, wie ein frei zugänglicher Raum, der offen genutzt wurde, zu einem gesicherten öffentlichen Raum werden kann (Berlin k. A.). Um dies durchzusetzen, benötigt es allerdings eine starke Bürger:innenschaft und eine grundsätzliche Willensbekundung der Kommune, dieser auch zu folgen und eine solche Koproduktion öffentlich nutzbarer Stadträume zu sichern. Zentral ist es, nicht Partikularinteressen als Gemeininteressen zu definieren, sondern nach einer offenen und für alle Stadtbewohner:innen nutzbaren Lösung zu suchen.[1]
DIE ZEIT ALS MASS DER DINGE
Verfügbare Zeit und damit die zeitliche Befristung einer durch individuelle Interessen motivierten, privaten Nutzung öffentlichen Raums kann helfen, diesen neu zu denken. Nur wenn wir uns bewusst sind, dass solche Nutzungen im öffentlichen Raum einer zeitlichen Begrenzung unterworfen werden müssen, können wir die Perspektive auf diesen Raum wechseln. Bei Werbung im öffentlichen Raum ist die zeitliche Befristung ein maßgebliches Instrument für die Regulierung durch die Stadt. Das sollten wir uns auch für alle weiteren privaten Nutzungen als Denkmodell vor Augen führen. Was geschieht, wenn die privaten KFZ nicht mehr im öffentlichen Raum abgestellt werden, da sich deren Anzahl drastisch reduziert hat? Wird dieser Raum für die Interessen der Allgemeinheit gesichert? Wird aus diesen Flächen ein frei und offen zugänglicher Stadtraum?
Die Nutzung von privatem Eigentum als öffentlichem Raum ist ebenfalls einer zeitlichen Befristung unterworfen. Ändert sich die Zielvorgabe und Intention des Eigentümers oder wird das Eigentum verkauft, kann dies zu einem Entzug einer öffentlichen Nutzung führen. Um diese Räume trotzdem für längere Zeiträume zu sichern, haben Städte unterschiedlichste Werkzeuge entwickelt (Städtebaulicher Vertrag, Nutzungsvereinbarungen und Grundstücksabtretungen gem. § 53 Wiener Bauordnung). Aus dieser Perspektive betrachtet, ist Langfristigkeit das Ziel, weil sie die öffentliche Zugänglichkeit von privatem Eigentum für lange Zeit gewährleistet. Trotz einer angestrebten Langfristigkeit ist eine kontinuierliche Anpassung an sich ändernde Nutzungsansprüche natürlich nicht ausgeschlossen, sondern vielmehr besser planbar.
Einen Essay über das Tempelhofer Feld von Asef Bayat wird es in dérive 99 (Frühjahr 2025) zu lesen geben; siehe auch Roskamm 2011 und 2014. ↩︎
Erik Meinharter ist Landschaftsarchitekt bei PlanSinn Büro für Planung und Kommunikation und Redakteur bei dérive – Zeitschrift für Stadtforschung.
Berlin — Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (k. A.): Tempelhofer Feld, https://www.berlin.de/sen/uvk/natur-und-gruen/stadtgruen/stadtgruen-projekte/tempelhofer-feld/.
Bork, Herbert; Klingler, Stefan & Zech, Sibyllac (2015): Kommerzielle und nicht-kommerzielle Nutzung im öffentlichen Raum. Studie im Auftrag der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Abt. Kommunalpolitik, https://wien.arbeiterkammer.at/service/studien/stadtpunkte/Stadtpunkte16.pdf.
Georg Glasze, Georg (2001): Privatisierung öffentlicher Räume? Einkaufszentren, Business Improvement Districts und geschlossene Wohnkomplexe. In: Berichte zur deutschen Landeskunde 75 (2/3), S. 160—177.
Joite, Max (2011): Öffentlicher Raum im Bereich privaten Eigentums. In: Bucerius Law School Journal, S. 101—106, law-journal.de/archiv/jahrgang-2011/heft-3/offentlicher-raum-im-bereich-privaten-eigentums.
Jotz, Jos Nino (2017): Die Privatisierung des öffentlichen Raums durch parkende KFZ, TU Berlin, IVP-Discussion Paper, https://www.static.tu.berlin/fileadmin/www/10002265/Discussion_Paper/DP10_Notz_Privatisierung_oeffentlichen_Raums_durch_parkende_Kfz.pdf.
Neuböck, Sebastian (2020): Die rechtliche Stellung von öffentlichem Raum und dessen Bedeutung im Lichte der Grundfreiheiten. Diplomarbeit an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Paris-Lodron-Universität Salzburg, https://eplus.uni-salzburg.at/download/pdf/5522972.pdf.
Roskamm, Nikolai (2011): Die Utopie des Nichts. Zur Transformation des Tempelhofer Feldes in Berlin. In: dérive — Zeitschrift für Stadtforschung 42, S. 4—10.
Roskamm, Nikolai (2014): Im Reich der Wunder. Tempelhofer Feld Berlin. In: dérive — Zeitschrift für Stadtforschung 54, S. 19—21.
Selle, Klaus (2010): Die Koporoduktion des Stadtraumes. In: dérive — Zeitschrift für Stadtforschung 40/41, S. 47—52.
Stadtentwicklung Wien MA 18 (Hg.) (2018): STEP 2025 — Fachkonzept Öffentlicher Raum. Werkstattbericht 175, www.digital.wienbibliothek.at/wbrup/download/pdf/3935378.